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Verkehrsunfall: günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt

AG Neu-Ulm, Az.: 7 C 923/15, Urteil vom 19.01.2016

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 1354,42 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.08.2015 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 255,85 an außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.08.2015 zu bezahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Verkehrsunfall: günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt
Symbolfoto: REDPIXEL.PL/Bigstock

Die Klägerin macht restliche Schadensersatzansprüche gegen die beklagte Versicherung aus einem Verkehrsunfall am 27.02.2015 in Neu-Ulm/Ludwigsfeld geltend.

Bei dem Verkehrsunfall wurde der Pkw VW Polo der Klägerin mit dem amtl. Kennzeichen … beschädigt. Die 100 %ige Haftung der Beklagten für die bei dem Unfall entstandenen Schäden ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin beauftragte am 04.03.2015 den Sachverständigen … mit der Ermittlung des Fahrzeugschadens. Die Reparaturkosten betragen nach den Feststellungen des Sachverständigen im Gutachten vom 07.03.2015 (Anlage K 3) brutto 3061,76 €. Der Wiederbeschaffungswert wurde mit 4600,– € beziffert. Ein Restwert für das Fahrzeug wurde in Höhe von 2250,– € festgestellt. Der Reparaturaufwand beträgt damit 3061,76 €, der Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert 4600,– € abzüglich Restwert 2250,– €) beträgt demnach 2350,– €.

Die Klägerin nutzte das verunfallte Fahrzeug für mindestens 6 Monate weiter (Weiterbenutzungserklärung Anlage K 4) und begehrt nun von der Beklagten die Erstattung der Nettoreparaturkosten entsprechend des Gutachtens des Sachverständigen … in Höhe von 2572,91 Euro.

Auf die Reparaturkosten hat die Beklagte vorgerichtlich 1218,49 Euro gezahlt. Die Klägerin begehrt mit der Klage die verbleibenden 1354,42 Euro.

Die Klägerin beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 1354,42 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Euro 255,85 an außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, Klageabweisung.

Die Beklagte behauptet, die erforderlichen Reparaturkosten für das verunfallte klägerische Fahrzeug beliefen sich laut Prüfungsgutachten (Anlage B 1) auf 1392,64 Euro netto. Die Reparatur könne sach- und fachgerecht und gleichwertig der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt bei der Firma … durchgeführt werden. Die Stundensätze des Referenzbetriebs beliefen sich auf 85,60 Euro netto für Arbeiten an der Karosserie, Mechanik und Elektrik, auf 142,– Euro netto für die Lackierarbeiten incl. Material. Die Klägerin müsse sich auf die angegebene Referenzwerkstatt verweisen lassen, da es sich bei dieser Werkstatt um eine ohne weiteres zugängliche und gleichwertige Reparaturmöglichkeit zu Stundensätzen und Materialkosten handle, bei denen es sich um keine Sonderkonditionen für die Beklagte handle, sondern um die sämtlichen Kunden zugänglichen üblichen Stundensätze. Es handle sich zudem um einen zertifizierten ZKF-und Eurogarantfachbetrieb, welcher der Klagepartei zur Verfügung stand. Das klägerische Fahrzeug sei zudem im Zeitpunkt des Unfalls älter als 3 Jahre gewesen und nicht ausschließlich in VW-Vertragswerkstätten repariert worden.

Die zunächst bestrittene Erforderlichkeit von Beilackierungskosten, welche laut Prüfgutachten der Beklagten vom 17.09.2015 in Abzug gebracht wurden, wurde zuletzt im Termin von der Beklagtenseite unstreitig gestellt.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen … . Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Protokoll des Hauptverhandlungstermins vom 12.01.2016.

Zum übrigen Parteivorbringen wird verwiesen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt deren Anlagen sowie das Protokoll der Verhandlung vom 12.01.2016.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls Anspruch auf Zahlung weiteren Schadensersatzes in Höhe von 1354,42 Euro und Erstattung restlicher vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 255,85 Euro gemäß §§ 7 I StVG, §§ 249 ff. BGB, 150 I S. 1 Nr. 1 VVG.

Die Klägerin kann im Rahmen der fiktiven Abrechnung auf Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen … vom 07.03.2015 gegenüber der Beklagten Reparaturkosten in Höhe von 2572,91 Euro abrechnen. Auch unter Berücksichtigung der grundsätzlich geltenden Schadensminderungspflicht des Geschädigten gemäß § 254 II BGB, muß sich die Klägerin von der Beklagten nicht auf die benannte günstigere Reparaturmöglichkeit bei der Firma … verweisen lassen.

Die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensabrechnung sind bei der Klägerin gegeben. Der Geschädigte darf grundsätzlich die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstätte zugrundelegen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Diese Voraussetzungen sind durch das von der Klägerin eingeholte Gutachten des Sachverständigen … vom 07.03.2015 erfüllt.

Unter Umständen ist jedoch der Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt möglich, wenn der Schädiger darlegt und beweist, daß die Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und der Geschädigte keine Umstände aufzeigt, die ihm eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen (vgl. hierzu BGH in NJW 2013, 2817 mit weiteren Nachweisen). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann der Verweis auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit bei einer fiktiven Schadensabrechnung gegebenenfalls auch noch im Rechtsstreit erfolgen (vgl. BGH aaO.)

Durch die Vorlage des Prüfgutachtens vom 17.09.2015 (Anlage B 1) während des Rechtsstreits hat die Beklagte der Klägerin eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit, auf die sich die Klägerin hätte einlassen müssen, jedoch nicht nachgewiesen.

Zwar ist die Beklagte ihrer Darlegungs- und Beweislast insofern nachgekommen, als es sich bei der genannten Referenzwerkstatt … um eine vom Qualitätsstandard her einer markengebundenen Fachwerkstatt entsprechenden Werkstätte handelt. Zudem wäre die Werkstatt … für die Klägerin mühelos zu erreichen gewesen, da sie sich weniger als 20 km von ihrem Wohnort befindet.

Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme. Der Zeuge … gab an, daß es sich bei der Firma … um einen Eurogarantfachbetrieb handele, welcher ausschließlich nach Herstellerrichtlinien mit Originalersatzteilen arbeitet. Zwar gab dieser auch an mit Versicherungen zusammenzuarbeiten, auch mit der Beklagten, jedoch handele es sich bei den Stundenverrechnungssätzen der … um Preise, die Jedermann zugänglich seien und keine Sonderkonditionen mit der Beklagten darstellten.

Nach einer jüngst ergangenen Entscheidung des Landgerichts Memmingen (vgl. Landgericht Memmingen, Az. 11 S 1713/14), der sich das erkennende Gericht anschließt, ist es jedoch auch für eine erfolgreiche Verweisung auf eine freie Werkstatt erforderlich, daß der Schädiger darlegt und beweist, daß die vom Schädiger benannte Reparaturwerkstatt tatsächlich im konkreten Fall bereit gewesen wäre, einen entsprechenden Auftrag des Klägers zu den von der Beklagten genannten Preisen auszuführen. Es genügt somit nicht nur der abstrakte Hinweis auf billigere Reparaturkosten einer Referenzwerkstatt, sondern notwendig ist die konkrete Darlegung und der konkrete Beweis, daß eine Reparaturmöglichkeit dem Geschädigten ohne Weiteres zugänglich gewesen wäre. Die Beklagte hätte demnach darlegen und beweisen müssen, daß die Firma … tatsächlich zur Reparatur zu den von der Beklagten genannten Bedingungen bereit gewesen wäre. Dies hat die durchgeführte Beweisaufnahme, die Zeugeneinvernahme des …. nicht ergeben. Dieser gab vielmehr an, eine Erklärung gegenüber der Beklagten nicht abgegeben zu haben, daß er das klägerische Fahrzeug für netto 1392,64 Euro reparieren könne. Er gab vielmehr an, daß das Fahrzeug der Klägerin ihm völlig unbekannt sei und es einen derartigen Schadensfall in seiner Firma nicht gegeben habe. Er kenne weder den Schadensfall noch den Umfang dieses Schadens. Der Beweis, daß die Firma … tatsächlich überhaupt in der Lage und bereit gewesen wäre, das Fahrzeug der Klägerin zu den behaupteten Konditionen reparieren zu können, wurde daher nicht erbracht.

Durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall sind demnach am klägerischen Fahrzeug Gesamtreparaturkosten in Höhe von 2572,91 Euro angefallen.

Die Abzüge, die die Beklagte vorgenommen hat, waren nicht berechtigt. Zum einen kommt die Beklagte in ihrem Prüfgutachten Anlage B 1 bereits nach eigener Berechnung zu schadensbedingten Aufwendungen in Höhe von 1392,64 Euro, damit 179,97 Euro mehr als die bereits geleistete Zahlung in Höhe von 1218,49 Euro. Desweiteren wurden die in Abzug genommenen Beilackierungskosten unstreitig gestellt und desweiteren war die Verweisung auf eine günstigere nicht markengebundene Referenzwerkstatt vorliegend nicht zulässig. Die Beklagte hat daher unter Anrechnung der bereits geleisteten Zahlung in Höhe von 1218,49 Euro noch restlichen Schadensersatz in Höhe von 1354,42 Euro an die Klägerin zu bezahlen.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB.

Die Klägerin kann von der Beklagten schließlich auch gemäß §§ 280, 286 BGB Ersatz der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen, welche die Klagepartei korrekt berechnet hat und gegen welche die Beklagte der Höhe nach auch keine Einwendungen erhoben hat. Es sind daher noch 255,85 Euro außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zu bezahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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