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Verkehrsunfall: bevorrechtigter fließender Verkehr und Lückenrechtsprechung

LG Saarbrücken, Az.: 14 O 182/16, Urteil vom 06.09.2018

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 7.297,23 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 6.148,15 € seit dem 04.08.2016 und aus weiteren 1.149,08 € seit dem 27.09.2017 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 337,07 € zu zahlen.

2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 08.06.2016 auf der … in … ereignete.

Der Kläger ist Halter des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen …. Die Beklagte zu 1) ist Fahrerin und Halterin des ebenfalls am Unfall beteiligten Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen …, welches am Unfalltag bei der Beklagten zu 2) krafthaftpflichtversichert war.

Der Kläger befuhr am Unfalltag mit seinem PKW die … in Fahrtrichtung …-Mitte. Es hatte sich eine Fahrzeugschlange gebildet, weshalb der Kläger links in die … abbiegen wollte, um den Stau zu umfahren. Er fuhr deshalb an mindestens drei oder vier stehenden Fahrzeugen links vorbei, wobei er zumindest teilweise auch die gegnerische Fahrspur benutzte.

Verkehrsunfall: bevorrechtigter fließender Verkehr und Lückenrechtsprechung
Symbolfoto: Devenorr/Bigstock

Die Beklagte zu 1) befuhr die … in Richtung … und wollte an der Einmündung in die … auf diese nach links in Richtung … einbiegen.

In Höhe der Einmündung der …, die sich ca. 20 m vor der Einmündung in die … befindet, kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge, nachdem die Beklagte zu 1) von dem Zeugen … zwecks Einfahren in die … einfahren gelassen worden war.

Die Beklagte zu 1) kollidierte frontal mit dem rechten Kotflügel des Klägerfahrzeugs.

Zum Zeitpunkt der Kollision befand sich das Fahrzeug des Klägers ungefähr auf Höhe der Mittellinie der Fahrbahn.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens vom 22.06.2016, in dem der Schaden erstmals beziffert wurde, setzte der Klägervertreter mit Schreiben vom 22.07.2016 der Beklagten zu 2) eine Frist zur Regulierung bis zum 03.08.2016. Eine Regulierung erfolgte nicht.

Der Kläger behauptet, er sei ca. mit 30 km/h an drei oder vier Autos in der Schlange vorbeigefahren. Die Beklagte sei abgebogen, ohne auf den vorfahrtsberechtigten Verkehr auf der … geachtet zu haben. Es sei ein Schaden entstanden von insgesamt 10.945,84 €, davon 8.903,62 € Reparaturkosten (netto), 500,00 € Wertminderung, Sachverständigenkosten i. H. v. 997,22 € sowie Nutzungsausfallentschädigung für acht Tage à 65 €, insgesamt 520,00 € sowie eine Kostenpauschale von 25 €.

Er ist der Ansicht, die Beklagte zu 1) habe nicht den sie treffenden Sorgfaltsanforderungen entsprochen.

Es entfalle jedoch eine Quote von einem Drittel der Kosten aufgrund seines anteiligen Mitverschuldens an ihn selbst.

Der Kläger hat zunächst beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 6.148,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.08.2016 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten von 337,07 € zu zahlen.

Nach der Reparatur des Klägerfahrzeugs und Einholung des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen … beantragt er nunmehr,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 7.297,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.148,15 € seit dem 04.08.2016 und aus 1.149,08 € seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 337,07 € zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, der Kläger sei mit völlig unangepasster Geschwindigkeit von mindestens 40-50 km/h gefahren und bei unklarer Verkehrslage mindestens drei bis vier Fahrzeuge überholt. Die Beklagte zu 1) habe sich vor dem Unfall vorsichtig in die … hineingetastet und sich zum Unfallzeitpunkt noch vollständig auf der rechten Fahrbahn befunden. Jedenfalls sei der Unfall für die Beklagte zu 1) unabwendbar gewesen. Zudem bestreiten die Beklagten, dass die geltend gemachten Schäden vollumfänglich auf dem Unfall beruhen und vom Parteisachverständigen korrekt kalkuliert seien.

Hilfsweise bestreiten die Beklagten die Berechtigung der Wertminderung sowie das Vorhandensein der Voraussetzungen für eine Nutzungsausfallentschädigung.

Sie sind der Ansicht, aufgrund des Verzichts des Zeugen … auf die Vorfahrt liege kein Vorfahrtsverstoß seitens der Beklagten zu 1) vor. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die Beklagte zu 1) zum Zeitpunkt der Kollision vollständig auf dem rechten Fahrstreifen der … befunden habe. Diese habe nicht damit rechnen müssen, dass ein PKW mehrere Autos überholt und wegen Gegenverkehrs in die Fahrspur des auf die Vorfahrt verzichtenden hineinfährt.

Selbst wenn man dies anders sehe, trete die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurück. Denn das Fahrmanöver des Klägers stelle ein grob verkehrswidriges Verhalten dar, bei dem er nur um des eigenen Fortkommen Willens in Kauf genommen habe. Er hätte wegen des Gegenverkehrs auch wieder nach rechts zurückschwenken müssen.

Die mündliche Verhandlung fand am 20.02.2017 statt. Dort wurden die Parteien informatorisch befragt und es wurde Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und … .

Weiter wurde Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen … .

Durch Beschluss vom 25.06.2018 wurde mit Zustimmung der Parteien ins schriftliche Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO übergegangen. Der Termin, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung gleichsteht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten ist – nach der Beklagten gewährter Fristverlängerung – der 16.08.2018.

Im Übrigen wird hinsichtlich des Sach- und Streitstands auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Klageerweiterungsantrag vom 15.09.2017 war nach §§ 133, 157 BGB analog dahingehend auszulegen, dass der Beklagte die Zinsen aus der Summe der Klageerweiterung ab deren Rechtshängigkeit begehrt.

Die Klage ist zulässig und begründet.

A.

Die Klage ist zulässig.

Das Landgericht Saarbrücken ist nach §§ 12, 13, 17, 32 ZPO sowie nach § 20 StVG örtlich und gemäß §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.

Dem Kläger steht es auch frei, beide Beklagte in einem Rechtsstreit zu verklagen. Diese subjektive Klagenhäufung ist z. B. stets dann zulässig, wenn sie in Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des streitgegenständlichen Rechts gemäß § 59 Alt. 1 ZPO stehen. Dies ist hier der Fall, denn der Kläger verklagt die Beklagten als Gesamtschuldner Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl. 2018, §§ 59, 60, Rn. 5).

Gründe, die im Übrigen der Zulässigkeit der Klage entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

B.

Die Klage ist auch begründet.

Der Anspruch des Klägers besteht gegen die Beklagte zu 1) nach § 7 Abs. 1 StVG sowie nach § 18 Abs. 1 StVG und gegen die Beklagte zu 2) nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten ergibt sich aus § 115 Abs. 1 S. 4 VVG.

I.

Der Kläger hat einen Anspruch in der geltend gemachten Höhe gegen die Beklagte zu 1) aus § 7 Abs. 1 StVG.

1.

Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt Halterin des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … und ist damit richtiger Anspruchsgegner. Halter eines KFZ ist, wer ein Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die tatsächliche Verfügungsgewalt besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt (jurisPK-StVR/Laws/Lohmeyer/Finke, 1. Aufl. 2016, § 7 StVG, Rn. 120; BGH, Urt. v. 03.12. 1991, Az.: VI ZR 378/90). Dies ist hier der Fall. Denn unstreitig war die Beklagte Eigentümerin des streitgegenständlichen PKW, dieser war auf sie zugelassen und sie hat ihn persönlich genutzt und auf eigene Rechnung betrieben und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert.

Bei dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen wurde der im Eigentum des Klägers stehende PKW geschädigt, sodass in Form der Eigentumsverletzung auch die nach § 7 StVG notwendige Rechtsgutverletzung eingetreten ist.

Der streitgegenständliche Unfall ist auch bei Betrieb des KFZ der Beklagten zu 1) geschehen. Nach der herrschenden verkehrstechnischen Auffassung wird der Unfall dem Betrieb eines Fahrzeugs zugerechnet, wenn er in einem nahen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung stand, d. h. es muss sich die typische Betriebsgefahr des KFZ realisiert haben, also bei wertender Betrachtung das Schadensgeschehen durch das KFZ (mit-)geprägt worden sein (BGH, Urt. v. 21.01.2014, Az.: VI ZR 253/13). Dies ist hier der Fall. Der streitgegenständliche Unfall ist bei einer Kollision zwischen den Fahrzeugen des Klägers und der Beklagten zu 1) im Straßenverkehr geschehen. Hierdurch hat sich gerade die typische Gefahr des Führens eines KFZ im öffentlichen Verkehr verwirklicht.

Ein Haftungsausschluss aufgrund höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG kommt nicht in Betracht. Höhere Gewalt in diesem Sinne ist ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist (jurisPK-StVR/Laws/Lohmeyer/Finke, 1. Aufl. 2016, § 7 StVG, Rn. 140). Anhaltspunkte für solche Aspekte höherer Gewalt sind nicht ersichtlich.

2.

Nach den soeben dargelegten Grundsätzen haftet auch der Kläger dem Grunde nach der Beklagten zu 1) gegenüber nach § 7 Abs. 1 StVG. Denn auch er war als Halter seines PKW in das gegenseitige Unfallgeschehen verwickelt, wobei auch das Eigentum der Beklagten zu 1) geschädigt wurde.

Demnach sind gemäß § 17 Abs. 2, 1 StVG zur Bestimmung des Umfangs der Ersatzpflicht die jeweiligen Verursachungsbeiträge des Klägers und der Beklagten zu 1) gegeneinander abzuwägen. Auf dieser Grundlage ist die Verursachung des Unfalls zu 1/3 dem Kläger und zu 2/3 der Beklagten zu 1) anzulasten.

a)

Der streitgegenständliche Unfall stellte für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG dar mit der Folge, dass die Haftung einer der Parteien ausgeschlossen würde. Ein Unfallereignis ist unabwendbar im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG, wenn auch ein gedanklicher Idealfahrer den Unfall bei Einhaltung der äußersten möglichsten Sorgfalt nicht hätte vermeiden können (BGH, Urt. v. 13.12.2005, Az.: VI ZR 68/04). Dies ist hier nicht der Fall. Zwar macht die Beklagte zu 1) dies für sich geltend. Denn ein sich so zu denkender Idealfahrer hätte ein herannahendes Fahrzeug von der rechten Seite, selbst wenn dieses mit erhöhter Geschwindigkeit gefahren wäre, erkennen können und somit mit seinem Einordnungsmanöver abwarten können.

b)

Demnach sind die jeweiligen Betriebsgefahren der unfallbeteiligten PKW gegeneinander abzuwägen. In diesem Rahmen war festzustellen, welche Gefahr von dem einen und dem anderen Fahrzeug ausgegangen ist und sich unfallursächlich ausgewirkt hat. Die konkret ermittelten Betriebsgefahren waren dann gegenüberzustellen und zu bewerten (jurisPK-StVR/Scholten, 1. Aufl. 2016, § 17 StVG, Rn. 19). Hiernach ergibt sich die Verursachungsbeteiligung von 1/3-2/3 zu Lasten der Beklagten zu 1). Denn vom PKW der Beklagten zu 1) ging eine im Verhältnis zum PKW des Klägers erhöhte Betriebsgefahr aus. Eine Betriebsgefahr ist erhöht, wenn die Gefahren, die regelmäßig und notwendigerweise mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges verbunden sind, durch das Hinzutreten besonderer unfallursächlicher Umstände vergrößert werden (jurisPK-StVR/Scholten, 1. Aufl. 2016, § 17 StVG, Rn. 21). Da es sich bei beiden Fahrzeugen um PKW handelt, kommt eine Erhöhung aufgrund objektiver Umstände nicht in Betracht (jurisPK-StVR/Scholten, 1. Aufl. 2016, § 17 StVG, Rn. 22). Allerdings kommt als ein die allgemeine Betriebsgefahr erhöhender Umstand kommt namentlich eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise der bei dem Betrieb tätigen Personen in Betracht (OLG Saarbrücken, Urt. v. 28.04.2016, Az.: 4 U 106/15). Dies ist hier beiden Beteiligten vorzuwerfen, wirkt sich aber aufgrund des schwerer zu wiegenden Verkehrsverstoßes im dargelegten Maße zu Lasten der Beklagten zu 1) aus.

c)

Der Beklagten zu 1) ist ein unfallursächlicher Vorfahrtsverstoß nach § 8 StVO vorzuwerfen. Sie hatte dem im Überholvorgang begriffenen Kläger die Vorfahrt einzuräumen. Ein Wartepflichtiger, der durch eine von der in der vorfahrtberechtigten Straße zum Stehen gekommenen Kolonne freigehaltene Lücke nach links abbiegen will, muss in der Regel auch damit rechnen, dass andere Fahrzeuge neben der haltenden Kolonne vorbeifahren. Deshalb darf er, wenn er den nicht von der Kolonne in Anspruch genommenen Fahrbahnteil nicht zuverlässig einsehen kann, sich in diesen nur langsam hineintasten (BGH, Urt. v. 26.09.1995, Az.: VI ZR 151/94; OLG Hamm, Urt. v. 23.04.2013, Az.: 9 U 12/13; jurisPK-StVR/Spelz, 1. Aufl. 2016, § 8 StVO, Rn. 36). Aus diesem Grund spricht gegen die Beklagte zu 1) diesbezüglich bereits der Beweis des ersten Anscheins hinsichtlich einer schuldhaften Vorfahrtsverletzung (LG Saarbrücken, Urt. v. 14.09.2012, Az.: 13 S 101/12; jurisPK-StVR/Spelz, 1. Aufl. 2016, § 8 StVO, Rn. 87).

Dass der Zeuge … unstreitig auf sein Vorfahrtsrecht verzichtete, indem er die Beklagte zu 1) durchwinkte und ihr eine Lücke zum Einfädeln in die Kolonne ließ, vermag an der Wartepflicht der Beklagten zu 1) im Verhältnis zum Kläger nichts zu ändern. Denn ein Verzicht eines Vorfahrtsberechtigten gilt jeweils immer nur für den Verzichtenden selbst, hat aber keine Rechtswirkung bezüglich anderer vorfahrtsberechtigter Verkehrsteilnehmer (OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.08.2014, Az.: 1 U 151/13).

Zwar trägt die Beklagte zu 1) vor, sie habe sich langsam in die vorfahrtsberechtigte Straße hineingetastet und sowohl nach links als auch nach rechts geschaut, nachdem der Zeuge … sie durchgelassen hatte. Diese Aussagen wurden auch von den Zeugen … und … bestätigt („sie hat sich vorsichtig vorgetastet“ […] „sie ist getuckert“).

Dies vermag das Gericht jedoch nicht nach dem Maßstab von § 286 Abs. 1 ZPO zu überzeugen. Ausreichend, aber auch notwendig hierzu ist für das Gericht ein ausreichendes Maß an persönlicher Gewissheit, das Zweifeln Schweigen gebietet ohne sie vollständig auszuschließen (Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 286, Rn. 19). Aufgrund des Anscheinsbeweises obliegt es der Beklagten zu 1) den Gegenbeweis für die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs zu erbringen (Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, Vorb. zu § 284, Rn. 29). Dies ist ihr indes nicht gelungen.

Aus dem Sachverständigengutachten vom 10.08.2017 ergibt sich, dass die Beklagte zu 1) mit ihrem Fahrzeug in den Kotflügel des Klägers kollidierte. Diesen Sachverhalt zugrunde gelegt, schließt dies den durch die Zeugen bestätigten Sachvortrag der Beklagten zu 1) aus, sie habe nach links, dann nach rechts geschaut und als sie im Begriff gewesen sei, wieder nach links zu schauen, sei der Klägerin sie hineingefahren. Das Ergebnis des Gutachtens lässt vielmehr den Rückschluss zu, dass sich ihr Fahrzeug vorwärts bewegte, ohne dass sie den überholenden Kläger rechtzeitig wahrgenommen hat.

Zweifel an der Beweiskraft des Gutachtens sind für das Gericht nicht geboten. Es ist vielmehr davon überzeugt, dass der Sachverständige den Sachverhalt richtig erfasst und die vom Gericht im Beweisbeschluss gestellten Fragen vollständig und nach Möglichkeit beantwortet hat. Die Schlüsse, die der Sachverständige gezogen hat, sind auch für das Gericht logisch nachvollziehbar, insbesondere der Rückschluss auf die Kollisionsstellung zum Unfallzeitpunkt anhand der Beschädigungen der Fahrzeuge erschließt sich auch einem Laien.

Der Anscheinsbeweis kann auch nicht durch das Vorbringen eines Überholvorgangs bei unklarer Verkehrslage gem. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vom Kläger erschüttert werden. Unabhängig von der Frage, ob die Voraussetzungen für selbigen vorliegen, ist anerkannt, dass derjenige, der auf eine bevorrechtigte Straße einbiegen will, nicht vom Schutzzweck eines Überholverbots erfasst wird (KG Berlin, Beschl. v. 08.09.2008, Az.: 12 U 197/07; LG Saarbrücken, Urt. v. 14.09.2012, Az.: 13 S 101/12).

Eine etwaige überhöhte Geschwindigkeit seitens des Klägers ist von den Beklagten nicht bewiesen worden. Ausweislich des Sachverständigengutachtens vom 10.08.2017 fuhr der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 20 – 50 km/h. Nach seinem eigenen Vortrag fuhr der Kläger mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h an der Kolonne vorbei. Eine höhere Geschwindigkeit konnte dem Kläger nicht nachgewiesen werden, wenngleich die Beklagte zu 1) als Wartepflichtige insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft (jurisPK-StVR/Spelz, 1. Aufl. 2016, § 8 StVO, Rn. 90).

Nach alldem ist das Gericht davon überzeugt, dass der Sorgfaltsverstoß der Beklagten zu 1) nicht entkräftet werden kann.

d)

Dem Kläger ist jedoch gleichsam ein Sorgfaltsverstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen.

Der bevorrechtigte fließende Verkehr darf zwar regelmäßig auf die Beachtung seines Vorrangs vertrauen. Dieser Grundsatz ist jedoch eingeschränkt durch die so genannte Lückenrechtsprechung. Danach gilt: Wer bei dichtem Verkehr an einer zum Stehen gekommenen oder sich langsam fortbewegenden Fahrzeugkolonne vorbeifährt, muss bei erkennbaren Verkehrslücken in Höhe von Kreuzungen und Einmündungen trotz seiner Vorfahrt seine Fahrweise so einrichten, dass er auch vor unvorsichtig aus der Lücke herausfahrenden Fahrzeugen rechtzeitig anhalten kann. Er darf sich der Lücke daher nur mit gespannter Aufmerksamkeit und unter Beachtung einer Geschwindigkeit nähern, die ihm notfalls ein sofortiges Anhalten ermöglicht. Ein Kraftfahrer, der diese Sorgfaltspflicht nicht beachtet, verstößt gegen § 1 Abs. 2 StVO (OLG Hamm, Urt. v. 23.04.2013, Az.: 9 U 12/13; KG Berlin, Beschl. v. 15.12.2005, Az.: 12 U 165/05; LG Saarbrücken, Urt. v. 14.09.2012, Az.: 13 S 101/12 und Urt. v. 16.11.2012, Az.: 13 S 117/12).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Für den Kläger war die Lücke in der Fahrzeugkolonne ohne weiteres erkennbar, so dass er sich der Einmündung nur mit erhöhter Vorsicht und in ständiger Bremsbereitschaft hätte nähern dürfen, insbesondere auch deshalb, weil er die Strecke nach eigenem Sachvortrag kannte. Dies hat der Kläger schon nach seinen eigenen Angaben zum Unfallhergang nicht getan. Denn er hat eingeräumt, das Beklagtenfahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt, also nicht auf die Einmündung in besonderer Weise geachtet zu haben.

e)

Die Mithaftung des Unfallbeteiligten auf der bevorrechtigten Straße, hier der Kläger, wird in solchen Fällen regelmäßig zu 1/3 angenommen (KG Berlin, Urt. v. 08.06.2015, Az.: 29 U 1/15; jurisPK-StVR/Müther, 1. Aufl. 2016, § 1 StVO, Rn. 68). Im Einzelfall ist anerkannt, dass in diesen Lückenfällen im Einzelfall auch eine höhere Haftungsquote begründet sein kann, wenn den Vorfahrtsberechtigten aufgrund äußerer Umstände eine besonders erhöhte Sorgfaltspflicht trifft (LG Saarbrücken, Urt. v. 14.09.2012, Az.: 13 S 101/12, hier hälftige Haftung wegen besonders hohen Verkehrsaufkommens mit Stop-and-Go-Verkehr und einer Vielzahl von sich in Kolonnen einfädelnden Fahrzeugen bei der Ausfahrt von einem Konzertgelände). Derlei Anhaltspunkte sind im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich, weshalb es bei einer Mithaftung des Klägers von 1/3 verbleibt.

3.

Der Anspruch des Klägers ist auch der Höhe nach begründet. Denn der Kläger hat in seinem Antrag bereits seine Mithaftung zu 1/3 miteinberechnet. Die Höhe des Schadensersatzanspruchs richtet sich nach §§ 249 ff. BGB. Hiernach steht dem Kläger ein solcher Anspruch gegen die Beklagte zu 1) in der geltend gemachten Höhe von 7.297,23 € zu.

Zunächst stehen dem Kläger 2/3 der geltend gemachten Reparaturkosten von 8.903,62 € zu. Dies ist der Betrag, den der Sachverständige auf Grundlage des Parteigutachtens nachvollziehen konnte. Der Kläger hat das Fahrzeug tatsächlich reparieren lassen. Der Wiederbeschaffungsaufwand beträgt, je nachdem ob man einen Restwert von 5.000,00 € oder 5.300,00 € zu Grunde legt, aufgrund des Wiederbeschaffungswerts von 13.500,00 € entweder 8.500,00 € oder 8.200,00 €. Aufgrund der unstreitig tatsächlich durchgeführten Reparatur und der unstreitigen Weiternutzung des PKW von mehr als sechs Monaten konnte der Kläger die Reparaturkosten ersetzt verlangen (Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, § 249, Rn. 24).

Ebenso kann der Kläger 2/3 der vorgerichtlichen Sachverständigenkosten von 997,22 € ersetzt verlangen, da die Einholung des Gutachtens zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung als zur Schadensbezifferung notwendig war (Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, § 249, Rn. 58).

Weiter sind dem Kläger 2/3 des merkantilen Minderwerts zu ersetzen (Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, § 251, Rn. 14). Dieser wurde in dem vorgerichtlichen Parteigutachten mit 500,00 € beziffert. Die Beklagten haben diese Wertminderung zwar pauschal bestritten, diesen Vortrag aber nicht substantiiert. Indes sieht das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, weshalb an dem in dem vorgerichtlichen Parteigutachten ermittelten Minderwert Zweifel angezeigt wären.

Des Weiteren kann der Kläger 2/3 der geltend gemachten Nutzungsausfallentschädigung von 520,00 € verlangen. Dem Eigentümer eines privat genutzten Pkw, der durch einen Schaden die Möglichkeit zur Nutzung verliert, grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz für seinen Nutzungsausfall zusteht, wenn er zur Nutzung willens und fähig gewesen wäre (BGH, Urt. v. 18.12.2007, Az.: VI ZR 62/07). Da der Kläger das Unfallereignis unverletzt überstanden hat, ist von einer hypothetischen Nutzungsmöglichkeit auszugehen. Substantiierte Gegendarstellungen seitens der Beklagten wurden nicht beigebracht. Vielmehr bestätigt die Reparaturbescheinigung, die vom Kläger vorgelegt wurde, sowohl Nutzungswille als auch Nutzungsmöglichkeit. Auch an der Höhe der Entschädigung – 8 Tage zu je 65 € – die durch den Parteisachverständigen vorgerichtlich dargelegt wurde sieht das Gericht keinen Anlass zu Zweifeln.

Zuletzt kann stehen dem Kläger auch 2/3 der allgemeinen Unkostenpauschale von 25,00 € zu (jurisPK-StVR/Freymann/Rüßmann, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rn. 243).

Die Summe der dem Kläger durch die Beklagte zu 1) zu ersetzenden Schäden beträgt demnach 2/3 von 10.945,84 €, mithin insgesamt 7.297,23 €, was der Klageforderung entspricht.

Die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 337,07 € sind im Rahmen von § 249 BGB als erforderliche und zweckmäßige Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen (Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, § 251, Rn. 57). Diese Summe ist auch in der Höhe korrekt, da zur Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren bereits der um 1/3 gekürzte Betrag, mithin die Klageforderung zu Grunde gelegt wurde.

II.

Aus denselben Erwägungen besteht der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 1) auch aus § 18 Abs. 1 StVG. Denn die Beklagte zu 1) war zum Unfallzeitpunkt nicht nur Halterin ihres PKW, sondern fuhr ihn auch selbst.

III.

Aufgrund der Eigenschaft der Beklagten zu 2) als KFZ-Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 1) haftet diese dem Kläger ebenfalls nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.

Die Gesamtschuld der Beklagten folgt aus § 115 Abs. 1 S. 4 VVG.

IV.

Der Anspruch auf die Zinsforderung ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 288 BGB hinsichtlich des ursprünglich eingeklagten Teils sowie aus §§ 291, 288 BGB hinsichtlich des Teils, um den die Klage erweitert wurde.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709 S. 2 ZPO.

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