Vergleichsfälle
OLG München – Az.: 10 U 2287/20 – Urteil vom 29.07.2020
1. Auf die Berufung des Klägers vom 14.04.2020 wird das Endurteil des LG München I vom 20.03.2020 (Az. 19 O 4857/18) in Nr. 1, 2 und 4 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,- € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.000,- € seit 09.12.2016 und aus 2.000,- € seit 11.03.2017 zu zahlen.
II. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 3.903,29 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.12.2016 zu zahlen.
III. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger vorprozessuale Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.04.2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).
B.
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache nur geringen Erfolg.
I. Soweit die Berufung die vom Erstgericht ausgeurteilte Schmerzensgeldhöhe in Höhe von 7.000,- € angreift, ist die Berufung unbegründet. Denn das Erstgericht hat die sachlich-rechtliche Frage der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe zutreffend beantwortet.
Der Berufungsführer hat schon keinen Fehler des Ersturteils in Form der nicht vollständigen oder nicht richtigen Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände oder der greifbar fehlerhaften Bewertung des Schmerzensgelds aufgezeigt. Denn die in der Berufung dargelegten Verletzungen und Verletzungsfolgen fanden bei dem Ersturteil bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe Berücksichtigung. Der Senat ist im Übrigen aufgrund eigenständiger Überprüfung (vgl. dazu BGH NJW 2006, 1589 ff.; Senat, Urt. v. 30.7.2010 – 10 U 2930/10 [juris]) der Ansicht, dass das zugesprochene Schmerzensgeld angemessen ist.
1.) Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440 1980, 975; 1988, 299; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (grdl. BGH – GSZ – BGHZ 18, 149 ff.; ferner BGH NJW 2006, 1068 [1069]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]). Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]); OLG Brandenburg, Urt. v. 8.3.2007 – 12 U 154/06 [juris]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]).
2.) Soweit der Berufungsführer sein Erhöhungsverlangen mit Hinweisen auf vergleichbare Fälle begründet, ist dies nicht zielführend. Denn die §§ 253 II BGB, 11 S. 2 StVG sprechen von „billiger Entschädigung in Geld“. Da es eine absolut angemessene Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Nachteile nicht gibt, weil diese nicht in Geld messbar sind (BGH – GSZ – BGHZ 18, 149 [156, 164]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 – 10 U 3249/10 [juris]), unterliegt der Tatrichter bei der ihm obliegenden Ermessensentscheidung von Gesetzes wegen keinen betragsmäßigen Beschränkungen (BGH VersR 1976, 967 [968 unter II 1]; Senat, a.a.O.). Deshalb können aus der Existenz bestimmter ausgeurteilter Schmerzensgeldbeträge keine unmittelbaren Folgerungen abgeleitet werden (Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 13.8.2010 – 10 U 3928/09 [juris]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [124]). Verweise auf solche Vergleichsfälle ohne umfassende Herausarbeitung der Fallähnlichkeit, die neben den Verletzungen weitere Variable, nämlich Geschlecht, Alter, Beruf, Vorschädigung, Empfindlichkeit, Einkommen und Vermögensverhältnisse des Geschädigten, sowie Verschulden, Einkommen, Vermögensverhältnisse und Versicherung des Schädigers zu berücksichtigen hat (Berger VersR 1977, 877 [878 unter II 3]), sind also nicht weiterführend.
3.) Auch geht das Erstgericht unter Verweis auf die Anfang 2017 geleistete Vorschusszahlung in Höhe von 2.500,- € und unter Berücksichtigung des Schreibens der Beklagten zu 2) vom 08.12.2016 (Anlage B 3) zutreffend davon aus, dass ein schmerzensgelderhöhendes zögerliches Regulierungsverhalten der Beklagtenseite nicht zu erkennen ist.
Zwar bewertet der Senat zögerliches/kleinliches Regulierungsverhalten schmerzensgelderhöhend, verlangt aber wie auch die übrige Rechtsprechung, dass es sich um ein vorwerfbares oder jedenfalls nicht nachvollziehbares Verhalten handelt (u. a. SP 2011, 107), welches sich niederschlägt in
a) unangemessen niedrigen vorprozessuale Leistungen (vgl. etwa OLG Nürnberg zfs 1995, 452; VersR 1998, 731 [732] OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 7.1.1999 – 12 U 7/98 OLG Köln NJW-RR 2002, 962 [963]: Zahlung eines „lächerlich geringen Betrages“ OLG Naumburg VersR 2002, 1569: offensichtlich unzureichende vorprozessuale Leistung [50.000,– DM von insgesamt 225.000,– DM] und dann Erhebung unzutreffender verfahrensverzögernder Einwendungen gegen die Schmerzensgeldhöhe – Revision vom BGH nicht angenommen [Beschl. v. 18.6.2002 – VI ZR 380/01] OLG Hamm VersR 2003, 780 Senat, Beschl. v. 19.1.2009 – 10 U 4917/08 [177.387,56 € mit vorgeschlagener Gesamtabfindung bei inkompletter Querschnittslähmung und schwersten Folgeerkrankungen statt angemessener 350.000,– €]; SP 2011, 107; Urt. v. 24.9.2010 – 10 U 2671/10 [juris Rz. 25–27]);
b) unverständlich verzögerter Regulierung, insbesondere, wenn die Haftung dem Grunde nach unstreitig ist und trotzdem keine Abschlagszahlung erfolgt (BGH VersR 1964, 1103 1967, 256 [257]; BGHZ 163, 351 Senat u. a. SP 2011, 107 m.w.N.);
c) unvertretbarem (vor-)prozessualen Verhalten, wenn es über die verständliche Rechtsverteidigung hinausgeht (Senat, Urt. v. 30.6.1976 – 10 U 1571/76 [juris]) und von einem Geschädigten als herabwürdigend empfunden werden muss (Senat, Urt. v. 2.6.2006 – 10 U 1685/06 [juris]; Urt. v. 24.9.2010 – 10 U 2671/10 [juris]).
Allerdings ist derartiges zögerliches/kleinliches Regulierungsverhalten, bei dem es sich um ein vorwerfbares oder jedenfalls nicht nachvollziehbares Verhalten der Beklagtenseite handelt, vorliegend nicht gegeben, auch wenn die mit Abrechnungsschreiben der Beklagten zu 2) vom 30.01.2017 (Anlage BLD 1) an den Kläger geleistete Vorschusszahlung in Höhe von 2.500,- € erst etwa 2 Monate nach Ablauf der klägerseits mit Anwaltsschriftsatz vom 16.11.2016 (Anlage K 9) zum 08.12.2016 gesetzten Zahlungsfrist erfolgt ist. Dieser Vorschuss begründet auch aufgrund der geleisteten Höhe von nur 2.500,- € kein zögerliches/kleinliches Regulierungsverhalten der Beklagtenseite, da zur Klärung dieser strittigen Frage im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens mehrere schriftliche Sachverständigengutachten unterschiedlicher medizinischer Fachrichtungen erholt werden mussten, um die Frage der unfallbedingten Verletzungsfolgen und deren Ausmaßes zu klären.
Weiter ist beachtlich, dass der Kläger den seitens der Beklagten zu 2) mit Schreiben vom 11.11.2016 (Anlage BLD 2) übersandten Fragebogen, mit dem von dem Kläger weitere Informationen angefordert worden waren, der Beklagten zu 2) nicht ausgefüllt zurückgesandt hat. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einwendet, dass die Beklagte zu 2) mit diesem Fragebogen keine weiteren für die Schadenregulierung erforderlichen Informationen erhalten konnte, die der Beklagten zu 2) nicht schon aufgrund der unter derselben Schadennummer bearbeiteten Regulierung der seitens des Eigentümers des vom Kläger gelenkten Suzuki-Rollers geltend gemachten Ansprüche bekannt gewesen wäre, greift dies nicht durch. Denn die Regulierung der von dem Eigentümer des Suzuki-Rollers geltend gemachten Ansprüche kann im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche allenfalls die Haftung dem Grunde nach betreffen. Diese andere Regulierung kann jedoch nicht die verschiedenen für eine Schmerzensgeldbemessung erforderlichen Gesichtspunkte betreffen, da bei dieser auch andere, insbesondere medizinische den Kläger betreffende Fragestellungen in mitten stehen und zu klären waren. Somit wären für die Beklagte zu 2) die mit diesem Fragebogen erfragten Informationen ggf. teilweise, aber gerade nicht vollständig anders ermittelbar gewesen. Weiter lässt der Kläger hierbei außer Acht, dass die Beklagte zu 2) dem Kläger mit Schreiben vom 08.12.2016 (Anlage BLD 3) u.a. mitgeteilt hatte, dass die streitgegenständliche Schadensache nunmehr von der Hauptverwaltung in C. bearbeitet wird, dass ihre Ermittlungen zur Haftung noch nicht weiter fortgeschritten waren, sowie dass die Schadenanzeige bei dem Versicherungsnehmer der Beklagten zu 2) angemahnt war.
Auch der Einwand des Klägers, dass schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen sei, dass die Beklagte zu 2) eine dem Schreiben vom 11.11.2016 (Anlage BLD 2) beigefügte und mit Schreiben vom 08.12.2016 (Anlage BLD 3) angemahnte ärztliche Schweigepflichtentbindungserklärung seitens des Klägers gefordert hat, auf die Beklagtenseits aufgrund der geforderten Weite der ärztliche Schweigepflichtentbindungserklärung keinen Anspruch gehabt habe, greift nicht durch. Zwar verweist der Kläger hierbei zutreffend darauf, dass er der Beklagten zu 2) mit Anwaltsschreiben vom 16.11.2016 (Anlage K 9) eine von ihm unterschrieben Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht übermitteln ließ. Allerdings erläuterte die Beklagte zu 2) dem Kläger mit Schreiben vom 08.12.2016 (Anlage BLD 3) dezidiert ihre Auffassung, warum die vom Kläger übermittelte Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht für die Bearbeitung der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche ausreichend sei. Außerdem erläuterte die von der Beklagten zu 2) geforderte ärztliche Schweigepflichtentbindungserklärung transparent für den Kläger, dass er alternativ zu der Abgabe der geforderten Erklärung die Möglichkeit habe, die Gesundheitsdaten zum Nachweis des Schadens selbst an die Beklagte zu 2) zu senden oder senden zu lassen. Angesichts dessen war es hinsichtlich der Thematik eines schmerzensgelderhöhenden zögerlichen Regulierungsverhalten der Beklagtenseite nicht ausreichend, dass der Kläger auch auf das Schreiben der Beklagten zu 2) vom 08.12.2016 (Anlage BLD 3) nicht reagierte. Vielmehr hätte der Kläger hierauf konkret erwidern müssen, inwieweit die von der Beklagten zu 2) geforderte ärztliche Schweigepflichtentbindungserklärung unzulässig ist.
Somit teilt der Senat in der Gesamtschau der vorstehenden Gesichtspunkte den Einwand der Klagepartei nicht, dass die Beklagte zu 2) mit der geforderte ärztliche Schweigepflichtentbindungserklärung sowie mit dem mit Schreiben vom 11.11.2016 (Anlage BLD 2) geforderten Fragebogen nur die Regulierung verzögern wollte.
4. Die Berufung ist hinsichtlich der ausgeurteilten Verzugszinsen begründet. Denn entgegen den Ausführungen des Erstgerichts handelt es sich bei dem Anwaltsschreiben vom 16.11.2016 (Anlage K 9) um ein spezifiziertes Anspruchsschreiben der Klagepartei, durch das die Beklage zu 2) ab dem 09.12.2016 in Verzug gesetzt worden ist. Da mit diesem Schreiben hinsichtlich des vom Kläger begehrten Schmerzensgeldes zunächst nur ein Vorschuss in Höhe von 5.000,- € geltend gemacht wurde, wurde die Beklagtenseite mit diesem Schreiben hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruches in dieser Höhe in Verzug gesetzt. Hinsichtlich des weiteren Schmerzensgeldanspruches in Höhe von 2.000,- € befindet sich die Beklagtenseite erst aufgrund des weiteren Anspruchsschreibens des Klägers vom 23.02.2017 ab dem 11.03.2017 in Verzug.
5. Weiter ist die Berufung hinsichtlich der ausgeurteilten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten teilweise erfolgreich. Zutreffend wird mit der Berufung gerügt, dass das Erstgericht bei der Berechnung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten den Wert der Feststellungsklage in Höhe von 5.000,- außer Betracht gelassen hat, obwohl die Klagepartei unstreitig mit Anspruchsschreiben vom 23.02.2017 von der Beklagtenseite eine Verpflichtungserklärung für Zukunftsschäden verlangt hatte. Folglich berechnen sich die erstattungsfähigen vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren nicht aus einem Streitwert in Höhe von 10.903,29 €, sondern aus einem Streitwert in Höhe von 15.903,29 €.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO. Soweit die Berufung erfolgreich war, betraf dies nur Nebenforderungen, die für die Bemessung des Streitwertes und damit für die Kostenentscheidung nicht relevant waren, § 4 Abs. 1 HS. 2 ZPO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.