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Verkehrsunfall – Haftungsverteilung bei Zusammenstoß im Zusammenhang mit Spurwechsel

OLG Frankfurt, Az.: 7 U 245/12, Urteil vom 28.02.2014

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20. September 2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 23. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt a.M. (Az.: 2-12 O 384/11) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 10.008,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.06.2011 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 715,80 € zu zahlen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Verkehrsunfall - Haftungsverteilung bei Zusammenstoß im Zusammenhang mit Spurwechsel
Symbolfoto: Von Navidim /Shutterstock.com

Die Klägerin, ein Taxiunternehmen, nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am ….2011 gegen 10:30 Uhr auf der A-Straße in O1, nahe des C des D, ereignet hat und an dem das von dem Zeugen E geführte, im Eigentum der Klägerin stehende Taxi Marke F1 mit dem amtlichen Kennzeichen … und das bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherte Taxi Marke F mit dem amtlichen Kennzeichen …, dessen Halter und Fahrer der Beklagte zu 1. war, beteiligt waren. Am Fahrzeug der Klägerin entstand unfallbedingt ein Schaden in Höhe von 10.008,85 €. Diesen Betrag forderte die Klägerin bei der Beklagten zu 2, unter Fristsetzung auf den 14.06.2011 ein.

Der Zeuge E befuhr die A-Straße vom G kommend durch die Unterführung unter der B … hindurch in Richtung auf das C. Der Beklagte zu 1. fuhr, von der B … aus westlicher Richtung kommend, nach dem Ende der Unterführung auf die A-Straße auf. Er beabsichtigte, zwei Fahrspuren der A-Straße zu überqueren, um sich auf eine der beiden Linksabbiegerspuren einzuordnen, die zur Zufahrt zu den Taxiständen am C führen. Wegen der Anordnung der Fahrspuren und der darauf befindlichen Richtungspfeile wird auf die Skizze auf Seite 5 der beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gemachten Bußgeldakte des Regierungspräsidiums O2, Az. …, Bezug genommen.

Auf der linken der beiden Geradeaus-Spuren der A-Straße kollidierten die Fahrzeuge. Das Klägerfahrzeug stieß mit der linken vorderen Ecke gegen die linke hintere Ecke des Beklagtenfahrzeugs. Hinsichtlich der Schadensbilder an den Fahrzeugen wird auf die Lichtbilder Bl. 12 bis 14 d.A. Bezug genommen. Nach dem Zusammenstoß stand das Taxi des Beklagten zu 1. ungefähr entgegen der ursprünglichen Fahrtrichtung über der gestrichelten Mittellinie zwischen den beiden zum Taxistand am C führenden Linksabbiegerspuren. Wegen der Einzelheiten wird auf das untere Lichtbild auf Bl. 10 d.A. Bezug genommen.

Die Klägerin hat behauptet, dass der Beklagte zu 1., vom Zubringer aus westlicher Richtung kommend, eine durchgezogene Linie und eine Sperrfläche überfahren und sodann die von dem klägerischen Fahrzeug befahrene Spur unmittelbar vor dem Taxi der Klägerin gequert habe. Dadurch sei es unvermeidlich zu der Kollision gekommen.

Die Beklagten haben behauptet, dass das klägerische Fahrzeug erst zu einem Zeitpunkt, als das Taxi des Beklagten zu 1. bereits die linke der beiden Geradeaus-Spuren befahren und von dort schon leicht nach links eingeschert habe, ungebremst auf das Beklagtenfahrzeug aufgefahren sei.

Wegen des Parteivorbringens und der Antragstellung im ersten Rechtszug wird ergänzend auf die in erster Instanz gewechselten Schriftsätze und auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Vernehmung des Zeugen E und des nicht am Unfall beteiligten Zeugen H (Sitzungsprotokoll Bl. 82-87 d.A.) der Klage in Höhe von 80% der Klageforderung – 8.007,08 € nebst Zinsen – stattgegeben. Nachdem es eingangs der Entscheidungsgründe noch festgestellt hatte, dass der Klägerin gegen die Beklagten ein Anspruch in Höhe von 10.008,85 € zustehe, hat es später ausgeführt, dass die Klägerin sich ein zu einer Mithaftung von 20% führendes Mitverschulden des Zeugen E anrechnen lassen müsse, weil der Zeuge E mit einem Spurwechsel des Beklagtenfahrzeugs hätte rechnen müssen und seine Fahrweise hätte darauf einstellen können.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin den abgewiesenen Rest der Klageforderung weiter und macht erstmals Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung geltend. Sie stellt wiederholend darauf ab, dass der Beklagte zu 1. einen Spurwechsel unter zweifachem Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO vorgenommen und dadurch die Kollision verursacht habe. Damit habe der Zeuge E nicht rechnen müssen.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 10.008,85 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszins seit dem 15.06.2011 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner weiter zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 715,80 € zu zahlen;

hilfsweise, den Rechtsstreit an das Landgericht Frankfurt a.M. zurückzuverweisen zur Durchführung einer weiteren Beweisaufnahme.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Wegen des Parteivorbringens im zweiten Rechtszug wird ergänzend auf die Berufungsbegründung vom 20.11.2012 und auf die klägerischen Schriftsätze vom 02.01.2013, 24.01.2013 und 04.12.2013, auf die Berufungserwiderung vom 04.12.2012 sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 23.04.2013 und vom 12.02.2014 Bezug genommen. Die Bußgeldakte des Regierungspräsidiums O2, Az. …, hat vorgelegen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Der Senat hat im Termin vom 23.04.2013 den Zeugen E zu den Behauptungen der Klägerin zum Unfallhergang vernommen und den Beklagten zu 1. informatorisch zum Unfallhergang angehört. Der Beklagte zu 1. hat erklärt, dass er wegen eines Rückstaus von Taxis vor der Rotlicht zeigenden Ampel der Linksabbiegerspur langsam auf die Bremse getreten sei. Dann habe er einen Anstoß von hinten verspürt. Nachdem sein Fahrzeug sich gedreht gehabt habe, habe er zu seiner Linken den Zeugen E in dessen Taxi gesehen. Herr E habe ein Telefon am Ohr gehabt. Der Zeuge E hat bekundet, dass das Taxi des Beklagten zu 1. plötzlich wie ein Blitz von rechts kommend quer über die vom Zeugen benutzte Fahrspur gefahren sei. Wegen der Einzelheiten der Einlassung des Beklagten zu 1. und der Angaben des Zeugen E wird ergänzend auf das Sitzungsprotokoll vom 23.04.2013 verwiesen. Sodann hat der Senat ein Rekonstruktionsgutachten des Sachverständigen J eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass aus den Beschädigungen der beiden am Unfall beteiligten Taxen sowie aus der Endstellung des Beklagtenfahrzeugs und aus einer durch dieses gezeichneten Reifenspur herzuleiten sei, dass die Fahrzeuge in einem Winkel von etwa 140 Grad zusammengestoßen seien. In diesem Winkel sei das Taxi des Beklagten auch in die Fahrspur des klägerischen Fahrzeugs eingefahren, und zwar unmittelbar vor dieses Fahrzeug. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 22.11.2013 (Bl. 223 – 245 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

In der erstmaligen Geltendmachung der Kosten vorgerichtlicher Rechtsverfolgung im zweiten Rechtszug liegt keine Klageänderung i.S. des § 263 ZPO, wie sich aus § 264 Nr. 2 ZPO ergibt. Der Zulässigkeit des zusätzlichen Antrags steht daher § 533 ZPO nicht im Wege.

Nachdem das Landgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten gemäß §§ 7Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2,18 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB und 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 7 Abs. 5 StVO, 115 VVG und 1 PflVG von den Beklagten inzident und unangefochten dem Grunde nach festgestellt hat, steht in zweiter Instanz nur noch im Streit, ob entweder der Unfall für den Zeugen E ein unabwendbares Ereignis i.S. des § 17 Abs. 3 StVG darstellte oder der Beklagte zu 1. sich derart pflichtwidrig verhielt, dass eine eventuelles Mitverschulden des Zeugen E wie auch die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs dahinter zurücktreten müssen.

Die im Termin vom 23.04.2013 erfolgte Sachaufklärung hat noch keine abschließende Beantwortung dieser Fragen erlaubt.

Die dort von dem Beklagten zu 1. abgegebenen Erklärungen erscheinen dem Senat wenig glaubhaft. Der Beklagte zu 1. hat angegeben, links geblinkt und wegen eines Rückstaus auf den Linksabbiegerspuren sachte gebremst zu haben. Indessen ereignete sich die Kollision unstreitig auf der linken der beiden Geradeausspuren, nicht auf einer Linksabbiegerspur. Aus der fotografisch dokumentierten und auch unstreitigen Endstellung seines Fahrzeugs ergibt sich, dass dieses sich infolge des Zusammenstoßes um fast 180 Grad drehte und in der Mitte der beiden Linksabbiegerspuren zum Stillstand kam. Dass es im Zuge dieser Drehung zu einer weiteren Kollision mit einem Fahrzeug auf einer der Linksabbiegerspuren gekommen wäre, ist jedoch weder dargetan worden noch sonst ersichtlich. Also können die Linksabbiegerspuren in dem Bereich, in dem das Taxi des Beklagten zu 1. sich drehte und dann zum Stillstand kam, nicht mit Fahrzeugen „belegt“ gewesen sein, die entweder vor der Rotlicht zeigenden Linksabbiegerampel warteten oder sich an die Kolonne wartender Fahrzeuge annäherten. Die von dem Beklagten zu 1. gegebene Darstellung ist insoweit wenig plausibel und nicht überzeugend.

Da die linke vordere Fahrzeugecke des Taxis der Klägerin gegen die linke hintere Ecke des Beklagtenfahrzeugs stieß, muss das Taxi des Beklagten zu 1. sich im Moment der Kollision in einer Schrägstellung befunden haben, aus Sicht des Fahrzeugführers des Taxis der Klägerin in einer Schrägstellung nach links. Dies lässt sich zum einen mit den Angaben des Beklagten zu 1. zu dem prinzipiell von ihm beabsichtigten Fahrweg und zum anderen mit den Bekundungen des Zeugen E, dass der Beklagte zu 1. plötzlich den Fahrweg des Zeugen gequert habe, in Einklang bringen. Entscheidend ist dann jedoch der genaue Anstoßwinkel der Fahrzeuge. Denn daraus würde sich ergeben, ob nicht auszuschließen ist, dass der Beklagte zu 1. sich mit seinem Taxi in einem Linksabbiegevorgang von der linken Geradeausspur hin zu den Linksabbiegerspuren befunden hat, oder ob der Beklagte zu 1. ausschließlich die linke Geradeausspur gequert hat. Zu einer genauen Feststellung hat sich jedoch der erkennende Einzelrichter mangels einschlägiger Sachkunde nicht in der Lage gesehen.

Das in sich schlüssige und gut nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen J beantwortet die Frage nach dem Anstoßwinkel dahingehend, dass dieser etwa 140 Grad betragen hat und das Fahrzeug des Beklagten zu 1. somit den Fahrweg des Taxis der Klägerin in einem Winkel von fast 45 Grad gekreuzt hat. Dann kann jedoch, wie auch der Sachverständige ausführt, der Beklagte zu 1. nur in einer Schrägfahrt direkt vor das Fahrzeug der Klägerin gefahren sein.

Dass die Kollision für den Zeugen E unvermeidbar gewesen wäre, kann nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden. Nach den einleuchtenden Ausführungen des Sachverständigen hängt dies davon ab, ob dem Zeugen E die Sicht auf das sich von rechts in Schrägfahrt nähernde Beklagtenfahrzeug durch ein auf der rechten Geradeausspur befindliches Fahrzeug verdeckt war. Dies ist den Feststellungen des Sachverständigen zufolge möglich, aber nicht sicher.

Dennoch trifft die Beklagten die alleinige Haftung. Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Klägerin und ein eventuelles Mitverschulden des Zeugen E treten hinter dem groben Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1. und der dadurch stark erhöhten Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurück. Der Beklagte zu 1. hat in besonders gravierender Weise gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen. Danach ist ein Spurwechsel so vorzunehmen, dass bereits jede Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Der Beklagte zu 1. hat dagegen mit seiner Fahrweise eine ganz besondere Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer heraufbeschworen, die sich dann in dem Zusammenstoß realisiert hat. In einem solchen Fall kommt eine Mithaftung des Unfallgegners nicht in Betracht (so auch KG VersR 2006, 563 f. Rn. 12 in juris; KG KGR 2003, 272 f. Rn. 17 in juris; OLG Hamm, VersR 2005, 1548 Rn. 8 in juris; OLG Naumburg NZV 2008, 618 ff. Rn. 42 u. 73 in juris).

Nach allem sind der Klägerin Schadensersatz und die Kosten vorgerichtlicher Rechtsverfolgung uneingeschränkt in der geltend gemachten Höhe zuzusprechen.

Da die Beklagten in dem Rechtsstreit unterlegen sind, haben sie gemäß §§ 91Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner zu tragen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO. Ein Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht.

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