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Verkehrsunfall – auf Autobahn mit 150 km/h mit einem Fahrstreifenwechsler

LG Verden –  Az.: 2 O 240/12 –  Urteil vom 23.12.2013

1. Die Beklagten zu 1. und 2. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 14.149,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.01.2011 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

2. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte zu 2) 1.272,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.06.2008 zu zahlen.

Die weitergehende Dritt-/ Widerklage wird abgewiesen.

3. Von den Gerichtskosten tragen die Beklagten zu 1) und 2) 48% als Gesamtschuldner, die Klägerin allein 46%, und die Beklagte zu 2) allein weitere 6%.

Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten zu 1) und 2) 50% als Gesamtschuldner und die Beklagte zu 2) allein weitere 2%.

Die außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten trägt die Beklagte zu 2) voll.

Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt die Klägerin 46 %.

Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) trägt die Klägerin 48%.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin und die Beklagten zu 1) und 2) jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Beklagte zu 2) darf die Vollstreckung seitens des Drittwiderbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Drittwiderbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 15.12.2007 gegen 5.45 Uhr auf der A 27 Richtung Bremen in der Gemarkung 29664 Walsrode bei km 17,683 ereignete.

Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt Kasko- und Haftpflichtversicherer des am Unfall beteiligten Pkw Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen HB-… . Der Beklagte zu 1) war Halter und Fahrer des ebenfalls am Unfall beteiligten Pkw VW Golf mit dem Kennzeichen H-… nebst Anhänger (amtl. Kennzeichen: H-… Kaskoversicherer dieses Fahrzeuggespannes war zum Unfallzeitpunkt die Beklagte zu 2).

Der Unfall ereignete sich wie folgt: Der Beklagte zu 1) führte seinen Pkw mit Anhänger auf der rechten Spur der zweispurigen A 27. Vor ihm, ebenfalls auf der rechten Spur, befand sich der Zeuge F mit seinem LKW, Kennzeichen DH-…, nebst Anhänger (amtl. Kennzeichen: WN-…). Dieser fuhr mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h. Hinter dem Beklagten zu 1) fuhr der Zeuge B. Beifahrer in dem Reisebus war der Zeugen Fr.

Der Beklagte zu 1) wechselte, um das Fahrzeuggespann des Zeugen F zu überholen, auf den linken Fahrstreifen. Währenddessen näherte sich der Mercedes mit einer Geschwindigkeit von 150 km/h auf der linken Spur dem Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1). Als sich das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) auf Höhe des Anhängers des Zeugen F befand, fuhr der Fahrer des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs auf das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) auf. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Fahrzeuggespann mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h geführt.

Verkehrsunfall - auf Autobahn mit 150 km/h mit einem Fahrstreifenwechsler
Symbolfoto: Von Joerg Huettenhoelscher /Shutterstock.com

Durch die Kollision wurde der Pkw Mercedes beschädigt. Für die Reparatur wären 19.593,56 € netto aufzuwenden gewesen. Darüber hinaus fielen Abschleppkosten in Höhe von 174,00 € an. Die Klägerin zahlte aus der Kaskoversicherung unter Berücksichtigung einer Selbstbeteiligung von 1.000,00 € 18.767,56 € an ihre Versicherungsnehmerin, die Firma … Bank AG (Bl. 30 d. A.). Des Weiteren zahlte die Klägerin als Haftpflichtversicherer an verschiedene Insassen des Fahrzeugs des Beklagten zu 1), an die Eigentümerin des Lkw-Gespanns und an die Niedersächsische Landesbehörde insgesamt 18.105,27 €. Mit Schreiben vom 15.12.2010 (Bl. 31 und 32 d. A.) forderte die Klägerin die Beklagte zu 2) auf, an sie 13.564,67 € (der Betrag beruht auf einem Rechenfehler) zu zahlen. Die Beklagte zu 2) lehnte die Forderungen der Klägerin mit Schreiben vom 12.01.2011 (Bl. 33 d. A.) ab.

Die Beklagte zu 2) zahlte aus einer Kaskoversicherung auf die Schäden des Beklagte zu 1) unter Berücksichtigung einer Selbstbeteiligung von 300,00 € an ihn 2.120,00 € (Bl. 135 d. A.). Mit Schreiben vom 06.05.2008 forderte die Beklagte zu 2) die Klägerin zur Regulierung des von ihr als Kaskoversicherer aufgewendeten Betrages auf. Die Klägerin lehnte dies mit Schreiben vom 13.06.2008 ab.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte zu 1) habe den Unfall allein verschuldet. Sie behauptet, das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) sei im Zeitpunkt der Kollision unbeleuchtet gewesen. Daher habe der Fahrer des bei ihr versicherten Fahrzeuges das Fahrzeuggespann nicht rechtzeitig erkennen können. Wäre das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) beleuchtet gewesen, hätte der Fahrer des Pkw Mercedes noch rechtzeitig reagieren können. Des Weiteren habe auch die geringe Überholgeschwindigkeit zum Unfall beigetragen. Der Beklagte hätte mit einer nur 10 km/h höheren Geschwindigkeit das Fahrzeuggespann des Zeugen F gar nicht überholen dürfen. Ferner habe der Beklagte zu 1) während des Fahrspurwechsels nicht ordnungsgemäß auf den nachfolgenden Verkehr geachtet. Hätte er dies getan, hätte er den herannahenden bei der Klägerin versicherten Pkw Mercedes erkennen müssen und wäre nicht zum Überholen ausgeschert. Auch sei der Verstoß gegen die zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h für den Unfall ursächlich geworden. Denn hätte der Beklagte zu 1) die zugelassene Höchstgeschwindigkeit eingehalten, hätte er keinen Anlass gehabt, die Fahrspur zu wechseln und es wäre nicht zu dem Unfall gekommen. Lediglich vorsorglich lasse sie sich eine Betriebsgefahr in Höhe von 25 % anrechnen, sodass sich die zu erstattende Kaskoleistung auf 13.825,67 € und die zu erstattende Haftpflichtleistung auf 13.578,95 € belaufe.

Der Beklagte zu 1) habe den Unfall allein verursacht. Aus diesem Grunde seien nach der Regulierung auch keine Ansprüche auf die Beklagte zu 2) übergegangen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 27.404,62 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.01.2011 zu zahlen und die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagten zu 1. und 2. beantragen, die Klage abzuweisen.

Wider- und drittwiderklagend beantragt die Beklagte zu 2.,

1. die Widerbeklagte und den Drittwiderbeklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Beklagte zu 2) 2.216,93 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus ab Zustellung der Wider- und Drittwiderklage zu zahlen.

2. die Widerbeklagte zu verurteilen, an die Beklagte zu 2) Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.120,00 € vom 13.06.2013 bis zur Zustellung der Wider- und Drittwiderklage zu zahlen.

Der Drittwiderbeklagte beantragt, die Drittwiderklage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Ansicht, der Unfall sei durch ein alleiniges Verschulden des Fahrers des Pkw Mercedes verursacht worden, sodass eine Regressforderung nicht bestehe. Sie behaupten, der stark alkoholisierte Drittwiderbeklagte sei das Fahrzeug gefahren und habe durch die Alkoholisierung die Situation nicht richtig wahrnehmen können. Der Beklagte zu 1) habe sich jedenfalls bereits 8 bis 10 Sekunden auf der linken Fahrspur befunden, bevor es zu der Kollision gekommen sei, sodass diese in keinem Zusammenhang mit dem bereits abgeschlossenen Fahrspurwechsel stehe. Ferner habe die Beleuchtung sowohl des Fahrzeugs als auch des Anhängers vor Fahrantritt funktioniert. Dies habe der Beklagte zu 1) zuvor kontrolliert gehabt. Die Betriebsgefahr des bei der Beklagten zu 2) versicherten Fahrzeugs trete hinter dem Verschulden des Drittwiderbeklagten komplett zurück. Für die anwaltliche Akteneinsicht seien der Beklagten zu 2) Kosten in Höhe von 96,93 € entstanden. Dieser Betrag sei ihr zu erstatten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen F, Fr und B. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 14.06.2013 (Bl. 212-219 d. A.) und 06.11.2013 (Bl. 259-261 d.A.) Bezug genommen. Der Drittwiderbeklagte und der Beklagte zu 1) wurden angehört (Sitzungsprotokoll vom 14.06.2013). Die Akte 341 Js 45763/07 der StA Verden wurde beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Das in diesem Verfahren eingeholte schriftliche Gutachten der DEKRA vom 20.12.2007 (Bl. 33 f Sonderheft I der Beiakte), das Behördengutachten des LKA Niedersachsen (Dipl. …) vom 15.01.2008 (Bl. 66 f Sonderheft I der Beiakte), das Behördengutachten des LKA Niedersachsen (Dr. …) vom 22.01.2008 (Bl. 73 f Sonderheft I der Beiakten), das Unfallrekonstruktionsgutachten der DEKRA vom 21.04.2008 und das Sachverständigengutachten (Verkehrsunfall und Biomechanik-Gutachten) vom 20.05.2010 des Sachverständigen Prof. Dr. … (Bl. 10 Band III der Beiakten) hat das Gericht gemäß § 411a ZPO zu Beweiszwecken verwertet.

Entscheidungsgründe

Die Klage und die Widerklage sind teilweise begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner eine Forderung auf Ersatz von 40 % der von ihr als Kasko- und Haftpflichtversicherer bereits gezahlten Beträge zu.

Der Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch in Höhe von 14.149,13 € aus §§ 7, 17 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 4 VVG und § 86 VVG. Unter Zugrundelegung der Haftungsquote der Beklagten in Höhe von 40 % ergibt sich aus den unstreitig seitens der Klägerin bereits gezahlten gesamten Kasko- und Haftpflichtleistungen von 36.872,83 € (18.105,27€ + 19.767,56€ – 1.000€ Selbstbeteiligung) ein Betrag von 14.149,13 €.

Der Beklagte zu 1) haftet als Fahrer und Halter gemäß §§ 7Abs. 1, 18 StVG, da er seinen Pkw VW Golf und seinen Anhänger im Unfallzeitpunkt geführt hatte. Die Beklagte zu 2) haftet gemäß § 115 Abs. 1 S. 4 VVG als Haftpflichtversicherin im gleichen Umfang wie der Beklagte zu 1).

Wird ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht, so hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, § 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StVG. Eine solche Abwägung der Verursachungsbeiträge ist nicht wegen einer Unabwendbarkeit des Ereignisses nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen. Unabwendbar ist ein Ereignis nur dann, wenn es durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. „Idealfahrers“ (Burmann/Heß/Jahnke/Janker: Straßenverkehrsrecht, § 17 StVG Rn. 8).

Beide Parteien haben einen derartigen Nachweis nicht geführt. Ein „Idealfahrer“ hätte die Kollision vermieden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. … in seinem Gutachten vom 21.04.2008 war der Pkw Mercedes noch ca. 57 m von dem Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) entfernt, als sich dieses auf Höhe des Anhängerhecks des Lkw-Gespanns befand. Der Fahrer des Pkw Mercedes hätte zu diesem Zeitpunkt aus einer Geschwindigkeit von 150 km/h sein Fahrzeug trotz des Fahrbahnwechsels des Beklagten zu 1) innerhalb von 3,6 s auf die von dem Beklagten zu 1) gefahrene Geschwindigkeit herabbremsen können, ohne dass es zu einer Kollision gekommen. Eine Vollbremsung hätte nicht vorgenommen werden müssen. Der Beklagte zu 1) andererseits hätte von dem Fahrspurwechsel wegen des herannahenden Mercedes Abstand nehmen können. Auch dann wäre es nicht zu Kollision gekommen.

Die erforderliche Abwägung der Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten führt zu einem Haftungsanteil der Beklagten in Höhe von 40 %.

Einen Verstoß des Beklagten zu 1) gegen § 17 Abs. 1 StVO hat die Klägerin nicht bewiesen. Die von ihr benannten Zeugen haben ihre Behauptung, die Beleuchtung des von dem Beklagten zu 1) geführten Gespanns sei nicht eingeschaltet gewesen, nicht bestätigt. Der Zeuge B hat bekundet, er habe das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1), bevor es zu der Kollision kam, gar nicht gesehen. Er habe zwar die Lichter des Lkw-Anhängers, der vor dem Fahrzeuggespann gefahren ist, wahrgenommen, aber nicht das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) Auch der Zeuge Fr hat bekundet, er habe zwischen ihrem Reisebus und dem Lkw-Anhänger kein Fahrzeug gesehen. An der Glaubwürdigkeit dieser beiden Zeugen bestehen keine Zweifel. Aus diesen beiden Zeugenaussagen kann nicht mit hinreichender Sicherheit darauf geschlossen werden, dass das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) dann ohne die erforderliche Beleuchtung geführt worden sein muss, weil die Zeugen dieses sonst bemerkt hätten. Dass die beiden Zeugen das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) nicht gesehen haben, kann auch darauf zurückzuführen sein, dass sie unaufmerksam waren oder sie aufgrund ihrer erhöhten Sitzposition in einem Reisebus über die Beleuchtung hinweggeblickt haben. Der Zeuge F hat nachvollziehbar bekundet, er habe das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) hinter sich wahrgenommen. Er habe auch die Frontscheinwerfer des Fahrzeuggespanns gesehen. Diese seien auch definitiv eingeschaltet gewesen, da er sonst das Fahrzeuggespann gar nicht hinter sich hätte wahrnehmen können. An der Glaubwürdigkeit des Zeugen hat das Gericht keine Zweifel. Seine Aussage ist mit dem Ergebnis der Untersuchungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. … vom 20.12.2007 in Einklang zu bringen. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass die Beleuchtung des Gespanns funktionsfähig gewesen sei. Die Leitungen hätten sich, abgesehen von den kollisionsbedingten Beschädigungen, in einem technisch einwandfreien Zustand befunden, sodass aus technischer Sicht davon auszugehen sei, dass auch die Steckdose des Zugfahrzeuges ordnungsgemäß funktioniert habe.

Ein Verstoß des Beklagten zu 1) gegen § 5 Abs. 2 S. 2 StVO führt nicht zu einer erhöhten Haftung der Beklagten. Nach dieser Vorschrift darf nur Überholen, wer mit einer wesentlich höheren Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt. Der Beklagte zu 1) überholte das Lkw-Gespann zwar mit einer nur um 8 km/h höheren Geschwindigkeit. Laut des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. … vom 21.04.2008 wurde das Lkw-Gespann des Zeugen F mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h und das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) mit einer Geschwindigkeit 98 km/h geführt. Der Schutzzweck der Regelung in § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO ist jedoch nicht tangiert. Zweck dieser Vorschrift ist es, Behinderungen des nachfolgenden Verkehrs durch lange Überholvorgänge zu verhindern (Burmann/Heß/Jahnke/Janker: Straßenverkehrsrecht, § 5 StVO Rn. 22). Sie dient jedoch nicht dem Schutz des Auffahrenden (LG Göttingen, Urteil vom 13. Januar 2003 – 9 S 55/02). Eine Behinderung durch einen langen Überholvorgang lag nicht vor. Der Beklagte zu 1) hat erst kurz hinter dem Lkw-Gespann zum Überholen angesetzt. Des Weiteren war, wie von dem Zeugen B bekundet, das Verkehrsaufkommen zum Unfallzeitpunkt gering, sodass von einer zeitlich andauernden Blockierung der gesamten Fahrbahn für den nachfolgenden Verkehr nicht ausgegangen werden kann.

Mangels eines Verstoßes gegen den Schutzzweck der Norm geht auch ein Verstoß des Beklagten zu 1) gegen § 18 Abs. 5 Nr. 1a StVO nicht zulasten der Beklagten. Die Überschreitung der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit für einen Pkw mit Anhänger von 80 km/h ist nicht unfallursächlich geworden. Der Fahrer des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs hätte sich auf alle Geschwindigkeiten des vorausfahrenden Gespanns einstellen müssen. Auch mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h hätte das Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) ein anderes, mit noch niedrigerer Geschwindigkeit fahrendes Fahrzeug überholen können.

Zulasten der Beklagten geht allerdings ein Verstoß des Beklagten zu 1) gegen § 5 Abs. 4 S. 1 StVO. Danach muss sich der zum Überholen Ausscherende so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Dies begründet die höchsten Sorgfaltsanforderungen an einen Fahrzeugführer (Burmann/Heß/Jahnke/Janker: Straßenverkehrsrecht, § 5 StVO Rn. 33). Diesen hohen Anforderungen hat der Beklagte zu 1) nicht genügt. Er ist ausgeschert, obwohl der Pkw Mercedes sich mit hoher Geschwindigkeit auf der linken Spur annäherte. Der Zeuge B hat, wie von ihm im Ermittlungsverfahren bekundet, von dem Überholen des Lkw-Gespanns Abstand, da er den sich von hinten auf der linken Spur herannahenden Pkw Mercedes im Rückspiegel wahrgenommen hatte. Bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt hätte auch der Beklagte zu 1) den Mercedes im Rück- oder Außenspiegel erkennen können. Eine nur leichte und geringfügige Behinderung, auf die sich der nachfolgende Verkehr in seiner Reaktionsbereitschaft und Fahrweise, z.B. durch leichtes Bremsen, einrichten kann, ist nicht eingetreten (Burmann/Heß/Jahnke/Janker: Straßenverkehrsrecht, § 5 StVO Rn. 33). Der Fahrer des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs hätte, laut des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. … vom 21.04.2008, eine mittelstarke Bremsung einleiten müssen um seine Geschwindigkeit auf die Geschwindigkeit des Fahrzeuggespanns des Beklagten zu 1) zu reduzieren.

Die überwiegende Verantwortlichkeit für den Zusammenstoß liegt jedoch bei dem Fahrer des bei der Klägerin versicherten Pkw Mercedes. Sein Mitverursachungsanteil ist mit 60 % zu bemessen. Die Beklagten haben nicht beweisen, dass der alkoholisierte Drittwiderbeklagte den Mercedes im Unfallzeitpunkt geführt hat. Weder aus dem Untersuchungsbericht des Dr. … vom 22.01.2008 noch aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dipl.-Ing. … vom 19.08.2010 lässt sich diese Behauptung der Beklagten entnehmen. Der Umstand, dass der Beifahrergurt nicht dieselben unfallbedingten Spuren aufwies, wie sie am Fahrergurt festgestellt wurden, stützt zwar den Sachvortrag der Beklagten. Zum Beweis der Behauptung reicht dies jedoch nicht aus. Der Drittwiderbeklagte war zwar nur geringfügig verletzt, was dafür spricht, dass er im Zeitpunkt der Kollision angegurtet war. Der Sachverständige … hat jedoch ausgeführt, dass sich aus dem Ergebnis der Untersuchungen des Beifahrergurtes nicht schließen lasse, dass dieser im Zeitpunkt der Kollision nicht benutzt worden sei. Der Sachverständige Dr. … hat zudem ausgeführt, dass auf der Beifahrerseite des Armaturenbretts sowie auf dem Mantel und der Hose des Drittwiderbeklagten von Tomaten stammende Anhaftungen gefunden worden seien, was wiederum den Sachvortrag des Drittwiderbeklagten stützt und in der Gesamtschau, keine sicheren Feststellungen zu der Frage erlaubt, wer den Mercedes geführt hat, was im Ergebnis zulasten der Beklagten geht.

Zulasten der Klägerin geht jedoch die sicher festgestellte Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen durch den Fahrer des Pkw Mercedes. Dieser führte das Fahrzeug laut dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. … vom 21.04.2008 mit einer Geschwindigkeit von 150 km/h. Dies führt zu einer Erhöhung des Haftungsanteils der Klägerin wegen einer Erhöhung der Betriebsgefahr des Mercedes (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 21.03.2012, 3 U 69/11, zitiert nach juris).

Ferner geht ein Verstoß des Fahrers des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs gegen § 1 Abs. 2 StVO zulasten der Klägerin. Die Klägerin muss sich die Unaufmerksamkeit und Unachtsamkeit des Fahrers des bei ihr versicherten Fahrzeugs zurechnen lassen. Aus dem Gutachten vom 21.04.2008 ergibt sich, dass sich der Pkw Mercedes noch ca. 218 m hinter dem Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1) befand, als dieser zum Überholen ansetzte. Im Zeitpunkt, da der Überholvorgang abgeschlossen war, lag zwischen dem Pkw Mercedes und dem Gespann immer noch eine Strecke von 116 m. Dem Führer des Mercedes wäre es möglich gewesen, bereits zu diesem Zeitpunkt eine Abbremsung seines Fahrzeuges einzuleiten. Selbst wenn er erst ca. 57 m vor dem Fahrzeuggespann des Beklagten zu 1. die Bremsung eingeleitet hätte, wäre es ihm mit einer mittelstarken Bremsung noch möglich gewesen, den Pkw Mercedes auf die Geschwindigkeit des Fahrzeuggespanns des Beklagten zu 1. abzubremsen. Zu einer Kollision wäre es dann nicht gekommen. Es steht daher zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Fahrer des Pkw Mercedes den Verkehr vor ihm nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit beobachtet hat.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten aus §§ 288Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.01.2011 (Zugang des Schreibens der Beklagten zu 2) vom 12.01.2011). Der Antrag des Klägers ist gemäß §§ 133, 157 BGB dahingehend auszulegen, dass Zinsen in gesetzlicher Höhe, d.h. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beantragt wurden. Die Beklagten befinden sich seit dem 14.01.2011 im Verzug, nachdem die Beklagte zu 2) für sich und den Beklagten zu 1) durch Schreiben vom 12.01.2011 jegliche Forderungen der Klägerin zurückgewiesen hat.

Die Dritt- Widerklage ist zulässig und teilweise begründet.

Die Beklagte zu 2) hat gegen die Klägerin einen Anspruch auf 60 % des von ihr auf Grund der Kaskoversicherung an den Beklagten zu 1) gezahlten Betrages. Dieser Anspruch folgt aus §§ 7, 17 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 4 VVG und § 86 VVG und besteht in Höhe von 1.272,00 € (2.120,00 € x 60%). Dass der Drittwiderbeklagte den Pkw Mercedes im Unfallzeitpunkt geführt hat, ist, wie oben dargelegt, nicht bewiesen. Dass der Drittwiderbeklagte Halter des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs gewesen ist, trägt die Beklagte zu 2) nicht vor. Der Beiakte (dort Bl. 1 und 3) sowie den Angaben aus dem Gutachten der DEKRA vom 21.04.2008 (Bl. 40 d.A.) entnimmt das Gericht, dass …, der Bruder des Drittwiderbeklagten, damals Halter dieses Pkw war.

Ein Anspruch der Beklagten zu 2) auf Erstattung von Kosten in Höhe von 96,93 €, die ihr durch anwaltliche Akteneinsicht entstanden sind, besteht nicht. Der Anfall der Kosten wurde seitens der Beklagten zu 2) nicht unter Beweis gestellt.

Ferner ergibt sich ein Zinsanspruch der Beklagten zu 2) gegen die Klägerin aus §§ 288Abs. 1, 287 Abs. 1 S.1, Abs. 2 Nr. 3 BGB auf Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.06.2008 (Zugang des Schreibens vom 13.06.2008). Die Klägerin befindet sich seit dem 16.06.2008 in Verzug, nachdem sie durch ihr Schreiben vom 13.06.2008 die Regulierung der von der Beklagten zu 2) als Kaskoversicherer aufgewendeten Beträge verweigert hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 ZPO. Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO und §§ 708Nr. 11, 711 ZPO.

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