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Verkehrsunfall: Erstattung der Zusatzkosten für Vollkasko bei Mietwagenanmietung

AG Bremen, Az.: 9 C 102/13,Urteil vom 27.06.2013

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 313a I 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein weiterer Zahlungsanspruch in Höhe von 79,97 € aus abgetretenem Recht nicht zu (§§ 7, 18 StVG, 823 I, 249 I BGB, 115 I Nr. 1 VVG, 398 BGB). Der Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Anmietung eines Unfallersatzfahrzeugs in Höhe von ursprünglich 331,85 Euro ist durch vorgerichtliche Leistung in Höhe von 366,00 Euro erloschen.

Verkehrsunfall: Erstattung der Zusatzkosten für Vollkasko bei Mietwagenanmietung
Symbolfoto: tommaso79/Bigstock

Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Sie ist mit Abschluss der Abtretungsvereinbarung vom 5.11.2012 Gläubigerin der Forderung der Zedentin gegenüber dem Versicherungsnehmer der Beklagten auf Ersatz der Mietkosten aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 5.11.2012, Graubündener Straße in Bremen, geworden. Die Abtretung ist nicht unwirksam. Denn die Forderung war im Zeitpunkt der Abtretung zumindest bestimmbar (BGH, VersR 2011, 1008). Das Unfallereignis und die Beteiligten werden in der Abtretungsvereinbarung hinreichend konkret bezeichnet. Die Abtretung wird auf den Schadensersatzanspruch hinsichtlich der unfallbedingten „Mietwagenkosten“ beschränkt.

Die Abtretung verstößt auch nicht gegen §§ 3 RDG, 134 BGB. Der Einzug der Forderung des Geschädigten auf Erstattung der Mietwagenkosten durch das Mietwagenunternehmen ist nach herrschender Meinung als Nebenleistung im Sinne des § 5 I RDG erlaubt (BGH, VersR 2012, 458, BGH, Urteil vom 11. September 2012 – VI ZR 296/11).

Streitig ist vorliegend die Höhe der zu ersetzenden Kosten. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

Zur Berechnung der erstattungsfähigen Mietwagenkosten ist der Mittelwert der einschlägigen Werte nach der Fraunhofer-Liste und des Schwacke-Mietpreisspiegels heranzuziehen(LG Freiburg, BB 2012, 2766; LG Chemnitz, Schaden-Praxis 2012, 19; OLG Saarbrücken v. 22.12.2009 – 4 U 294/09, NJW-RR 2010, 541; LG Köln, VRR 2010, 425; LG Bremen, MDR 2012, 710). Durch diese Berechnungsmethode sind die Nachteile beider Listen bestmöglich ausgeglichen (Woitkewitsch, MDR 2013, 437 m.w.N.).

Der für die Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten grundsätzlich maßgebliche Normaltarif kann im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO ermittelt werden, wobei in vorhandenen Listen und Tabellen ausgewiesene Werte herangezogen werden können. Sowohl die sog. Fraunhofer-Liste als auch der sog. Schwacke-Mietpreisspiegel können als Grundlage für die Schätzung dienen. Allein der Umstand, dass die vorhandenen Erhebungen im Einzelfall zu deutlich voneinander abweichenden Ergebnissen führen können, genügt nicht, um grundsätzliche Zweifel an der Eignung der einen oder der anderen Liste zu begründen. Auch die von der Beklagten aufgeführten Kosten für eine vergleichbare Miete bei anderen Vermietern, die der Beklagtenvertreter ermittelt haben will, unterscheiden sich deutlich voneinander. Die unterschiedlichen Ergebnisse zeigen, dass eine verlässliche Antwort auf die Frage nach der zu erstattenden Kostenhöhe nur schwer zu geben ist, wobei Internetangebote regelmäßig auch keine vergleichbaren Konditionen beinhalten (vgl. LG Freiburg, BB 2012, 2766).

Erstattungsfähig sind diejenigen Kosten, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (BGH NJW 2012, 2026).

Demnach ergibt sich folgender zu ersetzender Schaden:

Maßgeblich sind allein die Kosten für die Anmietung eines mit dem Unfallwagen vergleichbaren Kraftfahrzeugs.

Bei dem beschädigten Fahrzeug der Zedentin handelt es sich um einen Renault Twingo. Ein solches Fahrzeug ist der Kategorie 1 zuzuordnen. Bezogen auf den PLZ-Bereich 282… ergibt sich ein Achttagespreis in Höhe von 493,28 Euro nach der Schwackeliste und von 244,16 Euro nach der Fraunhoferliste. Dabei ist der gemittelten Wochenpreis heranzuziehen(LG Freiburg BB 2012, 2766; OLG Celle v. 29.2.2012 – 14 U 49/11, MDR 2012, 760 = NJW-RR 2012, 802). Der gemittelte Anmietungspreis beziffert sich somit auf 368,72 Euro.

Da der Geschädigte während der Anmietungszeit das eigene Auto nicht (ab)genutzt hat, und mit dem Mietwagen immerhin 263 Kilometer zurückgelegt wurden, ist von dem gemittelten Anmietungspreis nach den Regeln des Vorteilsausgleiches ein Abzug von 10% vorzunehmen, so dass sich der zu ersetzende Betrag auf 331,85 Euro reduziert (BGH v. 2.2.2010 – VI ZR 139/08, MDR 2010, 567 = NJW 2010, 1445).

Nicht erstattungsfähig sind vorliegend die Kosten, die durch den Abschluss einer Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung angefallen sind (hier: 134,45 € netto).

Nach § 249 I BGB ist der Schädiger so zu stellen, als ob das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Zwar soll der Kfz-Eigentümer nach ganz herrschender Meinung bei Inanspruchnahme eines Mietwagens während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt und insofern zur Anmietung eines Mietwagens mit Vollkaskoschutz ohne Eigenbeteiligung berechtigt sein (Ohne ausführliche Begründung: OLG Celle, NJW-RR 2012, 802; OLG Celle, Schaden-Praxis 2010, 78; LG Bremen, MDR 2012, 708; wohl einzelfallbezogen: BGH NJW 2005, 1041: „Das wird insbesondere anzunehmen sein, wenn das beschädigte Fahrzeug schon älter war und als Ersatzfahrzeug ein wesentlich höherwertigeres Fahrzeug angemietet wird…“). Nach Ansicht des erkennenden Gerichts rechtfertigt dieses schwer begründbare und lediglich abstrakte Risiko jedenfalls nicht automatisch, den Geschädigten in den Genuss einer Versicherungsleistung kommen zu lassen, die ihm zuvor nicht zustand (AG Bremen, Urteil vom 28.3.2013, 9 C 581/12-JURIS); zum Zeitpunkt der einschlägigen BGH-Entscheidungen (BGHZ 61, 325, 331; VersR 1974, 657, NJW 2005, 1041) beinhalteten die Listenwerte noch keinen Vollkaskoschutz mit Selbstbeteiligung.

Vorliegend war das verunfallte Fahrzeug der Zedentin vollkaskoversichert, jedoch nur mit einer Selbstbeteiligung zu deren Höhe nicht vorgetragen wurde (Klägerschriftsatz vom 12.06.2012, S. 6). Die Kosten einer Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung sind in den herangezogenen Werten der Listen 2012 bereits enthalten; die Zusprechung der Kosten eines Vollkaskoversicherungsschutzes ohne Selbstbeteiligung würde daher auf eine Bereicherung der geschädigten Zessionarin im Anmietungszeitraum hinauslaufen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der verunfallte Renault Twingo im Unfallzeitpunkt ca. vier Jahre alt und der angemietete Ford Fiesta praktisch neuwertig war. Nach vier Jahren ist der Wert eines Fahrzeugs noch nicht so stark gesunken, dass das wirtschaftliche Risiko im Vergleich zu einem gerade erst zugelassenen Auto zu eklatanten Unterschieden führt.

Das Risiko, im Anmietungszeitraum einen Unfall zu erleiden, bleibt unabhängig davon, ob der eigene Wagen oder ein Mietfahrzeug genutzt wird, gleich hoch bzw. gering. Die Reparatur eines Altfahrzeugs und eines Neufahrzeugs ist hinsichtlich desselben Schadens gleich teuer. Es darf auch unterstellt werden, dass die Geschädigte, wäre sie im Anmietungszeitraum mit ihrem 4 Jahre alten Twingo verunfallt, ihr Fahrzeug – trotz Selbstbeteiligung – gleichwohl repariert hätte.

Ein erhöhtes wirtschaftliches Risiko erscheint daher allenfalls im Fall des Totalschadens begründbar, da es in diesem Fall auf den Wert des Fahrzeugs im Unfallzeitpunkt ankommt. Bei einem Totalschaden ist der Kostenfaktor der Selbstbeteiligung jedoch verhältnismäßig gering. Außerdem trüge der versicherte – und also stets solvente – Unfallgegner die Kosten des Totalschadens, soweit er den Unfall verursacht und das (neuwertige) Mietfahrzeug schuldhaft beschädigt hätte. Falls und soweit der Unfall vom Geschädigten/Mieter verschuldet wäre, erscheint es jedoch unbillig, den Geschädigten/Mieter von den (anteiligen) Kosten des schuldhaft selbst verursachten Schadens durch Zusprechung der Kosten einer Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung freizustellen; das erhöhte wirtschaftliche Risiko hätte der Geschädigte in diesem Fall redlicherweise selbst zu tragen.

Praktisch relevant wird die Selbstbeteiligung vielmehr bei den relativ häufig auftretenden Kleinschäden (Lackkratzer u.ä.). In diesen Fällen werden Altfahrzeuge aber in gleicher Weise wie Neufahrzeuge zum selben Preis repariert. Ein erhöhtes wirtschaftliches Risiko besteht de facto nicht. Die Erwägung, dass der Eigentümer bei selbstverschuldeten Beschädigungen am eigenen Fahrzeug frei entscheiden könne, ob er kleinere Kratzer an seinem Fahrzeug reparieren lässt, er aber solche Schäden am Mietfahrzeug stets reparieren lassen muss (so: LG Bremen, Urteil vom 23.02.2012, 7 S 262/11-JURIS, abgekürzt abgedruckt in MDR 2012, 708 ff) überzeugt nicht. Die Entscheidung eine Reparatur am eigenen Fahrzeug nicht durchzuführen, ist eine autonome Entscheidung des Mieters. Die Reparaturkosten für einen 2., während der Anmietungszeit erfolgten Unfall, hat der Schädiger des Erstunfalls selbstredend nicht zu erstatten; insofern kann hinsichtlich der diesbezüglichen Vorsorgekosten aber nichts anderes gelten. Erst recht nicht, wenn mit selbstverschuldeten Beschädigungen des Mieters/Geschädigten argumentiert wird. Für diese ist nur der Mieter/Geschädigte verantwortlich.

Die Mehrkosten des Versicherungsschutzes von vorliegend 134,45 € netto (=160,00 € brutto für 8 Tage) stehen zudem in keinem Verhältnis zu dem um ca. 500-750 € (entfallender Eigenanteil) gesteigerten Versicherungsschutz, zumal das Risiko eines Unfalls innerhalb von 8 Tagen bzw. von 263 Kilometern Laufleistung sehr gering ist. Die Zusatzkosten für den Versicherungsschutz ohne Selbstbeteiligung betragen vorliegend 42 % (!) des Mietzinses von 318,49 € netto. Von bloßen Nebenkosten kann insofern schwerlich gesprochen werden.

Offen bleibt, ob die Klägerin tatsächlich Versicherungskosten bzw. Mehraufwendungen in der geltend gemachten Höhe hatte oder ob es sich bei der – durch die Schwackeliste postulierten Position Vollkaskoschutz – tatsächlich überwiegend um verdeckte bzw. umdeklarierte Mietwagenkosten handelt. Denn die Klägerin trug zu den tatsächlichen Versicherungskosten nicht vor. Hochgerechnet betrüge der Versicherungspreis für den streitgegenständlichen Mietwagen des Typs Ford Fiesta auf das Jahr gerechnet 7.299,79 € (!), wohlgemerkt nur für den Versicherungsbonus ohne Selbstbeteiligung, da der Vollkaskoschutz als solcher bereits in den Listenwerten enthalten ist. Dies erscheint – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der nur kurzfristige Versicherungsschutz für ständig wechselnde Fahrzeugführer zu gewissen Mehrkosten führen dürfte – nicht ohne Weiteres nachvollziehbar.

In Ermangelung einer Hauptforderung besteht kein Anspruch auf Nebenforderungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 1, 713 ZPO.

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