AG Bad Urach, Az.: 1 C 265/18, Urteil vom 17.10.2018
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 104,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.11.2017 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 35 % und die Beklagte 65 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der Gegenpartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Streitwert: 161,- €
Tatbestand
Die Klägerin ist eine bundesweit tätige Autovermieterin mit Sitz in M. Sie verlangt restlichen Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls vom 13.10.2017 in 72587 Römerstein, den der Versicherungsnehmer der beklagten Haftpflichtversicherung schuldhaft verursacht hat. Dadurch entstand am PKW Skoda der Klägerin ein Schaden im Bereich der linken Fahrzeugseite. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung verlangt die Klägerin noch einen Teil des Fahrzeugschaden auf der Grundlage eines von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens, nämlich Verbringungskosten in Höhe von 159,32 €. Außerdem verlangt die Klägerin Entziehungszinsen aus dem Betrag der Wertminderung für die Zeit zwischen dem Unfallzeitpunkt und dem Tag vor dem Zahlungseingang des entsprechenden Regulierungsbetrags.
Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, Verbringungskosten seien im Rahmen einer fiktiven Schadensabrechnung ersatzfähig, weil diese Kosten im Fall der Reparatur in der Region ihres Geschäftssitzes in M. bei markengebundenen Fachwerkstatt typischerweise anfielen.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 159,32 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.11. 2017 sowie Entziehungszinsen in Höhe von 4 % aus 300,- € vom 13.10.2017 bis 20.11.2017 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie meint, Verbringungskosten seien nicht zu ersetzen, weil sie tatsächlich nicht angefallen seien und bei örtlichen Vertragswerkstätten auch nicht anfielen. Entziehungszinsen könne die Klägerin nicht verlangen, weil sie gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen habe, indem sie erst mehr als einen Monat nach dem Unfall Sachverständigengutachten und Anspruchsschreiben übersandt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens zu den bei Skoda-Vertragswerkstätten in der Unfallregion üblichen Verbringungskosten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 01.10.2018 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet.
1. Verbringungskosten
a) Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz weiteren Schadens in Form fiktiver Verbringungskosten in Höhe der in der Unfallregion üblichen, durchschnittlichen 104,- €. Der Sachverständige B. der DEKRA R. hat nachvollziehbar und überzeugend durch eine Umfrage bei den Skoda-Vertragswerkstätten im näheren und weiteren Umkreis ermittelt, dass durchweg Verbringungskosten in Rechnung gestellt werden. Er hat weiter festgestellt, dass der Durchschnittspreis bei den – für den Fall einer Reparatur normalerweise in Frage kommenden – Werkstätten im Umkreis von 30 km um den Unfallort 104,- € beträgt.
b) Dass Verbringungskosten bei fiktiver Abrechnung erstattungsfähig sind, d.h. allein auf Gutachtenbasis und ohne Nachweis, dass die Reparatur tatsächlich und in vollem Umfang fachgerecht durchgeführt wird und die verlangten Kosten auch wirklich anfallen, entspricht wohl überwiegender und richtiger Meinung in Rechtsprechung und Literatur (OLG Frankfurt, NZV 2017, 27; OLG Hamm NZV 2013, 247; KG VersR 2010, 1178; OLG Düsseldorf SP 2012, 324; Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl., § 249 Rn. 14 m.w.N.; vgl. Übersicht bei BHHJ/Jahnke, StVR, 25. Aufl., § 249 BGB Rn. 104). Die Sache liegt nicht anders als bei den sog. UPE-Aufschlägen. Verbringungskosten stellen einen Kostenfaktor der Reparatur dar, die bei Durchführung der Reparatur – in der hiesigen Region – anfallen, bei einem Verzicht auf die Reparatur oder bei einer Reparatur in einer Nicht-Vertragswerkstatt, z.B. einem speziellen Karosseriebetrieb, aber nicht. Wenn man jedoch tatsächlich nicht anfallende Kosten als ersatzfähigen Schaden anerkennt, sei es in Form von den höheren Stundenpreisen von Vertragswerkstätten, sei es in Form tatsächlich nicht eingebauter Ersatzteile oder auch in Form von Nutzungsausfall, was die ganz herrschende Rechtsprechung unter Führung des BGH unter Berufung auf die Dispositionsfreiheit des Geschädigten tut (vgl. z.B. BGH v. 13.07.2010, Az. VI ZR 259/09, NJW 2010, 2941; BGH, U. v. 15.02. 2005, Az. VI ZR 172/04, NJW 2005, 1110; zur Entwicklung Schulz ZfS 2017, 250), gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, Verbringungskosten davon auszunehmen.
c) Maßgeblich für die Höhe fiktiver Verbringungskosten sind die Preise, die bei fiktiver Durchführung der Reparatur tatsächlich anfallen würden. Das sind bei nur leicht beschädigten Fahrzeugen, die nach dem Unfall noch verkehrssicher sind, im Regelfall die Preise des üblichen Standorts des Fahrzeugs, bei schwerer beschädigten, nicht mehr verkehrssicheren Fahrzeugen im Zweifel die Preise in der Unfallregion. Denn ein wirtschaftlich denkender Eigentümer wird ein nicht mehr verkehrssicheres Fahrzeug lieber vor Ort reparieren als es über weite Strecken auf einem Abschleppfahrzeug transportieren lassen, wenn sich durch den Transport der wirtschaftliche Schaden unnötig vergrößert und wenn es keine besonderen Gründe gibt, den Wagen z.B. in einer heimatnahen Werkstatt besonderen Vertrauens reparieren zu lassen. Solche eher affektiven Interessen spielen bei der fiktiven Abrechnung keine Rolle, denn solche kommen nach der Entscheidung des Eigentümers gerade nicht zum Tragen.
d) Dass auch im vorliegenden Fall nach den regionalen und üblichen Preisen am Unfallort abzurechnen ist, hat neben den rechtlichen Grundüberlegungen zwei tatsächliche Gründe, die je für sich ausreichen, um einen Ersatz höherer Verbringungskosten, wie sie am Geschäftssitz der Klägerin üblich sein mögen, auszuschließen.
Zum einen war der streitgegenständliche Wagen nach dem Privatgutachten der Klägerin nicht mehr verkehrssicher. Schon deshalb wäre eine Reparatur, wenn sie denn tatsächlich durchgeführt worden wäre, sinnvollerweise in der Gegend des Unfallorts durchzuführen gewesen. Aus diesem Grund hat der von der Klägerin beauftragte Privatsachverständige den Wagen auch in R. besichtigt und nicht an seinem Geschäftssitz in N. und auch nicht am Geschäftssitz der Klägerin in M.
Zum anderen hat das streitgegenständliche Fahrzeug nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerin auch keinen festen Standort und nicht einmal einen Schwerpunkt-Standort, sondern wird je nach Bedarf an beliebigen Vermietungsstationen der bundesweit tätigen Klägerin eingesetzt.
e) Die von der Klägerin angeführten Gerichtsentscheidungen bieten keinen Anlass, die Sache anders zu beurteilen. Die Urteile des Amtsgerichts München sprechen von vornherein nicht gegen die hiesige Auffassung, denn sie betreffen alle Verkehrsunfälle aus dem Raum München. Die wenigen anderen Entscheidungen sind zum Teil nicht veröffentlicht bzw. nicht vorgelegt (z.B. AG Bielefeld Az. 401 C 77/17) und können daher nicht in die Prüfung einbezogen werden oder sie begründen die andere Auffassung nicht näher bzw. sind nicht nachzuvollziehen. Denn was fiktive Reparatur- bzw. Verbringungskosten z.B. mit dem Ort der Zulassung des Fahrzeugs zu tun haben sollen (AG Hannover Az. 406 C 528/16), erschließt sich nicht. Wäre dem so, müssten Schäden an Fahrzeugen von Mitarbeitern z.B. der Deutschen Telekom bzw. der T-Systems AG alle nach den Preisen der Bonner Betriebe abgerechnet werden unabhängig vom Wohnort des Mitarbeiters und Standort des Fahrzeugs, wo die Fahrzeuge tatsächlich genutzt und ggf. auch repariert werden. Das würde zu völlig zufälligen und willkürlichen Ergebnissen führen.
Soweit sich die Klägerin für ihre Auffassung auf die Entscheidung des AG Darmstadt Az. 308 C 93/18 stützt, so fehlt es dort an einer inhaltlichen Begründung für die vertretene Auffassung. Das Urteil widerspricht sich auch insofern – oder bleibt zumindest unklar -, als es bei den UPE-Aufschlägen bei einem bundesweit tätigen Unternehmen mit bundesweit eingesetzten Fahrzeugen auf den Sitz des Unternehmens ankommen soll, andererseits aber die Preise des „jeweiligen regionalen Marktes“ maßgeblich sein sollen, wo „das Auto repariert werden soll“. Im Übrigen beruft sich das AG Darmstadt in dem Urteil auf eine Entscheidung des AG Hechingen (Az. 2 C 416/11), das sich aber nur allgemein mit der Ersatzfähigkeit fiktiver Verbringungskosten beschäftigt und zudem – wie das hier erkennende Gericht – der Entscheidung das Gutachten eines örtlichen Sachverständigen zugrunde gelegt hat.
f) Hinzu kommt, dass nicht einzusehen ist, warum es im Wettbewerb der großen, bundesweit tätigen Autovermietungen vom Zufall des Geschäftssitzes abhängen soll, wie hoch Schadensersatz bei fiktiver Abrechnung ausfällt. Denn dann müsste die Klägerin mit einem bekanntermaßen „teuren“ Standort in M. wesentlich höhere Ersatzbeträge verlangen können als die großen Vermieter mit Geschäftssitz etwa in Hamburg oder Berlin mit bekanntlich niedrigerem örtlichen Lohnniveau, ohne dass sich diese höheren Preise sonst in irgendeiner Weise auf die Geschäftskosten auswirken würden.
g) Die Meinung der Klägerin entspricht auch nicht überwiegender oder gefestigter Rechtsprechung. Andere Gerichte – auch zweitinstanzlich – entscheiden wie hier, zuletzt das LG Osnabrück (U. v. 05.07.2018, Az. 4 S 458/17; zustimmend Wenker, jurisPR-VerkR 20/2018 Anm. 4).
2. Entziehungszinsen
Entziehungszinsen kann die Klägerin nicht verlangen, nachdem sie den Schaden fiktiv abrechnet und für den Nutzungsausfall während der (fiktiven) Reparaturdauer bereits entschädigt worden ist. Entziehungszinsen gleichen – als eine Form des Mindestschadens bzw. einer Form der Schadenspauschalierung (vgl. MünchKomm-BGB/Wagner, 7. Aufl., § 849 Rn. 2 u. 5) – den Nachteil aus, der dadurch entsteht, dass eine Sache beschädigt oder zerstört ist und dem Eigentümer daher nicht zur Verfügung steht. Maßgeblich ist der Zeitraum der Sachentziehung. Soweit sich die pauschalierte Entschädigung für entgangene Gebrauchsvorteile des Kraftfahrzeugs und die Verzinsung nach § 849 BGB zeitlich überschneiden, ist kein Raum für beide Ansprüche nebeneinander (BGH, U. v. 24.02.1983 – VI ZR 191/81, NJW 1983, 1614, 1615).
Bei fiktiver Abrechnung ohne Angaben gibt es aber außer dem (fiktiven) Reparaturzeitraum keine weitere (nachprüfbare) Zeit, in der der Klägerin die Sachnutzung entzogen ist, denn es steht nicht fest, ob und wann die Klägerin das Fahrzeug reparieren lässt, ob sie es veräußert oder wie auch immer sie damit verfährt. Auf das tatsächliche Schadensmanagement kommt es nicht an, weil fiktive und konkrete Schadensabrechnung nicht vermengt werden dürfen. Diese Schadensposition ist daher bei fiktiver Abrechnung nicht darstellbar. Das gilt jedenfalls dann, wenn wie im vorliegenden Fall der Anspruch auf Wertminderung erst mehr als drei Wochen nach dem Unfall geltend gemacht wird. In der Zeit wäre eine Reparatur, wenn denn repariert worden wäre, längst durchgeführt gewesen.
3. Nebenentscheidungen
Die Entscheidungen über die Verzinsung, die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 286, 288 BGB und §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO. Auch wenn es sich um einen unbedeutenden Einzelfall handelt, wird ausnahmsweise die Berufung zugelassen, um den Parteien die Möglichkeit zu geben, zumindest auf Landgerichtsebene eine einheitliche Klärung zu erreichen.