LG Stuttgart – Az.: 13 S 205/13 – Urteil vom 04.06.2014
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 18.11.2013 – Az. 45 C 589/13 – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.117,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.03.2010 zu bezahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Berufungsstreitwert: 787 Euro.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt mit der Klage aus abgetretenem Recht nach erfolgter Teilzahlung den Ersatz weiterer Mietwagenkosten nach einem Unfall, welchen ein Versicherter der Beklagten verursachte. Das Amtsgericht hat der Klage nur zu einem kleinen Teil statt gegeben. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung.
Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen. Auf die Darstellung des Berufungsvorbringens wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a, 542, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO verzichtet.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene Berufung der Klägerin hat Erfolg.
1. Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht ein weiterer Schadensersatzanspruch aus einem Verkehrsunfall gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht gem. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i. V. m. §§ 7, 18 StVG, 823 Abs. 1, 398 BGB in Höhe von 1.117,20 Euro zu. Der Anspruch der Klägerin ist in Höhe von weiteren 1.117,20 Euro begründet, nachdem die Beklagte vorgerichtlich an die Klägerin bereits 952 Euro bezahlt hat.
a) Unstreitig ist, dass der bei der Beklagten Versicherte den Unfall vom 07.12.2009 allein verschuldete. Das Amtsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass der Geschädigte, der seinen Anspruch an die Klägerin abtrat, ein Mietfahrzeug für 14 Tage benötigte und darüber hinaus Anspruch auf Ersatz der Zustellungskosten und die Kosten für einen Zusatzfahrer habe (Urteil des Amtsgerichts Seite 4; Bl. 166 d. A.). Diese Feststellungen sind rechtskräftig.
b) Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz restlicher Mietwagenkosten in Höhe von 1.117,20 Euro. Die Geschädigte durfte als Ersatz unter Zugrundelegung des Schwacke-Mietpreisspiegels 2009 und unter Annahme der Mietwagenklasse 7 einen Betrag in Höhe von insgesamt 2.069,20 Euro verlangen. Nach Abzug der außergerichtlich bereits bezahlten 952 Euro besteht der Anspruch in Höhe der Klagforderung.
Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte vom Schädiger als erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs kann der Geschädigte grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen (BGH NJW 2008, 1519). Zur Beurteilung der Erforderlichkeit von Mietwagenkosten können nach § 287 ZPO Listen oder Tabellen herangezogen werden (BGH NJW-RR 2010, 1251). Der Bundesgerichtshof hat wiederholt klargestellt, dass der Tatrichter in Ausübung des Ermessens gem. § 287 ZPO den „Normaltarif“ grundsätzlich auf der Grundlage des Schwacke-Mietpreisspiegels im maßgebenden Postleitzahlengebiet ermitteln kann (BGH VersR 2010, 1054; VersR 2006, 986; VersR 2007, 516; VersR 2007, 1144; VersR 2008, 1370).
Anders als die Beklagte meint, ist das Berufungsgericht nicht an die vom Amtsgericht gem. § 287 ZPO vorgenommene Schätzung gebunden. Die Kammer zweifelt nämlich nicht an den vom Amtsgericht im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO festgestellten Tatsachen. Sie nimmt jedoch eine andere Würdigung vor. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urteil vom 24.04.2013, Az. 13 S 220/12) stellt der Schwacke-Mietpreisspiegel eine geeignete Schätzgrundlage dar. Zu dieser eigenen Schätzung ist das Berufungsgericht berechtigt, wie es beispielsweise auch zu einer eigenen Auslegung in Bezug auf die in erster Instanz festgestellten Tatsachen (BGH NJW 2004, 2751) oder zu einer eigenen Ermessensentscheidung (Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 529 Rn. 2) berechtigt und verpflichtet ist.
c) Soweit die Beklagte meint, die Klägerin habe im Übrigen darzulegen und ggf. zu beweisen, dass dem Geschädigten unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt zumindest auf Nachfrage kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen sei, vermengt sie die Frage der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB mit der Frage der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB. Die dafür maßgebenden Umstände haben nach allgemeinen Grundsätzen der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer darzulegen und ggf. zu beweisen. Es obliegt somit der Beklagten, konkrete Umstände aufzuzeigen, aus denen sich ergibt, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif ohne Weiteres zugänglich war.
Das heißt, die Eignung der herangezogenen Listen oder Tabellen bedarf nur dann der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken (BGH NJW 2011, 1947; BGH NJW-RR 2011, 1109; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2012, 3 U 120/11). Es wäre daher Aufgabe der Beklagten gewesen, konkrete Mängel dieses Mietpreisspiegels aufzuzeigen und entsprechenden Sachvortrag zu halten, dass ein vergleichbares Fahrzeug zu einem wesentlich günstigeren Preis von einem anderen, von ihr bezeichneten Mietwagenunternehmen hätte angemietet werden können (BGH NZV 2011, 333; OLG Stuttgart, aaO).
Nicht ausreichend sind pauschale Angriffe gegen die Schwacke-Liste wie in der Klagerwiderung vom 28.06.2013 (Seite 7 ; Bl. 27 d.A.). Es fehlt am konkreten Fallbezug. Zweifel an der Richtigkeit der Schwacke-Liste werden auch nicht dadurch begründet, dass die Beklagte in ihrer Klagerwiderung vom 28.06.2013 (Bl. 21 ff. d. A.) Angebote für die Anmietung eines vergleichbaren Fahrzeugs im Jahr 2013 vorlegt. Statt dessen hätte sie deutlich günstigere Angebote anderer Anbieter für den konkreten streitgegenständlichen Zeitraum am Ort der Anmietung aufzeigen müssen (BGH, Urteil vom 18.12.12, VI ZR 316/11), um Zweifel an der Schätzungsgrundlage zu wecken.
d) Im Wege der Vorteilsausgleichung hat sich die Klägerin ausnahmsweise keinen 10 %-igen Abzug für ersparte Aufwendungen für das eigene Fahrzeug des Geschädigten anrechnen zu lassen, weil sie als Vorteilsausgleich bereits eine Mietwagenklasse in der Abrechnung zurückgegangen ist.
e) Die Beklagte hat die Kosten für die Haftungsbeschränkung zu ersetzen. Der durch den Unfall Geschädigte ist während der Mietzeit eines Ersatzfahrzeugs grundsätzlich einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt und hat regelmäßig ein schutzwürdiges Interesse an einer entsprechenden Haftungsbeschränkung (vgl. BGH NJW 2005, 1041; 2006, 360). Im Schwacke-Mietpreisspiegel 2009 sind die Kosten der Haftungsbeschränkung noch nicht enthalten.
3. Das Bestehen des Zinsanspruchs hat das Amtsgericht bereits rechtkräftig bejaht. Es gelten die §§ 280 ff. BGB.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
2. Anlass, die Revision nach § 543 ZPO zuzulassen, besteht nicht, weil die Rechtssache als Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert. Die grundlegenden Rechtsfragen sind vom Bundesgerichtshof hinreichend geklärt.