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Verkehrsunfall – Haftung eines Fahrspurwechslers

LG Dessau-Roßlau – Az.: 4 O 50/07 – Urteil vom 01.06.2012

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 6.514,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 6.149,30 € seit dem 24. Dezember 2005 zu zahlen.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin einen weiteren Betrag von 358,49 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 28. Februar 2007 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem Verkehrsunfall mit dem Beklagten zu 1) vom … in … noch entstehen wird, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 6 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 94 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.

Die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten kann durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall, der sich am … gegen 19.10 Uhr in … ereignet hat, in Anspruch.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrzeug Pkw Peugeot 306, amtliches Kennzeichen …, die rechte Fahrspur der zweispurigen … in Richtung …. Der Beklagte zu 1) befuhr neben der Klägerin die linke Fahrspur der … in gleicher Richtung mit einem Lastkraftwagen Mercedes Benz, bestehend aus Zugmaschine und Sattelauflieger, amtliches Kennzeichen …, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist. In der Folge kam es zur Kollision zwischen beiden Fahrzeugen, wobei das Klägerfahrzeug nach links auf die Gegenfahrbahn geschleudert wurde und zwischen einem entgegenkommenden Lastzug des Zeugen A… und dem von dem Beklagten zu 1) geführten Lastzug zum Stehen kam. Die Einzelheiten des Unfallherganges sind streitig.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagten in vollem Umfang für den Unfall haften, da der Beklagte zu 1) unangekündigt einen Fahrstreifenwechsel vollzogen und hierdurch den Unfall verursacht habe. Hierzu behauptet sie, dass der Beklagte zu 1) plötzlich, ohne dies durch den Fahrtrichtungsanzeiger anzuzeigen, den Fahrstreifen von links nach rechts gewechselt und dabei ihr Fahrzeug seitlich touchiert habe, in deren Folge sie auf die Gegenfahrbahn geschleudert worden sei. Vor Ort habe der Beklagte zu 1) ihr gegenüber spontan geäußert, dass er sie nicht gesehen habe.

Durch den Unfall sei ihr ein Sachschaden in Höhe von 3.51408 € entstanden, der sich aus dem Fahrzeugschaden in Höhe von 1.860,00 €, einem Nutzungsausfall in Höhe von 532,00 €, Sachverständigenkosten in Höhe von 323,51 €, Standkosten von 259,84 €, Abmelde- und Neuzulassungskosten in Höhe von 121,20 €, Schadensersatz für eine beschädigte Sonnenbrille von 60,00 € und einem beschädigten Werkzeugkasten in Höhe von 30,00 €, Kosten für durch die Feuerwehr durchgeführte Beräumungskosten von 164,76 €, diversen Heilbehandlungskosten in Höhe von insgesamt 147,77 € sowie einer Unfallkostenpauschale in Höhe von 25,00 € zusammensetze.

Zudem habe sie unfallbedingt einen Schock, eine Prellmarke am linken Hemithorax, Hämatome an und in der linken Brust, eine Gurtprellung im Bereich linke regio der clavicula, eine Prellung volarseitig am rechten Handgelenk, ein HWS-Schleudetrauma mit eingeschränkter Rotation der HW bei 70 Grad und andauernde Rückenschmerzen erlitten. Vom 20. bis 28 Oktober 2005 und vom 15. bis 29. November 2005 sei sie arbeitsunfähig gewesen. Auch heute leide sie noch unter Schmerzen und den psychischen Folgen des Unfalls; insbesondere an Bluthochdruck und hierdurch bedingt an erheblichen Herz- und Kreislaufbeschwerden sowie unter erheblichen psychischen Problemen, die auf den Unfall zurückzuführen seien. Im Zeitraum Januar bis Mai 2006 habe sie sich unfallbedingt in physiotherapeutischer Behandlung befunden. Angesichts dieser Verletzungen, Beeinträchtigungen und Dauerfolgen sei – so meint die Klägerin – ein Schmerzensgeld von mindestens 3.500,00 € angemessen.

Zudem seien ihr unfallbedingt vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 358,49 € entstanden, die sie ebenfalls erstattet verlange.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 3.514,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 3.149,30 € seit dem 24. Dezember 2005 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie zusätzlich ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch einen Betrag von 3.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 3.000,00 € seit dem 24. Dezember 2005 zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verpflichtet sind, der Klägerin jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem Verkehrsunfall mit dem Beklagten zu 1) vom … in … noch entstehen wird, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind;

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen weiteren Betrag von 358,49 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen;

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, dass Ursache des Unfalls ein Fahrfehler der Klägerin gewesen sei. Denn diese – so behaupten die Beklagten weiter – habe plötzlich ihr Fahrzeug nach rechts gegen den Bordstein gelenkt und sei aufgrund dessen an den vom Beklagten zu 1) gesteuerten Lkw geraten. Der Beklagte zu 1) habe hingegen nicht den linken Fahrstreifen gewechselt. Insoweit sei der Verkehrsunfall für den Beklagten zu 1) vielmehr unvermeidbar gewesen.

Auch bestreiten sie die von der Klägerin behaupteten Verletzungen, Beschwerden und Dauerfolgen und hinsichtlich der geltend gemachten Heilbehandlungskosten, dass die Kosten für die Anschaffung eines Blutdruckmeßgerätes in Höhe von 12,99 €, für Heilmittel Apotheke in Höhe von 5,00 €, Zuzahlungen Physiotherapie über 14,86 €, 14,32 € und 18,10 € und die Anschaffung eines weiteren besseren Blutdruckmeßgerätes auf das Unfallgeschehen zurückzuführen seien.

Das Gericht hat über den Unfallhergang Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens der DEKRA Automobil GmbH vom 15. August 2008 und mündlicher Anhörung des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) …, wobei wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Sitzungsniederschriften vom 26. September 2007 (Bl. 58 ff. Bd. I d.A.), 05. Dezember 2007 (Bl. 76 ff. Bd. I d.A.), vom 30. Juli 2009 (Bl. 179 Bd. I d.A.) und vom 10. März 2010 (Bl. 24 ff. Bd. II d.A.), auf das Gutachten vom 15. August 2008 und die Sitzungsniederschrift vom 18. November 2009 (Bl. 2 ff. Bd. II d.A.) Bezug genommen wird.

Das Gericht hat sodann Beweis erhoben über die von der Klägerin erlittenen Verletzungen und Beschwerden durch Vernehmung der Zeugen … und durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, wobei wegen des Beweisergebnisses auf die Sitzungsniederschriften vom 25. Mai 2011 (Bl. 73 Bd. II d.A.), vom 17. Oktober 2011 (Bl. 91 Bd. II d.A.) und vom 01. November 2011 (Bl. 98 Bd. II d.A.) sowie auf das Gutachten des Dr. med. P. … (Bl. 124 ff. Bd. II d.A.) und dessen Ergänzung vom 05. April 2012 (Bl. 143 ff. Bd. II d.A.) verwiesen wird.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

Verkehrsunfall - Haftung eines Fahrspurwechslers
Symbolfoto: Von Dmitry Kalinovsky/Shutterstock.com

Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 6.514,08 € nach §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB iVm §§ 7, 17 StVG, § 1, 3 PflVG.

Zunächst kann keine der Parteien für sich in Anspruch nehmen, dass der Unfall für den jeweiligen Fahrzeugführer ein die Gefährdungshaftung ausschließendes Ereignis höherer Gewalt i.S.v.§ 7 Abs. 2 StVG gewesen ist und auch nicht, dass es sich um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG gehandelt hat, dass also der Unfall auch von einem Idealfahrer trotz Beachtung der größtmöglichen Sorgfalt nicht zu verhindern war, wie sich aus den nachfolgenden Darlegungen ergibt.

Es ist daher nach § 17 Abs. 1 StVG eine Haftungsverteilung vorzunehmen, die nach dem Maß der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu erfolgen hat, wobei lediglich neben feststehenden bzw. unstreitigen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen sind.

Nach diesen Grundsätzen führt die gebotene Abwägung vorliegend dazu, dass die Beklagten den unfallkausalen Schaden der Klägerin in voller Höhe zu erstatten haben.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Ursache des Unfalles der beginnende Fahrspurwechsel des vom Beklagten zu 1) geführten Fahrzeuges gewesen ist, in dessen Folge die Klägerin mit ihrem Fahrzeug eine Ausweichbewegung nach rechts vollzogen hat, sodann mit dem Beklagtenfahrzeug kollidiert und auf die Gegenfahrbahn geschleudert worden ist.

Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden ist somit „bei dem Betrieb“ des von dem Beklagten zu 1) geführten Kraftfahrzeuges entstanden (§ 7 Abs. 1 StVG), wobei dieses Haftungsmerkmal entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen ist (vgl. BGH, MDR 1988, 850). Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe, wobei es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist (a.a.O.; BGH, VersR 2005, 566). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn der Geschädigte durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu einer Reaktion, wie z.B. zu einem Ausweichmanöver veranlasst wird und dadurch ein Schaden eintritt (z.B. BGH, Urteil vom 21. September 2010, Gesch.-Nr. VI ZR 265/09, zitiert nach juris).

So verhält es sich hier.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) … steht fest, dass sich zu dem Zeitpunkt, als das Klägerfahrzeug nach rechts gelenkt hat, der Lastzug der Beklagten sich bereits zu Beginn des Spurwechselvorganges und dabei auf der rechten Fahrspur befunden hat. Letzteres ergebe sich aus der, auf der rechten Fahrspur gesicherten Blockierspur von einer Länge von 1,8 m, die dem mittlerem rechten Rad des Sattelaufliegers des Beklagtenfahrzeugs zuzuordnen ist (Seite 11 und Anlage 01 des Gutachtens). Anhand der weiteren, vor Ort gesicherten Spuren beider unfallbeteiligten Fahrzeuge, Splitterfelder, Endstellung und dokumentierte Beschädigungen der Fahrzeuge ist des weiteren davon auszugehen, dass die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs ca. 48 bis 55 km/h und die des Klägerfahrzeugs ca. 55 bis 70 km/h betragen hat.

Dass das klägerische Fahrzeug infolge der Ausweichbewegung vorkollisionär mit dem rechten Vorderrad an den Bordstein geprallt ist, könne er hingegen nicht mit ausreichender Sicherheit feststellen. Aufgrund einer schlechten Bildqualität der Lichtbilder betreffend der Beschädigungen des rechten Vorderrades des Klägerfahrzeuges und des Bordsteines könne ein solcher Aufprall nicht eindeutig bestätigt werden, werde jedoch für wahrscheinlich gehalten. Der von der Beklagtenseite geschilderte Unfallhergang, wonach das Klägerfahrzeug plötzlich nach rechts gegen den Bordstein geraten und sodann hinter dem Beklagtenfahrzeug auf die Gegenfahrbahn geschleudert worden sei, lasse sich hingegen mit den gesicherten Spuren und den festgestellten Endstellungen der Fahrzeuge hingegen nicht vereinbaren. Vielmehr sei aus sachverständiger Sicht der beginnende Spurwechselvorgang des Beklagtenfahrzeuges als Ursache der Ausweichbewegung des Klägerfahrzeugs mit der darauffolgenden Schleuderbewegung anzusehen.

Das Gericht folgt den überzeugenden und nachvollziehbaren Angaben des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) …, die dieser in seiner mündlichen Anhörung nochmals sachkundig erläutert hat und schließt sich seinen Ausführungen nach eigener kritischer Prüfung an. Der Sachverständige ist von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen, hat seine Berechnungen und deren Ergebnisse nachvollziehbar geschildert und daraus folgerichtig seine Schlussfolgerungen abgeleitet.

Die Ausführungen des Sachverständigen werden zudem bestätigt durch die detaillierten Bekundungen des Zeugen ….

Dieser, der zur Unfallzeit sich mit seinem Fahrzeug, einem Honda VAN, als drittes Fahrzeug hinter dem vom Beklagten zu 1) geführten Lastkraftwagen befunden hat und – nach seiner Bekundung – aufgrund seiner erhöhten Sitzposition einen guten Einblick auf das Unfallereignis hatte, hat glaubhaft geschildert, dass der Lkw-Fahrer plötzlich nach rechts gezogen sei, weshalb er – der Zeuge – wegen dem auf der rechten Fahrspur befindlichen Klägerfahrzeug bereits für sich angenommen hatte, dass der LKW es nicht schaffen könnte, vor dem Klägerfahrzeug auf die rechte Spur zu gelangen, was dann so auch zugetroffen habe. Dass das Beklagtenfahrzeug geblinkt habe, habe er nicht gesehen, wobei er aber auch nicht ausschließen könne, dass hier seine Sicht gegebenenfalls durch andere Fahrzeuge verdeckt gewesen sei.

Das Gericht folgt diesen Angaben des Zeugen, da der von ihm geschilderte Sachverhalt glaubhaft und widerspruchsfrei war. Der Zeuge war zudem glaubwürdig. Dass er um Wahrheit bemüht war, wird zudem dadurch verdeutlicht, dass er Details – wie hier, ob das Beklagtenfahrzeug geblinkt hatte – weniger konkret beantwortete und dabei seine Unsicherheiten klar zu erkennen gab. Wenn es ihm allein darum gegangen wäre, eine für die Klägerin günstige Aussage zu machen, wäre dieses Aussageverhalten aber nicht erklärlich.

Auch nach der Aussage des Zeugen … steht fest, dass das Beklagtenfahrzeug mit seinem vorderen Rad bereits auf der rechten Spur gewesen ist.

Soweit der Zeuge … in seiner Vernehmung vor dem erkennenden Gericht eine abweichende Sachverhaltsschilderung bekundet hat, wird dem nicht gefolgt, da diese Schilderung im Widerspruch zu den, von den anderen Zeugen bekundeten objektiven Vorgängen und den Sachverständigenfeststellungen steht und aufgrund des Zeitablaufes zwischen dem Unfallereignis und der Zeugenvernehmung von etwa 4 1/2 Jahren auch Bedenken bestehen, dass der Zeuge an den Unfall noch eine gute Erinnerung hatte.

Nach diesem Beweisergebnis ist dem Beklagten zu 1) ein grober Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO vorzuwerfen, wonach ein Fahrstreifen nur dann gewechselt werden darf, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Dies hat der Beklagte zu 1) nicht beachtet, da er ohne eine ausreichende Rückschau gehalten zu haben oder in einem genügendem Abstand vor dem neben sich befindlichen Klägerfahrzeug die Spur gewechselt hat und hierdurch die Klägerin gefährdete. Bei einer ausreichenden Rückschau hätte der Beklagte zu 1) jedoch den Zeugenbekundungen zufolge die neben seinem Fahrzeug befindliche Klägerin wahrnehmen müssen; zu einer solchen Rückschau haben die Beklagten jedoch nichts vorgetragen. Etwaige Schätzungsfehler hinsichtlich des Abstands des bevorrechtigten Fahrzeugs gehen zudem zu Lasten des Wartepflichtigen (z.B. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., StVO § 8 Rn 57). Auf der viel befahrenen zweispurigen innerörtlichen Straße musste der Beklagte jedoch damit rechnen, dass auf der rechten Fahrspur sich andere Verkehrsteilnehmer befinden, weshalb besondere Aufmerksamkeit für ihn geboten war, um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Mithin hat der Beklagte zu 1) die bei einem Fahrstreifenwechsel nach § 7 Abs. 5 StVO geforderte Einhaltung äußerster Sorgfalt nicht beachtet.

Dass das Beklagtenfahrzeug zudem nicht geblinkt hat, ist jedoch nicht erwiesen, da die Zeugen hierzu widerstreitende Aussagen getätigt haben.

Zu Lasten der Klägerin ist hingegen lediglich die Betriebsgefahr des von ihr geführten Fahrzeugs zu berücksichtigen – die vorliegend bereits geringer als die der vom Beklagten zu 1) geführten Zugmaschine mit Sattelauflieger einzustufen ist – und die bei einem sorgfaltswidrigen Fahrspurwechsel regelmäßig zurücktritt (vgl. Grüneberg, Haftungstabellen bei Verkehrsunfällen, Rd. 155; KG VM 1988, 50; OLG Koblenz, VersR 1994, 361). Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die ein Mitverschulden des anderen belegen (OLG Bremen, VersR 1997, 253).

Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Für ein etwaiges mitwirkendes Verschulden der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen die allgemeine verkehrsrechtliche Grundregel aus § 1 Abs. 2 StVO fehlt es an einer ausreichend gesicherten Tatsachengrundlage, da die Beklagten weder Tatsachen dargelegt noch bewiesen haben, aus denen folgt, dass die Klägerin den beabsichtigten Spurwechsel des Beklagten zu 1) hätte rechtzeitig erkennen können und auch noch in der Lage gewesen wäre, unfallverhütend zu reagieren, das heißt vor dem Spurwechsel abzubremsen und/oder anzuhalten.

Ein mitwirkendes Verschulden ergibt sich auch nicht daraus, dass der Sachverständige eine Ausgangsgeschwindigkeit des Klägerfahrzeugs von 55 km bis 70 km/h ermittelt hat und somit eine nachgewiesene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 5 km/h vorliegt. Denn es fehlt an der Darlegung der Kausalität einer solchen Geschwindigkeitsüberschreitung für den Unfall. Grundsätzlich beseitigt ein Verstoß gegen die zugelassene Höchstgeschwindigkeit nicht die an sich bestehende Bevorrechtigung eines Verkehrsteilnehmers gegenüber einem Wartepflichtigen, da letzterer damit rechnen muss, dass bevorrechtigte Fahrzeuge die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch deutlich überschreiten. Der rechtliche Zusammenhang zwischen Geschwindigkeitsüberschreitung und Unfall ist vielmehr nur dann zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre (vgl. BGH, NJW 2003, 1929). Hierzu haben die Beklagten jedoch überhaupt nichts vorgetragen; auch steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme gerade nicht fest, dass die Klägerin bei Einhaltung einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h den Unfall hätte vermeiden können.

Die Beklagten haften daher der Klägerin für deren unfallbedingten Schaden in vollem Umfang.

Der Höhe nach beläuft sich der von den Beklagten zu ersetzende Sachschaden nach der detaillierten Aufstellung der Klägerin in ihrer Klageschrift vom 18. Januar 2007 (dort ab Seite 5) auf 3.514,08 €.

Die Beklagten sind dem Großteil dieser Schadenspositionen nicht entgegengetreten. Soweit sie ursprünglich einzelne Heilbehandlungskosten bestritten haben, hat die Klägerin ihren Vortrag hierzu nach gerichtlichem Hinweis substantiiert, worauf die Beklagten nicht erwidert haben. Insoweit sind auch diese Positionen als unstreitig anzusehen.

Die Beklagten sind ferner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3.000,00 € nach § 253 Abs. 2 BGB verpflichtet.

Nach der auch hierzu umfangreich durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere den glaubhaften Bekundungen des Zeugen … steht fest, dass die Klägerin sich durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall multiple Prellungen und Hämatome im Brustbereich, eine Gurtprellung an der linken regio der clavicula sowie am rechten Handgelenk zugezogen hatte. Auch hat sie unfallbedingt ein HWS-Schleudertrauma mit eingeschränkter Rotation der Halswirbelsäule sowie Schmerzen an der Halswirbelsäule, im Rückenbereich und am linken Schulter- und Oberarmbereich, die längere Zeit andauerten, erlitten.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. … ist zudem davon auszugehen, dass der Klägerin durch den Unfall ein Dauerschaden in Form einer arteriellen Hypertonie mit hypertensiver Herzkrankheit und einer posttraumatischen Belastungsstörung verblieben ist.

Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 21. Februar 2012 und seiner Ergänzung vom 05. April 2012 nachvollziehbar dargetan, dass ihm eine eindeutige kausale Zuordnung beider Krankheiten auf den Unfall zwar nicht mehr möglich ist, diese jedoch aufgrund der ihm vorliegenden Anknüpfungspunkte für wahrscheinlich hält und andere Ursachen hierfür eher ausschließt. Dies begründet der Sachverständige überzeugend damit, dass eine dauerhafte Blutdruckerhöhung erst nach dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall festgestellt worden ist. Dies wird auch durch die, die Klägerin behandelnden Ärzten, den Zeugen …, bestätigt. Auch sei – den weiteren Ausführungen des Sachverständigen zufolge – ein Autounfall als Ursache der posttraumatischen Belastungsstörung in der Literatur anerkannt und hier auch nachvollziehbar, während ein Trauerzustand nach Angehörigenverlust meist in einer geringeren Zeit abgeschlossen sei und er daher einen solchen als Ursache für die hier festgestellte Belastungsstörung nicht für wahrscheinlich halte.

Auch diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht nach eigener kritischer Überprüfung an und macht sie sich zu eigen.

Unter Berücksichtigung der von den Zeugen … bekundeten Dauer der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit von ca. 3 Wochen und der vorgenannten Verletzungen, Beeinträchtigungen und insbesondere der verbliebenen Dauerfolgen erachtet das Gericht daher ein Schmerzensgeld von 3.000,00 € als angemessen, aber auch ausreichend.

Darüber hinaus steht der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung der ihr vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 358,49 € als weitere notwendige Schadenskosten zu (§ 249 BGB).

Der Zinsanspruch rechtfertigt sich unter dem Gesichtspunkt des Verzuges, §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

Schließlich kann die Klägerin auch die Feststellung verlangen, dass die Beklagten dem Grunde nach verpflichtet sind, ihr alle (zukünftigen) materiellen und immateriellen Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall zu ersetzen.

Für das erforderliche Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO ist es bei Verletzung eines absoluten Rechts – wie hier der körperlichen Unversehrtheit der Klägerin – ausreichend, wenn künftige Schadensfolgen auch nur entfernt möglich sind, ihre Art, ihr Umfang und ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (vgl. Zöller/Greger, Rd. 8 a zu § 256 ZPO).

Dies ist hier angesichts der Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. … der Fall, wonach bei der Klägerin als Dauerfolge eine arterielle Hypertonie und eine posttraumatische Belastungsstörung verblieben sind und insoweit künftige Schadensfolgen nicht ausgeschlossen, deren Art, Umfang und Eintritt aber noch ungewiss sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO; die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1 und 2, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 3 ZPO, 48 Abs. 1 GKG, wobei das Gericht den Streitwert für den Klageantrag zu 1) auf 3.514,08 €, für den Klageantrag zu 2) auf 3.500,00 € und für den Klageantrag zu 3) auf 2.000,00 € bemessen hat.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 9.014,08 € festgesetzt.

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