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Verkehrsunfall: Beweislast für Gesundheitsverletzung

LG Lübeck, Az.: 2 O 203/14

Urteil vom 28.10.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldner die Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen eines Verkehrsunfalls.

Die Klägerin war im Unfallzeitpunkt Eigentümerin des Pkw Peugeot 206 mit dem amtlichen Kennzeichen … . Der Beklagte zu 1) war Fahrer des Transporters Mercedes Vito mit dem amtlichen Kennzeichen …., welches bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war.

Verkehrsunfall: Beweislast für Gesundheitsverletzung
Symbolfoto: tommaso79/Bigstock

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Unfall dem Grunde nach allein von dem Beklagten zu 1) verursacht wurde. Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrzeug am 06.12.2013 gegen 13.00 Uhr die Straße bei der Gasanstalt 3a in Lübeck in Richtung Geniner Straße, als der Beklagte zu 1), der mit seinem Transporter in Fahrtrichtung der Klägerin sehend auf der rechten Seite in einer Einfahrt stand, plötzlich auf die Straße und in die rechte Seite des Fahrzeugs der Klägerin fuhr, als diese sich unmittelbar auf Höhe des Transporters befand. Der materielle Schaden der Klägerin ist von der Beklagten zu 2) reguliert worden. Die Zahlung eines Schmerzensgeldes lehnte die Beklagte zu 2) trotz mehrfacher Aufforderungen der Klägerin ab.

Bei der Klägerin hatte bereits vor dem hier streitgegenständlichen Unfall eine Taubheit in der rechten Hand vorgelegen, die Folge eines Verkehrsunfallgeschehens ca. zwei Jahre vor dem nun streitgegenständlichen Verkehrsunfall gewesen war. Diese Taubheit hatte sich mit der Zeit gegeben, so dass die Klägerin bereits seit einem halben Jahr vor dem hiesigen Unfallgeschehen nicht mehr in Behandlung gewesen war. Infolge des hiesigen Unfallgeschehens war die Klägerin vom 09.12.2013 bis zum 13.12.2013 arbeitsunfähig krank geschrieben und in der Zeit vom 09.12.2013 bis zum 13.01.2014 in ärztlicher Behandlung. Im Dezember 2013 und Januar 2014 wurden der Klägerin Krankengymnastik und vom 20.12.2013 bis zum 25.02.2014 insgesamt 12 physiotherapeutische Behandlungen verordnet.

Die Klägerin behauptet, sie habe im Zeitpunkt der Kollision den Sicherheitsgurt angelegt gehabt. Durch den Unfall habe sie eine HWS-Distorsion erlitten. Ferner sei infolge des Unfalls die Taubheit in der rechten Hand wieder aktiviert worden. Trotz Schmerzmedikation habe sie unter erheblichen Kopfschmerzen und Schmerzen, die von der Hand her den rechten Arm bis in den Nacken zogen, gelitten. Bei Versuchen, gerade zu sitzen, habe sie Schmerzen im gesamten Rückenbereich gehabt und bei rückwärtigen Bewegungen des Armes sei ein Knackgeräusch zu hören gewesen. Sie habe nach dem Unfall zudem ganz erhebliche Probleme und Ängste gehabt, ein Fahrzeug im Straßenverkehr zu führen. Für einen Zeitraum von zwei Wochen nach dem Unfall sei sie gar kein Auto gefahren. Mittlerweile fahre sie jedoch wieder täglich Auto. Wegen der weiteren Einzelheiten wird der klägerische Vortrag in Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 2.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2014 zu zahlen; festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche Schäden, die ihr in der Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 06.12.2013 entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen; die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie von der Zahlung der Rechtsanwaltskosten in Höhe von 157,80 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2014 freizuhalten.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten die von der Klägerin vorgetragenen Unfallfolgen mit Nichtwissen. Mit Nichtwissen bestreiten sie auch, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt den Sicherheitsgurt angelegt hatte.

Im Termin vom 15.03.2016 ist Beweis erhoben worden durch die Vernehmung der Zeugen Dr. B., Dr. K. und A.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Terminsprotokoll vom 15.03.2016 (Bl. 171 ff. d. A.) verwiesen. Darüber hinaus ist Beweis erhoben worden durch Einholung schriftlicher Sachverständigengutachten. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahmen werden die Gutachten des Sachverständigen M. vom 27.07.2015, des Sachverständigen Prof. Dr. R. vom 20.07.2015 und des Sachverständigen Dr. H. vom 08.07.2016 in Bezug genommen.

Mit Zustimmung beider Parteien hat das Gericht mit Beschluss vom 16.09.2016 das schriftliche Verfahren angeordnet und den Schluss der mündlichen Verhandlung auf den 06.10.2016 festgesetzt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus §§ 7, 17, 18 StVG bzw. § 823 BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.

Es steht nicht fest, dass die Klägerin Verletzungen und/oder Beschwerden, die kausal auf das Unfallereignis vom 06.12.2013 zurückzuführen sind, erlitten hat. Dies ist jedoch Voraussetzung eines Schmerzensgeldanspruches. Nach den allgemeinen Regeln zur Beweislastverteilung, dass jede Partei die Beweislast für die ihr günstigen Tatsachen trägt, hat die Klägerin die anspruchsbegründenden Tatsachen eines Schmerzensgeldanspruches zu beweisen. Es gilt insoweit das Beweismaß des § 286 ZPO, das heißt, das Vorliegen einer kausalen Verletzung / Beeinträchtigung der Klägerin durch das Unfallereignis vom 06.12.2013 muss zur vollen Überzeugung des Gerichts, welche vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, feststehen. Dies ist vorliegend nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht der Fall.

Nach dem Ergebnis des eingeholten technisch-medizinischen Sachverständigengutachtens hat die Klägerin durch den Unfall weder eine Verletzung der Halswirbelsäule oder der Schulter oder eine Beeinträchtigung von nervalem Gewebe, die das Taubheitsgefühl in der Hand erklären könnten, erlitten. Nach dem technischen Gutachtenteil des Sachverständigen M. war eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung zwischen 3 und 4 km/h von schräg vorne rechts einwirkend feststellbar. In Komponenten zerlegt ließ sich eine biomechanische Belastung durch eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsabnahme in Richtung der Fahrzeuglängsachse und durch eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitszunahme quer zur Längsachse, von rechts nach links einwirkend, von jeweils 2 bis 3 km/h beschreiben. Im medizinischen Gutachtenteil kam der Sachverständige Prof. Dr. R… zu dem Ergebnis, dass bei dem Aufprall mit einer derart geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung eine Verletzung der Halswirbelsäule oder der rechten Schulter nicht wahrscheinlich ist. Bezüglich des beschriebenen Taubheitsgefühls waren keine Befunde zu erheben, die eine Verletzung oder zumindest eine Beeinträchtigung von nervalem Gewebe nahelegen könnten. Nach dem Ergebnis des Gutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet, erstattet von dem Sachverständigen Dr. H., konnte letztlich auch ein Kausalzusammenhang eines psychischen Unfallschadens und der danach aufgetretenen psychischen Beschwerden medizinisch nicht hinreichend begründet werden. Die Entwicklung einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung war insbesondere aufgrund der medizinischen Befundlage nicht belegbar. Das Gericht hat sich mit den Ausführungen aller Sachverständigen sowie mit den von ihnen gefundenen Ergebnissen gründlich auseinandergesetzt. Es hat nach eingehender Prüfung keine Bedenken, sich ihren Ausführungen vollumfänglich anzuschließen und sie sich zu Eigen zu machen. Die von ihnen angeführten Anknüpfungs- und Befundtatsachen haben alle drei Sachverständigen im Rahmen ihres jeweiligen Gutachtenteils sachkundig fundiert und glaubhaft dargelegt. Alle Gutachten sind in sich und in der Gesamtschau klar und anschaulich erstattet und die Ausführungen der Sachverständigen waren in sich und in der Zusammenschau mit dem jeweils anderen Gutachtenteil widerspruchsfrei, enthielten keine Verstöße gegen Denkgesetze und waren eindeutig und verständlich. Insbesondere ist für das Gericht kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass der Sachverständige M. die zu analysierende Unfallsituation möglicherweise falsch erfasst und infolgedessen falsch bewertet haben könnte. Sofern der Sachverständige auf Seite 9 seines Gutachtens im vierten Absatz, erste Zeile von „Beifahrersitzplatz“ spricht, ergibt sich aus dem Kontext der voranstehenden und nachfolgenden Ausführungen zweifelsfrei, dass es sich hierbei um einen offensichtlichen Schreibfehler handelt. Der Sachverständige stellt an mehreren anderen Stellen im Gutachten auf die Fahrereigenschaft der Klägerin ab. In dem Satz mit der irrtümlich Bezeichnung „Beifahrersitzplatz“ nimmt er unmittelbar Bezug auf die Versuchsfahrerin des weißen Golfs in der Anlage A18, die – wie eindeutig zu erkennen – auf dem Fahrersitz sitzt. Auch die weiteren Einwendungen des Klägervertreters gegen die Gutachten verfangen nicht. Insbesondere legt der Sachverständige Meyer die Insassenbewegung aufgrund der Anstoßrichtung anschaulich und klar nachvollziehbar dar. Seine Feststellungen decken sich im Übrigen mit den – nach ihrer Erinnerung möglichen – Schilderungen der Klägerin. Diese hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung im Termin vom 23.12.2014 (Bl. 72 d. A.) selbst ausgeführt: „Ich bin mir aber recht sicher, dass ich mindestens einmal nach rechts zur Seite weggekippt bin.“ Einen Anstoß an Karosserieteile hat die Klägerin persönlich nicht bekundet. Auffällig ist zudem, dass die Klägerin in der Vergangenheit vor dem streitgegenständlichen Unfall offenkundig nicht nur zeitweise unter einem Taubheitsgefühl in der rechten Hand gelitten hatte, sondern regelmäßig auch an Verspannungen im HWS-Bereich. Auf Frage des Sachverständigen Prof. Dr. R… zu Erkrankungen aus der Vorgeschichte gab sie an, „dass sie schon immer überbewegliche Gelenke hatte und aufgrund ihrer Computerarbeit auch regelmäßig an Verspannungen im HWS-Bereich leide. Hierfür würde sie sich „Wohlfühlmassagen“ gönnen.“ (Gutachten, Seite 11). Die rein hypothetische Möglichkeit, dass ein „Obergutachten“ zu einem anderen Ergebnis führen könnte, gibt auch noch keine Veranlassung, ein solches Gutachten einzuholen. Vielmehr erachtet das Gericht die erstatteten Gutachten als ausreichend für die Überzeugungsbildung.

Schließlich waren auch die Zeugenaussagen der Zeugen Dr. B., Dr. K. und A. hinsichtlich der Beweisfrage nicht ergiebig und konnten nicht zu der erforderlichen Überzeug des Gerichts von einer unfallkausalen Verletzung bzw. unfallkausalen Beschwerden führen.

Aus den genannten Gründen können auch der Klagantrag zu Ziffer 2) und die geltend gemachten Nebenforderungen, die das Schicksal der Hauptforderung teilen, keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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