Schadensersatz nach Verkehrsunfall: Berufung der Beklagten erfolglos
Das Berufungsgericht hat entschieden, dass die Berufung der Beklagten keine Aussicht auf Erfolg hat. Das Landgericht hat rechtmäßig zugunsten des Klägers entschieden, der von den Beklagten Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall fordert. Die Beklagten haben dem Grunde nach für die Folgen des Unfalls einzustehen. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt ist und nicht die Nettoreparaturkosten beanspruchen kann. Der Kläger hat bis zum Ende der mündlichen Verhandlung ausreichend zu den Vorschäden und deren Behebung vorgetragen. Das Landgericht hat zudem den Schadensersatz rechtsfehlerfrei gemäß § 287 ZPO geschätzt.
Das Gericht hat festgestellt, dass der Kläger einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die Erstellung des Schadengutachtens hat. Diese Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Es ist grundsätzlich nicht relevant, ob das Gutachten objektiv mangelhaft oder unbrauchbar ist.
Die Beklagten haben keine Möglichkeit, ein Berichtigungsverfahren in Anspruch zu nehmen, um das Vorbringen zu korrigieren. Das Urteil des Landgerichts ist somit für das Berufungsverfahren bindend zugrunde zu legen.
Die Entscheidung des Landgerichts zugunsten des Klägers bleibt somit bestehen, und die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG. Die Beklagten haften als Gesamtschuldner für den zugesprochenen Schadensersatz.
OLG Hamm – Az.: I-7 U 33/21 – Beschluss vom 11.04.2022
Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung gegen das am 31.05.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Essen nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Es ist ferner beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 4.471,00 EUR festzusetzen.
Es besteht Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen. Die Beklagten mögen binnen dieser Frist mitteilen, ob sie ihre Berufung mit der damit verbundenen Kostenermäßigung zurücknehmen.
Gründe
I.
Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung der Beklagten offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere für sie günstigere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG der vom Landgericht zugesprochene Schadensersatz zu.
a.
Es steht zwischen den Parteien nicht in Streit, dass die Beklagten dem Grunde nach für die Folgen des Verkehrsunfalls einzustehen haben. Im Hinblick auf die Schadenshöhe ist das Landgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt ist und nicht, wie er mit der Klage geltend gemacht hat, die Nettoreparaturkosten beanspruchen kann.
aa.
Den Wiederbeschaffungswert hat das Landgericht auf Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens rechtsfehlerfrei gemäß § 287 ZPO auf 2.200,00 EUR geschätzt; insbesondere hat das Landgericht hierbei die Vorschädigung des Fahrzeugs berücksichtigt.
(1)
Für die Darlegung des Wiederbeschaffungswerts ist es auch bei abgrenzbaren Vorschäden für die Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO erforderlich, dass der Geschädigte zu den Vorschäden vorträgt. Der Wiederbeschaffungswert, also der Wert für den ein vergleichbares Fahrzeug ohne den streitgegenständlichen Unfallschaden zum damaligen Zeitpunkt auf dem Markt erworben werden konnte, kann nur ermittelt werden, wenn feststeht, in welchem konkreten Zustand sich das beschädigte Fahrzeug im Unfallzeitpunkt befand, insbesondere inwieweit der Wert durch Alt- und Vorschäden gemindert war (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 26.5.2021 – 7 U 55/20, Rn. 16, juris).
(2)
Vorliegend hat der Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz für die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts ausreichend zu den Vorschäden und deren Behebung vorgetragen.
Zu dem Verkehrsunfall, bei dem ein Fahrzeug von N rückwärts an seinem Fahrzeug vorne angestoßen ist, hat der Kläger das Sachverständigengutachten des Herrn O vom 25.06.2010 (Bl. 239 ff. d.A.) zur Akte gereicht und im Rahmen seiner Anhörung vom 11.11.2019 angegeben, dass er die Instandsetzung selbst vorgenommen und hierfür gebrauchte Originalteile vom Schrottplatz erworben habe. Des Weiteren hat der Kläger zu dem auf den Fotos des Sachverständigenbüros P zu sehenden Schaden in der Lackierung an der rechten Ecke des Stoßfängers (Anlage A23) angegeben, dass er dort an einer Mauer vorbeigeschrammt sei. Ob er diesen Schaden im Rahmen der laufenden Überarbeitung des Fahrzeugs beseitigt hat, konnte der Kläger nicht mehr mit Sicherheit angeben. Aufgrund der ständigen Überarbeitung des Fahrzeugs ist er jedoch davon ausgegangen, dass er diesen Schaden überlackiert habe.
(3)
Die Frage, inwieweit diese Vorschäden von den durch den Verkehrsunfall entstandenen Beschädigungen abgrenzbar sind, ist für die Höhe der gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Reparaturkosten maßgeblich. Auf diese kam es vorliegend an, um nachzuvollziehen, ob der Kläger auf Reparaturkostenbasis abrechnen kann oder auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt ist. Das Landgericht ist auf Grundlage des Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die erforderlichen Reparaturkosten auf 4.213,60 EUR brutto belaufen. Rechtsfehler des Landgerichts sind insofern nicht festzustellen. Insbesondere hat es im Hinblick auf einen nicht als unfallbedingt nachgewiesenen Streifschaden hinten links eine Kürzung der Lackierkosten des betroffenen Bauteils von 50 % vorgenommen. Im Übrigen hat der Sachverständige die Schäden am Fahrzeug des Klägers den Bauteilen und Beschädigungen am Fahrzeug der Beklagten zuordnen können.
(4)
Der vom Gericht beauftragte Sachverständige, dessen Ausführungen Grundlage für die gerichtliche Schadensschätzung gewesen sind, hat die Vorschäden des Fahrzeugs und die Selbstreparatur des Klägers in die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts einbezogen. Er ist gerade nicht davon ausgegangen, dass sich das Fahrzeug des Klägers in einem „einwandfreien technischen Zustand“ befunden habe und „lückenlos scheckheft-gepflegt“ sei.
Im Zeitpunkt der schriftlichen Gutachtenerstellung war dem Sachverständigen bekannt, dass das Fahrzeug Beschädigungen im Frontbereich erlitten hat (Seite Nr. 9 des Gutachtens). Anhand der zur Verfügung stehenden Lichtbilder hat er erkannt, dass der Scheinwerfer und der Kühlergrill defekt und oberflächliche Schäden an der Lackierung (vordere rechte Ecke) vorhanden gewesen sind.
Nachdem ihm in der mündlichen Verhandlung vom 10.05.2021 das Gutachten des Kfz-Sachverständigen-Büro O, das im Hinblick auf den vom Kläger geschilderten Anstoß an der Fahrzeugfront durch ein Paketzustellfahrzeug von N erstellt worden ist, vorgelegt worden ist, hat der Sachverständige hierzu ausgeführt, dass sich seine Wiederbeschaffungswertermittlung aufgrund dessen nicht verändere. Ein durchschnittliches Fahrzeug sei mit diesem Alter und der Laufleistung bereits an einem Punkt angekommen, wo nicht mehr viel Wertverlust eintreten könne. Kleinere Vorschäden würden keine Rolle mehr bei der Höhe des Wiederbeschaffungswerts spielen.
Im Hinblick auf die Schadensbehebung ist der Sachverständige nach den Ausführungen in seinem schriftlichen Gutachten davon ausgegangen, dass der Kläger (wie von diesem geschildert) die Schäden in Eigenregie unter Verwendung gebrauchter Teile und selbst durchgeführter Lackierarbeiten beseitigt habe. So habe er anhand des zur Verfügung stehenden Bildmaterials keine Anhaltspunkte dafür vorgefunden, dass die Beschädigungen aus dem Unfall mit dem N Fahrzeug zu dem Zeitpunkt noch vorgelegen haben, als das Fahrzeug vom Privat-Sachverständigen Q anlässlich des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls begutachtet worden ist.
Zudem habe er auf Grundlage der Lichtbilder feststellen können, dass auch der Schaden an der Lackierung der vorderen rechten Ecke zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Herrn Q beseitigt gewesen ist.
bb.
Sofern die Beklagten rügen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sei, ein Restwert würde bei dem Fahrzeug des Klägers nicht verbleiben, ist der Senat hieran gemäß §§ 314, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Wie die Beklagten ausführen, hat das Landgericht dies im unstreitigen Teil des Tatbestands festgestellt. Nach § 314 ZPO liefert der Tatbestand des Urteils Beweis für das mündliche Vorbringen. Dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden. Eine etwaige Unrichtigkeit tatbestandlicher Feststellungen kann nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO behoben werden. Wird die Berichtigung im ersten Rechtszug getroffener Feststellungen nicht beantragt, sind sie für das Berufungsverfahren bindend zugrunde zu legen (vgl. BGH Urt. v. 29.10.2020 – IX ZR 10/20, Rn. 21, beckonline). So liegt der Fall hier, da die Beklagten einen Berichtigungsantrag nicht gestellt haben.
Die Behauptung, bei dem Fahrzeug würde ein Restwert verbleiben, stellt demnach im Berufungsverfahren neues Vorbringen dar, das nur unter den Voraussetzungen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen wäre. Sofern die Beklagten in diesem Zusammenhang rügen, dass es sich bei dem Urteil des Landgerichts um eine unzulässige Überraschungsentscheidung gehandelt habe, worin ein Verfahrensmangel gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO liegen würde, greift dies nicht durch. So hat das Gericht in seinem Vergleichsvorschlag vom 20.01.2021 darauf hingewiesen, dass die Parteien zu einem Restwert bisher noch nicht vorgetragen haben. Daraufhin hat der Kläger dargelegt, dass ein Restwert des Fahrzeugs nicht festgestellt werden konnte. Die Beklagten haben sich hierzu erstinstanzlich nicht erklärt.
b.
Das Landgericht ist schließlich mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger einen Anspruch auf Freistellung von den ihm in Rechnung gestellten Kosten für die Erstellung des Schadengutachtens in Höhe von 696,00 EUR hat.
aa.
Diese Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH Urt. v. 28.2.2017 – VI ZR 76/16, Rn. 6, beck-online). Sie sind grundsätzlich vom Schädiger auch dann zu ersetzen, wenn das Gutachten objektiv mangelhaft oder gar unbrauchbar ist (vgl. OLG Hamm Urt. v. 8.5.2001 – 27 U 201/00 [unter 3]). Anders liegt es, wenn der Geschädigte die Unbrauchbarkeit des Gutachtens zu vertreten hat. Dies kommt dann in Betracht, wenn der Geschädigte einen erkennbar ungeeigneten Sachverständigen mit der Begutachtung betraut (sog. Auswahlverschulden) oder wenn der Geschädigte gegenüber dem von ihm beauftragten Privatsachverständigen erhebliche Vorschäden verschweigt und dieser deshalb zu einem fehlerhaften Ergebnis gelangt (vgl. OLG Düsseldorf Urt. v. 27.2.2018 – 1 U 64/17, Rn. 11, beck-online). Letzteres begründet jedenfalls eine gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB zu berücksichtigende Obliegenheitsverletzung, die zu einer Aberkennung des Anspruchs führen kann (vgl. OLG Düsseldorf Urt. v. 27.2.2018 – 1 U 64/17, Rn. 12, beck-online).
bb.
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Kläger gegenüber dem Privatsachverständigen die Vorschäden, die im Laufe des Rechtsstreits offenbar geworden sind, nicht mitgeteilt habe. Gleichwohl könne er Ersatz der Gutachterkosten verlangen, da er die Unbrauchbarkeit des Gutachtens nicht verschuldet habe bzw. das Verschweigen für die Unrichtigkeit nicht kausal geworden sei. Hieran ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Rechtsfehler in den Feststellungen sind nicht ersichtlich.
(1)
Das Gutachten des Privatsachverständigen Q war deswegen zur Begründung des geltend gemachten Sachschadens unbrauchbar, da der Privatgutachter von einem (überhöhten) Wiederbeschaffungswert von 7.000,00 EUR ausgegangen ist und somit die Reparaturkosten von 5.731,50 EUR brutto den Wiederbeschaffungswert nicht überschritten haben. Tatsächlich lag bereits der Wiederbeschaffungswert nach dem Ergebnis des vom Gericht eingeholten Gutachtens unterhalb des Reparaturaufwands, so dass der Kläger auf diesen beschränkt gewesen ist. Die mit der Klage geltend gemachten Reparaturkosten konnte der Kläger nicht verlangen.
(2)
Diese Fehlerhaftigkeit des Gutachtens ist dem Kläger jedoch nicht anzulasten. Wie der Wiederbeschaffungswert von 7.000,00 EUR ermittelt worden ist, ist im Schadengutachten nicht dargelegt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der ersten Instanz haben die verschwiegenen Vorschäden an der Front und der vorderen rechten Ecke den Wiederbeschaffungswert nicht beeinflusst. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen R ist – wie das Landgericht festgestellt hat – davon auszugehen, dass diese Vorschäden aufgrund des hohen Alters und der Laufleistung des Fahrzeugs keine relevante Auswirkung auf den Wiederbeschaffungswert gehabt haben. Darüber hinaus war der Streifschaden am linken Seitenteil, den der Sachverständige dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall nicht zuordnen konnte, ebenfalls nicht erheblich, da er durch bloße Lackierarbeiten beseitigt werden konnte und der Sachverständige R insofern einen Abschlag von den Lackierkosten von 50 %, was einen Betrag von 21,25 EUR ausgemacht hat (Anl. A 39 des Gutachtens), vorgenommen hat.
II.
Die Rechtssache hat zur einstimmigen Überzeugung des Senats auch keine grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts und eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.