Az.: 323 S 78/13
Urteil vom 25.03.2014
Leitsätze vom Verfasser: Ein Geschädigter verstößt durch die Nichtwahrnehmung einer günstigeren Reparaturmöglichkeit insbesondere dann nicht gegen seine Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, die beschädigte Sache der Verweisungs-Reparaturwerkstatt zur Reparatur anzuvertrauen (vgl. BGH NJW 2010, 2725). Diese Voraussetzung ist in erster Linie gegeben, wenn die niedrigeren Stundenverrechnungssätze Sonderkonditionen darstellen, die auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen der Werkstatt und dem Haftpflichtversicherer beruhen. Nach Auffassung des Landgerichts Hamburg führt jegliche vertragliche Beziehung der gegnerischen Haftpflichtversicherung zu dem angegebenen Referenzreparaturbetrieb zur Unzumutbarkeit der Verweisung (Landgericht Hamburg, Az.: 323 S 78/13, Urteil vom 25.03.2014). Ein Geschädigter kann in diesen Fällen nicht auf eine Reparatur seines Fahrzeugs in der von der gegnerischen Versicherung angegebenen Werkstatt verwiesen werden.
Nach einem Verkehrsunfall kann man von der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung auch die Erstattung der fiktiven Kosten für eine möglicherweise notwendige Beilackierung verlangen. Für die Schadensfeststellung über die Höhe der notwendigen Reparaturkosten genügt, dass die Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme im Rahmen der Reparatur wahrscheinlich ist (Landgericht Hamburg, Az.: 323 S 78/13, Urteil vom 25.03.2014). Eine Beilackierung ist in der Regel grundsätzlich erforderlich, um eine Lackangleichung in angrenzenden Sichtflächenbereichen des Fahrzeugs vorzunehmen und einen anderenfalls entstehenden technischen Minderwert des Fahrzeugs zu vermeiden.
In dem Rechtsstreit erkennt das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 23 –auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2014 für Recht:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 22.10.2013 (Az.: 315a C 66/13) wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona dahingehend abgeändert, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, über die in erster Instanz ausgeurteilten Beträge hinaus an den Kläger weitere 280,99 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2013 sowie weitere 37,13 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2013 zu zahlen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona ist hinsichtlich Ziff. I. und II. des Tenors ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 22.10.2013 (Az.: 315a C 66/13) Bezug genommen.
Die Beklagte hat mit am 15.11.2013 eingegangenem Schriftsatz gegen das am 30.10.2013 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Berufung eingelegt. Die am 30.12.2013 eingegangene Berufungsbegründung ist dem Kläger am 07.01.2014 zur Berufungserwiderung binnen zwei Wochen zugestellt worden. Mit am 13.01.2014 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Anschlussberufung erklärt.
Die Beklagten machen mit der Berufung geltend, dass die Verweisung auf eine Reparatur bei der S. + S. GmbH dem Kläger zuzumuten sei. Dem stünden die „losen Absprachen” zwischen der Beklagten zu 1. und der Verweisungswerkstatt nicht entgegen.
Die Beklagten beantragen in der Berufungsinstanz, das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona (315a C 66/13) abzuändern und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen und der Klage auf die Anschlussberufung des Klägers in vollem Umfang stattzugeben.
Zur Begründung der Anschlussberufung macht er geltend, dass eine Beilackierung grundsätzlich erforderlich sei, um eine Lackangleichung in angrenzenden Sichtflächenbereichen vorzunehmen und einen anderenfalls entstehenden technischen Minderwert zu vermeiden. Eine solche Erforderlichkeit ergäbe sich auch nicht erst im Rahmen der Lackierarbeit.
Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung und die Anschlussberufung sind zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.
Die Berufung bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Die Anschlussberufung ist demgegenüber ganz überwiegend begründet
1. Das Amtsgericht hat dem Kläger zu Recht weiteren Schadensersatz in Höhe von 330,92 € aus §§ 7, 17 StVG; § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 VVG zugesprochen.
Insbesondere muss der Kläger sich nicht auf eine möglicherweise günstigere Reparaturmöglichkeit bei der S. + S. GmbH verweisen lassen. Eine solche Verweisung ist nämlich unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände dem Kläger nicht zumutbar.
Ein Geschädigter verstößt durch die Nichtwahrnehmung einer günstigeren Reparaturmöglichkeit insbesondere dann nicht gegen seine Schadensminderungspflicht i. S. d. § 254 Abs. 2 BGB, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, die beschädigte Sache der Verweisungs-Werkstatt zur Reparatur anzuvertrauen (vgl. BGH NJW 2010, 2725). Diese Voraussetzung ist in erster Linie gegeben, wenn die niedrigeren Stundenverrechnungssätze Sonderkonditionen darstellen, die auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen der Werkstatt und dem Haftpflichtversicherer beruhen.
Das Berufungsgericht neigt der Auffassung des Amtsgerichts zu, wonach auch jegliche vertragliche Beziehung des Haftpflichtversicherers zu dem Referenzbetrieb die Unzumutbarkeit der Verweisung begründet. Dies kann aber im Ergebnis dahinstehen, da es vorliegend schon aufgrund besonderer Umstände verständlich erscheint, dass bei einem objektiven und verständigen Geschädigten in der Person des Klägers die Befürchtung entstehen kann, durch eine Reparatur in der Verweisungswerkstatt das Fahrzeug einem von dem Schädiger – bzw. dessen Haftpflichtversicherer – gesondert ausgewählten Dritten überlassen zu müssen.
Maßgebend dafür ist das prozessuale Verhalten der Beklagten, welches aus Sicht eines Geschädigten durchaus die Annahme begründen kann, es sollten Inhalt und Tragweite einer Zusammenarbeit des Haftpflichtversicherers mit der Verweisungswerkstatt verschwiegen werden.
So ist die Beklagtenseite zunächst in der Klagerwiderung auf das Vorbringen des Klägers, er gehe von einer Kooperation zwischen der Beklagten zu 1. und der Referenzwerkstatt aus, überhaupt nicht eingegangen. Auf die ausdrückliche Auflage des Amtsgerichts in der Sitzung am 28.05.2013, näher zu den Vertragsverhältnissen, welche die Beklagte zu 1. mit der Verweisungswerkstatt pflegt, vorzutragen, ist sodann mit Schriftsatz vom 18.06.2013 lediglich pauschal erklärt worden, es bestehe eine „lose Partnerschaft”, wobei „in wenigen Fällen… auch eine Zuweisung im Rahmen des Schadensservice Plus” erfolge. Nachdem der Kläger daraufhin mit Blick auf den Inhalt des Internetauftritts der Beklagten zu 1. dargelegt hat, dass diese nach eigener Aussage im Rahmen ihres Tarifes Schadensservice Plus „Partnerwerkstätten unter Vertrag” habe, haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 22.08.2013 lediglich erklärt, die Beklagte zu 1. habe die S. + S. GmbH nicht „unter Vertrag”. Diese Behauptung lässt sich aber mit der zugestandenen Zusammenarbeit mit der Verweisungswerkstatt im Rahmen des sogenannten Schadensservice Plus nicht in Einklang bringen, da diese nach den eigenen Angaben der Beklagten zu 1. im Internet gerade mit einer vertraglichen Verbindung einhergeht.
Ein solches Verhalten ist aber nachvollziehbar geeignet, bei dem Geschädigten Zweifel hinsichtlich der Unabhängigkeit der Verweisungswerkstatt im Verhältnis zu der Beklagten zu 1. zu wecken. Bei ihm kann der Eindruck entstehen, dass die Beklagte zu 1. Gründe hat, die bestehende Sonderverbindung zu dieser Werkstatt ihm gegenüber jedenfalls nicht vollständig offenzulegen. Insbesondere ist der Inhalt der Zusammenarbeit mit der Verweisungswerkstatt von den Beklagten nicht näher und nachvollziehbar – etwa durch Vorlage einer schriftlichen Vereinbarung – konkretisiert worden, so dass aus Sicht des Klägers nicht ausgeschlossen werden kann, dass er über die Kooperation mit der Verweisungswerkstatt nicht umfassend informiert werden soll. Dies kann aber durchaus die Annahme begründen, mit einem solchen Verhalten solle auf die Auswahlentscheidung des Klägers bei der Reparatur des Fahrzeuges im Sinne der Schädigerseite Einfluss genommen werden.
Auch in der hier gegebenen Konstellation stünde eine Verweisung letztlich im Widerspruch zu der Ersetzungsbefugnis gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, weil mit dieser Regelung gerade einer objektiv nachvollziehbaren Befürchtung des Geschädigten Rechnung getragen werden soll, er könne bei Inanspruchnahme der Naturalrestitution weitere Nachteile erleiden.
2.
Der Kläger hat darüber hinaus auch einen Anspruch auf Erstattung der fiktiven Kosten für die Beilackierung in Höhe von 280,99 € aus §§ 7, 17 StVG, §§ 249, 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 115Abs. 1 VVG.
Für die Schadensfeststellung genügt es insofern gemäß § 287 ZPO, dass die Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme im Rahmen der Reparatur wahrscheinlich ist. Der Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 26.06.2013, dass die Beilackierung grundsätzlich – also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit – erforderlich sei, ist durch die Beklagten auch nicht erheblich bestritten worden. Die Behauptung, eine solche Maßnahme sei „nicht zwingend erforderlich” (vgl. den Prüfbericht der DEKRA vom 04.02.2013) steht einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nämlich gerade nicht entgegen.
Der Kläger kann zudem gemäß § 249 BGB die Zahlung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 37,13 € verlangen. Dabei waren insgesamt eine 1,3 Geschäftsgebühr auf einen berechtigten Gegenstandswert von 611,91 € zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer zu berücksichtigen
Die Zinsforderungen ergeben sich unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verzuges aus §§ 286 Abs. 1 S. 1 bzw. S. 2, 288 Abs. 1 BGB.
3. Demgegenüber bleibt die Anschlussberufung ohne Erfolg, soweit der Kläger weitere 4,80 € für eine Einwohnermeldeamtsauskunft verlangt.
Zwar steht der Zulässigkeit der Anschlussberufung insofern nicht entgegen, dass der entsprechende Antrag in erster Instanz in der letzten mündlichen Verhandlung am 17.09.2013 nicht mehr gestellt und daher zu Recht durch das Amtsgericht auch nicht darüber erkannt worden ist. Die Klagerweiterung ist nämlich gemäß §§ 533, 264 Nr. 2 ZPO zulässig. Die Anschlussberufung ist insofern aber unbegründet, da ein Schadensersatzanspruch nicht besteht. Die Einholung einer kostenpflichtigen Auskunft des Einwohnermeldeamts hinsichtlich der Beklagten zu 2. war nicht erforderlich, da die Informationen auch von deren Versicherer – der Beklagten zu 1. – ohne Weiteres zu erlangen gewesen wären.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Die Verweisung auf die nicht markengebundene Werkstatt ist vorstehend bereits aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar, die ihre Ursache in dem prozessualen Einlassungsverhalten der hiesigen Beklagten haben.