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Verkehrsunfall eines ausscherenden Fahrzeugs – Haftung

Der Fahrspurwechsel des Beklagten zu 1 an einer Tankstelle in Lübeck führte zu einem Unfall mit einem Maserati Ghibli, bei dem ein Schaden von 10.400 € netto entstand. Das Landgericht Lübeck verurteilte die Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz und anteiliger Erstattung der Rechtsanwaltskosten. Der Unfall war für den Zeugen unvermeidbar, da der Beklagte zu 1 seine Sorgfaltspflicht verletzte.

→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 10 O 171/22

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Der Beklagte 1 hat beim Fahrspurwechsel seine Sorgfaltspflicht nach § 7 Abs. 5 StVO verletzt, indem er den Unfall nicht vermieden hat.
  • Der Anscheinsbeweis für die Verletzung der Sorgfaltspflicht wurde durch die Beklagten nicht erschüttert.
  • Der Unfall war für den Zeugen (Fahrer des Klägerfahrzeugs) unvermeidbar, da eine rechtzeitige Abwehrreaktion nicht möglich war.
  • Der Beklagte 1 hätte das Klägerfahrzeug bei korrekter Rückschau wahrnehmen müssen.
  • Das gerichtliche Sachverständigengutachten ermittelte unfallbedingte Reparaturkosten von maximal 10.400 € netto.
  • Ein Vorschaden am Klägerfahrzeug ist für die Schadenhöhe unerheblich, da räumlich getrennt vom Unfallschaden.
  • Die Klägerin hat somit einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 10.400 € netto gegen die Beklagten.

Fahrspurwechsel an Tankstelle: Haftung und Schadensersatz im Visier

Verkehrsunfälle sind leider immer noch eine häufige Ursache für Schäden und Verletzungen auf deutschen Straßen. Besonders brenzlig kann die Situation werden, wenn ein Fahrzeug die Fahrspur wechselt und dabei mit einem anderen Wagen kollidiert. In solchen Fällen stellt sich oft die Frage der Haftung und des Schadensersatzes.

Wer trägt die Verantwortung, wenn ein ausscherendes Fahrzeug einen Unfall verursacht? Wie lässt sich die Schadenshöhe rechtlich geltend machen? Welche Sorgfaltspflichten gelten für Fahrer, die die Fahrspur wechseln? Diese und weitere Aspekte rund um Verkehrsunfälle durch ausscherenden Verkehr werden im Folgenden anhand eines konkreten Gerichtsurteils näher beleuchtet.

Der Fall vor dem Landgericht Lübeck im Detail

Kollisionsfall: Fahrspurwechsel an einer Tankstelle

In einem Urteil vom 15. November 2023 befasste sich das Landgericht (LG) Lübeck mit einem Verkehrsunfall, der sich beim Fahrspurwechsel an einer Tankstelle ereignete. Die Klägerin, Halterin eines Maserati Ghibli, forderte von den Beklagten Schadensersatz für einen Unfall vom 9. September 2021.

Der Zeuge, welcher das Fahrzeug der Klägerin fuhr, befuhr die rechte von zwei Geradeausspuren der Fackenburger Allee in Lübeck. Der Beklagte zu 1, Fahrer eines VW Touran, befand sich auf der linken Geradeausspur. Als der Beklagte zu 1 die Fahrspur wechselte, um auf das Gelände einer Aral-Tankstelle zu gelangen, kam es zur Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin. Die Klägerin behauptete, der Beklagte zu 1 habe den Spurwechsel plötzlich und ohne Ankündigung eingeleitet. Der Zeuge habe noch versucht auszuweichen und sei dabei mit dem Fahrzeug des Beklagten und dem rechtsseitigen Bordstein kollidiert. Die Klägerin bezifferte den entstandenen Sachschaden anhand eines Gutachtens auf 22.975,01 € netto zuzüglich Wertminderung und Gutachterkosten.

Die Beklagtenseite argumentierte hingegen, dass der Zeuge mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei und die Ampel bei Gelblicht passieren wollte. Der Beklagte zu 1 gab an, den Fahrspurwechsel erst nach Rückschau und Setzen des Blinkers eingeleitet zu haben.

Gerichtliches Sachverständigengutachten gibt Aufschluss über Unfallhergang

Das Gericht holte ein Sachverständigengutachten zur Rekonstruktion des Unfallhergangs ein. Der Sachverständige stellte fest, dass der Unfall für den Zeugen unvermeidbar war, da der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug in das Fahrzeug der Klägerin hineinfuhr. Eine rechtzeitige Abwehrreaktion sei dem Zeugen unmöglich gewesen. Der Sachverständige betonte weiter, dass der Beklagte zu 1 das Fahrzeug der Klägerin bei korrekter Rückschau hätte sehen müssen. Das Gericht schloss sich dieser Einschätzung an und sah die Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten zu 1 als erwiesen an.

Schadenshöhe umstritten: Gericht reduziert Klageforderung deutlich

Strittig war jedoch die Höhe des entstandenen Schadens. Das Gericht beauftragte einen weiteren Sachverständigen mit der Begutachtung. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass das von der Klägerin vorgelegte Gutachten ungeeignet sei, da unfallfremde Schäden berücksichtigt und zu umfangreiche Reparaturen kalkuliert worden seien. Der gerichtlich bestellte Sachverständige ermittelte Reparaturkosten in Höhe von 10.400 € netto.

Teilerfolg für die Klägerin: Anspruch auf Schadensersatz und anteilige Rechtsanwaltskosten

Das Landgericht Lübeck verurteilte die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 10.400 € nebst Zinsen an die Klägerin. Des Weiteren wurde ein Anspruch auf anteilige Erstattung der Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.054,10 € bestätigt. Die Klageforderung im Hinblick auf die Erstattung der Kosten für das Gutachten der Klägerin wurde hingegen abgewiesen. Die Klägerin muss 60,5 % der Verfahrenskosten tragen, die Beklagten 39,5 %.

✔ FAQ zum Thema: Fahrspurwechsel an Tankstelle


Wann haftet der Fahrer eines ausscherenden Fahrzeugs für einen Verkehrsunfall?

  1. Wenn er gegen die besondere Sorgfaltspflicht beim Fahrstreifenwechsel gemäß § 7 Abs. 5 StVO verstößt. Demnach darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Der Fahrstreifenwechsel muss rechtzeitig und deutlich angekündigt werden, dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Ein Verstoß hiergegen führt in der Regel zur Haftung des Ausscherenden.
  2. Wenn er unvermittelt aus einer Fahrzeugkolonne ausschert und mit einem bereits überholenden Fahrzeug kollidiert. Wer ordnungsgemäß zum Überholen einer Kolonne angesetzt hat, hat gegenüber ausscherenden Fahrzeugen aus der Kolonne Vorrang. Der aus der Kolonne Ausscherende haftet dann überwiegend für den Unfall (z.B. zu 75%).
  3. Wenn er beim Verlassen eines Parkstreifens oder beim Ausparken nicht die nötige Sorgfalt walten lässt und es zur Kollision kommt. Ein solcher Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten beim Einfahren in den fließenden Verkehr wiegt in der Regel so schwer, dass dahinter die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Unfallgegners zurücktritt.

Allerdings kann auch den anderen Unfallbeteiligten eine Mitschuld treffen, wenn er seinerseits gegen Verkehrsregeln verstoßen hat, z.B. die zulässige Höchstgeschwindigkeit deutlich überschritten hat. Die Haftungsverteilung richtet sich dann nach dem Maß der jeweiligen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 StVG.

Bei einem unabwendbaren Ereignis, das auch durch einen „Idealfahrer“ nicht hätte vermieden werden können, entfällt die Haftung des Ausscherenden ausnahmsweise. Dies ist aber nur selten der Fall.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Aufgrund seiner besonderen Sorgfaltspflichten haftet der Fahrer eines ausscherenden Fahrzeugs in vielen Fällen ganz oder überwiegend für einen dadurch verursachten Unfall. Eine Mithaftung des Unfallgegners kommt vor allem bei dessen eigenem Fehlverhalten in Betracht.


Welche Rolle spielen Sachverständigengutachten bei der Schadensregulierung nach einem Fahrspurwechselunfall?

Sachverständigengutachten spielen eine entscheidende Rolle bei der Schadensregulierung nach einem Fahrspurwechselunfall. Sie dienen dazu, den genauen Unfallhergang zu rekonstruieren und die Schadenshöhe zu ermitteln. Dabei müssen gerichtlich bestellte Sachverständige bestimmte Kriterien berücksichtigen, um zu einem fundierten Ergebnis zu kommen.

Zunächst einmal ist es Aufgabe des Sachverständigen, durch eine sorgfältige Analyse der Unfallspuren und anderer Indizien den Hergang des Unfalls nachzuvollziehen. Hierbei kann er auch feststellen, ob der Fahrspurwechsel regelkonform durchgeführt wurde oder ob Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten nach § 7 Abs. 5 StVO vorliegen. Dies ist für die Haftungsfrage von zentraler Bedeutung.

Weiterhin muss der Sachverständige den entstandenen Schaden beziffern. Dazu prüft er unter anderem, ob Unfallspuren am Fahrzeug fachgerecht instandgesetzt wurden oder ob Manipulationen vorliegen, die auf einen Vorschaden hindeuten. Auch die Höhe des Wiederbeschaffungswerts zum Unfallzeitpunkt ist durch den Sachverständigen zu ermitteln.

Das Gericht ist bei seiner Entscheidung nicht an das Ergebnis des Sachverständigengutachtens gebunden, muss dieses aber bei der Beweiswürdigung berücksichtigen. Weicht das Gericht von dem Gutachten ab, muss es dies nachvollziehbar begründen. Privatgutachten haben zwar nicht denselben Beweiswert wie gerichtlich eingeholte Gutachten, müssen vom Gericht aber als substantiierter Parteivortrag gewürdigt werden.

Insgesamt kommt dem Sachverständigengutachten eine Schlüsselrolle zu, um Klarheit über Unfallhergang, Haftungsverteilung und Schadenshöhe zu gewinnen. Es bildet häufig die Grundlage für eine einvernehmliche Schadensregulierung oder eine gerichtliche Entscheidung.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG: Der Fahrer des ausscherenden Fahrzeugs haftet gemäß diesen Bestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes für den Unfall, da das Ausscheren eine Betriebsgefahr darstellt, für die er einzustehen hat.
  • § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG: Dieser Paragraph regelt, dass der Haftpflichtversicherer des Beklagten für den Schaden einzustehen hat.
  • § 7 Abs. 5 StVO: Dieser Paragraph enthält eine erhöhte Sorgfaltspflicht für Fahrer, die die Fahrspur wechseln. Die Verletzung dieser Pflicht führt zu einer Haftung des Fahrers.
  • § 249 Abs. 1 BGB: Dieser Paragraph ist Grundlage für den Schadensersatzanspruch der Klägerin. Er verpflichtet den Schädiger zum Ersatz des durch den Unfall entstandenen Schadens.

Der Anscheinsbeweis nach § 7 Abs. 5 StVO spricht für eine Verletzung der Sorgfaltspflicht des Beklagten beim Fahrspurwechsel, da es unmittelbar im Zusammenhang damit zu dem Unfall kam. Der Beklagte konnte diesen Anscheinsbeweis nicht erschüttern.

Das Gericht folgte dem Sachverständigengutachten, wonach der Unfall für den Zeugen als Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin unvermeidbar war. Zudem hätte der Beklagte das Fahrzeug der Klägerin bei ordnungsgemäßer Rückschau wahrnehmen müssen.


➜ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Lübeck

LG Lübeck – Az.: 10 O 171/222 – Urteil vom 15.11.2023

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 10.400,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.10.2021 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 150 € an die Klägerin und 903,40 € an die Rechtsschutzversicherung der Klägerin ……Rechtsschutz-Service GmbH, Schaden-Nr.: …..zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 60,5 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 39,5 % zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 26.356,49 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ersatz des materiellen Schadens in Anspruch, der ihr anlässlich eines Verkehrsunfalles vom 9.9.2021 entstanden ist.

Die Klägerin ist Halterin und Eigentümerin des Fahrzeuges Maserati Ghibli mit dem amtlichen Kennzeichen….. Sie erwarb das Fahrzeug mit Kaufvertrag vom 22.8.2021 (Anlage K3, Blatt 8 der Akte). Zu diesem Zeitpunkt verfügte das Fahrzeug über einen Vorschaden, welcher den vorderen rechten Kotflügel, die beiden rechten Türen und den hinteren rechten Kotflügel umfasste. Diese Bereiche seien ausgebeult, gespachtelt und lackiert worden.

Am 9.9.2021 befuhr der Zeuge …… mit dem Fahrzeug der Klägerin gegen 17:45 Uhr die Fackenburger Allee in Lübeck in Richtung Stockelsdorf auf der rechten von zwei Geradeausspuren. Der Beklagte zu 1 führte das zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherte Fahrzeug, einen VW Touran mit dem amtlichen Kennzeichen……, auf der linken Geradeausspur.

Als der Beklagte zu 1 einen Fahrspurwechsel nach rechts einleitete, um auf das Gelände der dort rechts gelegenen Aral-Tankstelle zu gelangen, kam es zur Kollision mit dem auf der rechten Geradeausspur fahrenden Pkw der Klägerin. An beiden Fahrzeugen entstanden Sachschäden.

Die Klägerin behauptet, der Zeuge …… habe das Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h geführt, als der Beklagte zu 1 mit seinem Pkw plötzlich und ohne Anzeige in die rechte Fahrspur gewechselt sei, weshalb es zur Kollision mit dem Fahrzeug der Klägerin kam. Der Zeuge …… habe noch versucht, nach links auszuweichen, dabei sei er mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 und dem rechtsseitig befindlichen Kantstein des Fußweges kollidiert. Der Zeuge …… habe das Fahrzeug nach der Kollision in Höhe der Lichtzeichenanlage angehalten.

Die Klägerin behauptet, an ihrem Fahrzeug sei ein erheblicher Sachschaden entstanden. Es seien unter anderem auf der Fahrerseite der Außenspiegel, die Hintertür und der Kotflügel sowie die Felge vorne rechts beschädigt worden. Ein vorgerichtliches Gutachten des Sachverständigen …… ermittelte voraussichtliche Reparaturkosten von netto 22.975,01 € und eine Wertminderung von 800 €. Auf die Anlage K1 (Blatt 22 ff. der Akte) wird Bezug genommen. Für die Ausfertigung des Gutachtens seien 2.561,48 € in Rechnung gestellt worden (Anlage K2, Blatt 7 der Akte).

Mit Schreiben vom 30.9.2021 (Anlage K5) wurde die Beklagte zu 2 zur Regulierung nebst Kostenpau……e unter Fristsetzung zum 11.10.2021 aufgefordert. Eine Regulierung erfolgte nicht. Die Klägerin beansprucht die Reparaturkosten von 22.975,01 € netto, eine Wertminderung von 800 €, eine Kostenpau……e von 20 €, Sachverständigengebühren von 2.561,48 € sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren.

Die Klägerin beantragt zuletzt (Bl. 105 der Akte),

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 23.795,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.10.2021 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klägerin von Sachverständigenkosten in Höhe von 2.561,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.10.2021 freizuhalten;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, nicht anrechenbare vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.501,19 €, hiervon einen Betrag in Höhe von 150 € an die Klägerin und einen Betrag in Höhe von 1.351,19 € zu Händen der hinter der Klägerin stehenden Rechtsschutzversicherung Allrecht-Schaden Service RSS Rechtsschutz-Service GmbH, Schaden-Nr.: ……zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, der Beklagte zu 1 habe sich dem Bereich der rechts gelegenen Aral-Tankstelle und dort befindlichen Lichtzeichenanlage auf der linken Geradeausspur genähert. Vor ihm hätten sich Fahrzeuge befunden, die rechte Fahrspur sei frei gewesen, als die Lichtzeichenanlage von grünem Licht auf Gelblicht umgesprungen sei. Der Beklagte zu 1 behauptet in der mündlichen Verhandlung vom 7.10.2022, er habe mit seinem Fahrzeug gestanden und auf die Tankstelle fahren wollen. Er habe Rückschau gehalten, das rechte Blinklicht gesetzt und nach weiterer Rückschau zum Spurwechsel angesetzt, um auf die rechte Fahrspur zu wechseln und von dort auf das Tankstellengelände zu gelangen. Als der Fahrspurwechsel bereits begonnen habe, habe sich von hinten kommend plötzlich mit sehr hoher Geschwindigkeit das Fahrzeug der Klägerin genähert, der Zeuge …… habe offenbar beabsichtigt, die Lichtzeichenanlage noch bei Gelblicht zu passieren. Mit dem hinteren linken seitlichen Bereich des Fahrzeugs der Klägerin sei der Zeuge …… streifend gegen den vorderen rechten Eckbereich des Fahrzeugs des Beklagten geraten. Das Fahrzeug der Klägerin sei erst 50 m weiter im Kreuzungsbereich zum Stillstand gekommen.

Das Fahrzeug der Klägerin habe im Zeitpunkt ihres Erwerbs über einen Schaden im Bereich der rechten Seite (unrepariert) sowie über einen reparierten Frontschaden verfügt. Beide Schäden seien im Kaufvertrag benannt worden. Die dortigen Eintragungen seien nicht vom Verkäufer unkenntlich gemacht worden. Im November 2018 habe sich ein Frontschaden ereignet mit damaligen Reparaturkosten von 16.469,55 € bei einem Wiederbeschaffungswert von 52.250 €. Im Februar 2021 habe sich der Schaden an der rechten Seite des Fahrzeugs ereignet. Ein Sachverständiger habe für diese Reparaturkosten einen Betrag von brutto 27.002,54 € bei einem Wiederbeschaffungswert von 39.500 € angenommen.

Die Beklagte zu 2 beauftragte die ….n Lübeck mit der Besichtigung des Fahrzeugs. Der Sachverständige …… fertigte am 3.2.2022 die Fotos gemäß Anlage B3 (Blatt 73 ff. der Akte). Er habe erhöhte Lackschichtdicken festgestellt. Die Beklagte zu 2 beauftragte die …… GmbH mit einem Unfall-Ablauf-Report und der Überprüfung der Schadenhöhe. Auf den Report vom 17.2.2022 (Anlage B4, Blatt 87 ff. der Akte) und den Prüfbericht (Anlage B5, Blatt 41 ff. der Akte) wird Bezug genommen. Tatsächlich würden die Kosten für eine sach- und fachgerechte Reparatur nach diesen Feststellungen lediglich einen streitgegenständlichen Schaden von netto 4.240,16 € ergeben.

Die Klägerin behauptet, ein unbekannter Vertreter des Verkäufers habe den Kaufvertrag abgeändert. Der Klägerin seien lediglich die unreparierten Schäden an der rechten Fahrzeugseite bekannt gewesen, eine Information über den reparierten Frontschaden habe sie nicht erhalten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend Bezug genommen auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll vom 7.10.2022.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen …… und Bis. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7.10.2022.

Das Gericht hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens des Sachverständigen ……. Auf das mündliche Gutachten vom 7.10.2022 nebst Simulation und Lichtbildern (Blatt 210 ff. der Akte) sowie die Zusammenfassung vom 21.10.2022 (Blatt 220 der Akte) wird Bezug genommen. Das Gericht hat ferner Beweis erhoben über die Höhe der erforderlichen Reparaturkosten durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens des Sachverständigen ……. Auf das schriftliche Gutachten vom 30.6.2023 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist lediglich in Höhe von 10.400 € netto begründet. Ferner besteht anteilig Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 7 Abs. 5 StVO, § 249 Abs. 1 BGB in Höhe von 10.400 €.

1.

a)

Für ein schuldhaftes Nichtbeachten der eigenen Sorgfaltspflichten des Beklagten aus § 7 Abs. 5 StVO spricht vorliegend bereits der Beweis des ersten Anscheins.

Gemäß § 7 Abs. 5 StVO hat sich der Fahrer des ausscherenden Fahrzeugs so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Aus der Regelung dieser absoluten Sorgfaltspflicht folgert die herrschende Rechtsprechung einen Anscheinsbeweis dahingehend, dass der Beweis des ersten Anscheins dafürspricht, dass diese Sorgfaltspflicht verletzt wurde, wenn es in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem Fahrspurwechsel zu einem Unfall gekommen ist (vgl. nur OLG Frankfurt, Urteil vom 28.10.2014, 22 U 150/13, juris, mit zahlreichen Nachweisen).

Der Beklagte hat selbst angegeben, dass sich der Unfall ereignete, als er von der linken Geradeausspur der Fackenburger Allee auf die rechts befahrene Seite wechselte. Hierbei handelte es sich um einen Spurwechsel im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO. Entsprechendes hat der Zeuge …… bekundet.

Den daraus folgenden Anscheinsbeweis hat die Beklagtenseite auch nicht erschüttert. Der Beweis des ersten Anscheins als Ausprägung der richterlichen Überzeugung gemäß § 286 ZPO kann erschüttert werden, wenn die dadurch belastete Partei die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs dargetan und die dafür erforderlichen Tatsachen bewiesen hat (BGH, Urteil v.13.02.2007, Az. 6 ZR 58/06).

Dies ist der Beklagtenseite vorliegend nicht gelungen. Die Beklagten haben dazu lediglich vorgetragen, dass der Kläger mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Das hat die Beweisaufnahme aber nicht ergeben.

Insbesondere nach dem vom Gericht in der mündlichen Verhandlung am 7.10.2022 eingeholten Sachverständigengutachten des Sachverständigen …… steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Unfall für den Zeugen …… unvermeidbar gewesen ist. Der Sachverständige hat eine Kollisionskonfiguration erstellt. Er hat diese in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläutert. Er hat seine Rückschlüsse aus dem Spurwechsel und den Beschädigungen der Fahrzeuge gezogen. Danach war es aus Sicht des Sachverständigen so, dass der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug in das Fahrzeug der Klägerin hineinfuhr und sich insbesondere unter Berücksichtigung der Schäden auch in Bewegung befunden haben muss. Eine rechtzeitige Abwehrreaktion zur Vermeidung des Unfalls sei dem Zeugen aus den objektiv nachvollziehbaren Umständen nicht möglich gewesen. Es wird Bezug genommen auf die ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen vom 21.10.2022 (Blatt 220 der Akte).

Im Übrigen hat der Sachverständige ausgeführt, dass der Beklagte zu 1 das Fahrzeug der Klägerin in einem richtig eingestellten Seitenspiegel hätte sehen müssen. Das spricht dafür, dass der Beklagte zu 1 seiner doppelten Rückschaupflicht gerade nicht nachgekommen ist. Dann hätte er das Fahrzeug der Klägerin wahrnehmen müssen und den Fahrspurwechsel nicht durchführen dürfen,

Das Gericht schließt sich den schlüssigen, überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen an.

b)

Der Anspruch auf Schadensersatz ist allerdings lediglich in Höhe von 10.400 € netto begründet. Der Sachverständige …… hat hierzu anhand des zur Verfügung stehenden Materials nachvollziehbar ausgeführt, dass die unfallbedingten Reparaturkosten maximal in dieser Höhe erforderlich sind.

Das von der Klägerin vorgelegte Schadengutachten sei aus technischer Sicht für die Ermittlung der Reparaturkosten ungeeignet.

Anhand der Fahrzeugbeschädigungen und unter Berücksichtigung der Verkehrssituation habe sich feststellen lassen, dass der Pkw des Beklagten zu 1 mit seiner rechten Frontstoßfängerecke leicht gegen die hintere Hälfte der linken Karosserieseite des Fahrzeugs der Klägerin stieß. Es sei zu einem streifenden Kontakt, der frühestens im Übergangsbereich zwischen den beiden linken Türen des Fahrzeugs der Klägerin einsetzte und sich bis über den linken Hinterradausschnitt und das dort befindliche Rad hinweg fortsetzt, gekommen. Weiter vorne liegende Beschädigungen am Pkw der Klägerin, wie sie der Privatsachverständige …… berücksichtigt habe, ließen sich dem streitgegenständlichen Unfall nicht zuordnen. Auf die Seite 7 des Gutachtens vom 30.6.2023 wird Bezug genommen. Ebenso wenig sei ein behaupteter Schaden am rechten Vorderrad dokumentiert worden.

Das Schadengutachten des Sachverständigen …… war für die Dokumentation der unfallbedingten Beschädigungen und die Ermittlung der zugehörigen Reparaturkosten aus technischer Sicht ungeeignet. Es seien zum Teil Instandsetzungsarbeiten an nicht unfallbedingt beschädigten Bauteilen berücksichtigt und teilweise zu umfangreiche Reparaturarbeiten kalkuliert worden. So hätten sich das linke Vorderrad, der linke vordere Kotflügel und der linke Außenspiegel außerhalb der Schadenzone befunden, während die Fahrertür lediglich an ihrem hinteren unteren Ende eine minimale Kontaktspur aufgewiesen habe. Aus technischer Sicht notwendig seien nach Auffassung des Sachverständigen …… für eine fachgerechte Reparatur lediglich eine Oberflächenlackierung der Fahrertür, eine Reparaturlackierung der linken Fondtür mit eventuell geringfügigem Instandsetzungsaufwand, eine Instandsetzung der linken hinteren Seitenwand im Bereich des leicht eingedrückten Kniestücks samt anschließender Reparaturlackierung sowie eine Oberflächenlackierung der unterhalb der Türen des Kniestücks montierten Schwellenverkleidung. Des Weiteren seien angesichts des angestoßenen linken Hinterrades des Fahrzeugs der Klägerin eine Achsvermessung und eine Erneuerung der Felge samt Bereifung nachvollziehbar.

Die Vorschäden des PKWs der Klägerin seien demgegenüber nur von untergeordneter Bedeutung. Zum einen seien die offensichtlich instandgesetzten Vorschäden vorne und seitlich rechts räumlich eindeutig getrennt von den streitgegenständlichen Unfallschäden. Zum anderen habe der Wiederbeschaffungswert des Pkws am Unfalltag, auch unter Berücksichtigung der instandgesetzten Vorschäden eindeutig die tatsächlich unfallbedingt erforderlichen Reparaturkosten überstiegen.

Der Sachverständige hat eine neue Reparaturkostenkalkulation unter Verwendung des von ihm genutzten Programms Audatex durchgeführt. Diese wurde durch eine Anfrage bei einem Maserati-Vertragshändler ergänzt. Die danach für eine fachgerechte Reparatur der unfallbedingten Beschädigungen notwendigen Montage- und Karosseriearbeiten, sowie die Lackierung und die erforderlichen Ersatzteile ergeben einen Betrag von 10.375,68 € netto („knapp 10.400 €“). Einen Minderwert hat der Sachverständige nicht ermittelt.

Das Gericht folgt diesbezüglich den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen.

Bei dem Betrag von 10.400 € hat das Gericht auch die geltend gemachte Kostenpau……e von 20 € berücksichtigt (§ 287 ZPO).

2.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

Die Klägerin hat nach §§ 280, 286 Abs.1 ZPO zudem Anspruch auf Erstattung anteiliger Rechtsanwaltskosten im Hinblick auf einen Streitwert in Höhe von 10.400 € in Höhe 1.054,10 €.

Die Klägerin hat demgegenüber keinen Anspruch auf Erstattung der Gutachterkosten für den Gutachter ……, da sein Gutachten nach den zutreffenden Ausführungen des Sachverständigen …… nicht verwertbar war.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 ZPO.

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