LG Saarbrücken, Az: 13 S 196/13, Urteil vom 28.03.2014
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 5. Dezember 2013 – 120 C 105/13 (05) – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert, und die Beklagten werden unter Klageabweisung im Übrigen als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.706,39 € sowie 136,73 € vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.706,39 € seit dem 26. Januar 2013 und aus 136,73 € seit dem 20. März 2013, der Erstbeklagte ferner für die Zeit vom 19. bis zum 20. März 2013, zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 30 % und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu 70 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 21. Oktober 2012 in einem Kreisverkehr in … ereignete.
Der Kläger fuhr im Kreisverkehr und passierte die Einmündung der … Straße in den Kreisverkehr. Der Erstbeklagte, dessen Pkw bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert ist, schleppte ein weiteres Fahrzeug mit einem ca. 5 m langen Abschleppseil ab und fuhr von der … Straße her kommend in den Kreisverkehr ein. Noch bevor sich das abgeschleppte Fahrzeug vollständig im Kreisverkehr befand, kollidierte die vordere linke Ecke des klägerischen Fahrzeugs mit der hinteren linken Ecke des Beklagtenfahrzeugs. Durch den Unfall ist dem Kläger ein Schaden von 2.437,70 € entstanden.
Erstinstanzlich hat der Kläger behauptet, er sei von der … Straße her in den Kreisverkehr eingefahren und habe sich zwischen den Einmündungen der … und der … Straße im Kreisverkehr befunden, als der Erstbeklagte in den Kreisverkehr eingefahren sei.
Mit der Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 2.437,70 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 209,30 €, jeweils nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 26. Januar 2013 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben behauptet, der Kläger sei mit überhöhter Geschwindigkeit von der … Straße aus in den Kreisverkehr eingefahren. Als der Erstbeklagte in den Kreisverkehr eingefahren sei, sei der Kläger noch nicht zu sehen gewesen.
Das Erstgericht, auf dessen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat die Ermittlungsakte des Landesverwaltungsamts beigezogen, den Kläger und den Erstbeklagten informatorisch angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen …, …, …, … und …. Daraufhin hat es die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.437,70 € nebst vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 209,30 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Januar 2013 zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins stehe fest, dass der Erstbeklagte die Vorfahrt des Klägers nach § 8 Abs. 1 StVO verletzt habe. Den Beklagten sei es nicht gelungen, den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Es sei nicht aufklärbar, welcher der unfallbeteiligten Fahrer zuerst in den Kreisverkehr eingefahren sei. Auch sei offen, von wo der Kläger in den Kreisverkehr eingefahren sei. Es sei auch nicht erwiesen, dass der Kläger mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren wäre. Es sei nicht zu widerlegen, dass der Kläger das Abschleppseil nicht ausreichend wahrnehmen konnte und auch die Warnblinkanlage nicht bemerkte. Unter diesen Umständen trete die Betriebsgefahr auf Klägerseite vollständig zurück.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung rügen die Beklagten, das Erstgericht habe die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises zu Unrecht bejaht. Ferner beanstanden sie die Beweiswürdigung des Erstgerichts und meinen, das Erstgericht hätte es als erwiesen ansehen müssen, dass der Erstbeklagte als erster in den Kreisverkehr eingefahren sei. Schließlich rügen sie, das Erstgericht habe die Beweisangebote zur Einholung eines Sachverständigengutachtens und zur Durchführung einer Ortsbesichtigung rechtswidrig übergangen.
Sie beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angegriffene Entscheidung.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nur in dem tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet, denn insoweit beruht die angegriffene Entscheidung weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
1. Das Erstgericht hat den Unfallhergang im Wesentlichen als unaufklärbar angesehen. Insbesondere hat es angenommen, es sei nicht mehr feststellbar, von welcher Einmündung her der Kläger in den Kreisverkehr eingefahren ist und ob sein Fahrzeug für den Erstbeklagten bereits erkennbar war, als dieser in den Kreisverkehr einfuhr. Hiergegen wendet sich die Berufung ohne Erfolg.
a) In tatsächlicher Hinsicht ist das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren, rechtlichen und tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloße subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (vgl. BGHZ 164, 330, 332 mwN.).
b) Konkrete Anhaltspunkte, die solche Zweifel begründen und eine erneute Feststellung gebieten könnten, liegen nicht vor. In seiner Beweiswürdigung hat sich das Erstgericht entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt, ohne gegen Denk- oder Erfahrungsgesetze zu verstoßen. Dabei hat das Erstgericht nicht verkannt, dass die Unfallschilderung des Klägers nicht außer Zweifel steht. Denn die Zeugin …, auf deren Bekundungen sich der Kläger maßgeblich zum Nachweis seiner Unfalldarstellung stützt, hat – wie auch der Kläger im Verfahren 5 C 70/13 (03) – im Detail unterschiedliche Unfalldarstellungen unterbreitet. Das Erstgericht hat diese Umstände jedoch nachvollziehbar gewürdigt und ist zu dem vertretbaren Ergebnis gekommen, dass diese Widersprüche ihren Grund nicht in einer Falschaussage haben müssen, sondern die Zeugin möglicherweise in Verkennung der Bedeutung ihrer Aussage bei der ersten polizeilichen Anhörung nicht zwischen der ersten und der zweiten Durchfahrt des Kreisverkehrs unterschieden hat. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht den Bekundungen der von den Beklagten angeführten Zeugen nicht den Vorzug eingeräumt hat. Konkrete Umstände, aufgrund derer das Erstgericht seine Überzeugung allein auf deren Bekundungen hätte stützen müssen, vermag auch die Berufung nicht aufzuzeigen. Soweit sie der Beweiswürdigung des Erstgerichts entgegenhält, die Bekundungen der Zeugen der Beklagtenseite seien glaubhaft, setzt sie lediglich – in unzulässiger Weise – ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Amtsgerichts.
c) Entgegen dem Angriff der Berufung beruht die angefochtene Entscheidung auch nicht auf einem schweren Verfahrensfehler, weil das Erstgericht angebotene Beweismittel zur Aufklärung des Unfallhergangs übergangen hätte. Soweit die Beklagten erstinstanzlich unter Sachverständigenbeweis gestellt haben, dass die Zeugen den Kläger hätten sehen können, wenn er von der … Straße aus in den Kreisverkehr eingefahren wäre, ist dies nicht streitig. Dies verhilft der Berufung jedoch nicht zum Erfolg, weil das Erstgericht in nachvollziehbarer Weise nicht als erwiesen angesehen hat, dass die Zeugen den Kreisverkehr im Zeitpunkt der Einfahrt des Erstbeklagten in den Kreisverkehr tatsächlich aufmerksam beobachtet und das klägerische Fahrzeug dort nicht wahrgenommen haben. Soweit die Beklagten unter Beweis gestellt haben, dass sich der Abstand beider Fahrzeuge des Gespanns auf Beklagtenseite im Falle einer abrupten Bremsung derart hätte verkleinern müssen, dass auch das abgeschleppte Fahrzeug in den Aufprall einbezogen worden wäre, kommt es auch hierauf nicht entscheidungserheblich an. Ein „abruptes“ Bremsen haben weder der Kläger noch die Zeugin … im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben, noch hat das Erstgericht eine abrupte Bremsung als erwiesen angesehen, noch ist ersichtlich, dass die Beweiswürdigung des Erstgerichts aufgrund der unter Beweis gestellten Tatsache anders hätte ausfallen müssen. Auch ist die Behauptung, dass der Erstbeklagte mit der Fahrzeugfront bereits 12 m im Kreisverkehr zurückgelegt habe, als es zur Kollision gekommen sei, und die Strecke von der Haltelinie der … Straße bis zur Unfallstelle ebenfalls ca. 10-15 m betrage, unbestritten. Es ist auch nicht ersichtlich, welche konkrete, entscheidungserhebliche Tatsache durch eine Inaugenscheinnahme der Unfallörtlichkeit hätte bewiesen werden können.
d) Das Erstgericht war unter den Umständen des vorliegenden Falles auch nicht gehalten, von Amts wegen ein Unfallrekonstruktionsgutachten einzuholen. Zwar liegen von den unfallbeteiligten Fahrzeugen und der nachkollisionären Endstellung zumindest noch auswertbare Lichtbilder vor. Danach ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich Kollisionswinkel, Kollisionsort und Kollisionsgeschwindigkeiten rekonstruieren lassen. Diese Daten mögen allenfalls Rückschlüsse auf das unmittelbar der Kollision vorausgehende Fahrverhalten zulassen. Mit ihnen kann der Beklagte jedoch nicht den Nachweis dafür führen, dass der Kläger von der … Straße aus in den Kreisverkehr eingefahren ist, als sich der Erstbeklagte bereits im Kreisverkehr befand. Denn es verbleibt die Möglichkeit, dass der Kläger die Kollisionsstelle von der … Straße her kommend erreicht hat, wodurch sich ein breites Spektrum vorkollisionärer Bewegungsabläufe ergibt.
2. Ausgehend hiervon hat das Erstgericht zunächst angenommen, dass sowohl der Kläger als auch die Beklagten grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der unfallbeteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Dies ist zutreffend und wird von der Berufung nicht in Zweifel gezogen.
3. Im Rahmen der danach gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und -verschuldensbeiträge hat das Erstgericht zu Lasten der Beklagten eine Vorfahrtsverletzung des Erstbeklagten in die Haftungsabwägung eingestellt. Hiergegen wendet sich die Berufung ohne Erfolg. Zwar richtet sich die Vorfahrt im vorliegenden Fall nach § 8 Abs. 1a StVO und nicht nach § 8 Abs. 1 StVO, weil sich der Unfall in einem Kreisverkehr ereignete, der mit den Zeichen 215 (Kreisverkehr) / 205 (Vorfahrt gewähren) – Nr. 2 und 8 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO – beschildert war (vgl. bezogen auf den vorliegenden Unfall bereits Hinweisbeschluss der Kammer vom 25. September 2013 – 13 S 138/13). Danach hat der Verkehr auf der Kreisfahrbahn Vorfahrt. In der Sache hat das Erstgericht jedoch zu Recht angenommen, dass der Beweis des ersten Anscheins vorliegend dafür spricht, dass der Erstbeklagte den Unfall durch einen Vorfahrtsverstoß verursacht hat.
a) Kommt es im Bereich einer vorfahrtsgeregelten Einmündung zu einer Kollision zwischen dem wartepflichtigen und dem vorfahrtsberechtigten Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig dafür, dass der Wartepflichtige den Unfall durch eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung verursacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 1982 – VI ZR 119/81, VersR 1982, 903 f.; BGH, Urteil vom 18. November 1975 – VI ZR 172/74, VersR 1976, 364; BGH, Urteil vom 19. März 1964 – III ZR 177/92, VersR 1964, 639 f.; OLG München, Urteil vom 29. Juli 2011 – 10 U 1131/11, juris; KG, SVR 2011, 222; OLG Frankfurt, Urteil vom 21. Januar 2008 – 25 U 220/04, juris; OLG Brandenburg, OLG-Report 2009, 689; OLG München, VersR 1998, 733; OLG Köln, VersR 1992, 68; Kammerurteile vom 21. Oktober 2011 – 13 S 124/11 – und vom 18. Januar 2010 – 13 S 44/10). Das gilt zumindest, wenn sich die Kollision – wie hier – im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich ereignet hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 1982 aaO; KG, NZV 2010, 511; vgl. zum Vorfahrtbereich auch Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 8 StVO Rdn. 28, mwN.). Die in der Rechtsprechung für das Abbiegen nach rechts angenommenen Ausnahmen von diesem Grundsatz betreffen nicht den Fall einer Kollision mit einem aus Sicht des Abbiegenden von links herannahenden Verkehrsteilnehmer (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 1982 aaO; OLG Brandenburg aaO; OLG Köln, aaO; OLG Köln, VersR 1994, 191; noch weitergehend OLG Oldenburg, VRS 78, 25).
b) Nach gefestigter Kammerrechtsprechung gilt dies im Grundsatz auch für die Vorfahrtsverletzung im Kreisverkehr (vgl. Kammerurteil vom 13. Dezember 2013 – 13 S 122/13; Hinweisbeschluss vom 25. September 2013 – 13 S 138/13; Kammerurteil vom 10. Juni 2011 – 13 S 40/11, NJW-RR 2011, 1478; Hinweisbeschluss vom 19. Dezember 2008 – 13 S 152/08). Die Anforderungen des § 8 Abs. 1a StVO unterscheiden sich insoweit nicht qualitativ von denen der allgemeinen Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 StVO. Die Vorfahrt des Verkehrs auf der Kreisbahn hat in § 8 Abs. 1a StVO nur deshalb eine zusätzliche Regelung erfahren, weil der Verkehr im Kreisverkehr auch ohne ausdrückliches positives Vorfahrtszeichen (Zeichen 301/306) aufgrund eines echten Vorfahrtsrechts und nicht nur als Reflex des Zeichens 205 geschützt werden sollte (vgl. Hentschel, NJW 2001, 465 f.).
aa) Freilich weist die Berufung im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass die Regeln über den Beweis des ersten Anscheins nur dann anwendbar sind, wenn ein Geschehensablauf vorliegt, bei dem sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Dabei muss es sich um einen Tatbestand handeln, für den nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 ff.; Urteil vom 30. November 2010 – VI ZR 15/10, VersR 2011, 234; Urteil vom 16. Januar 2007 – VI ZR 248/05, VersR 2007, 557, jew. mwN.). Dafür reicht allein das „Kerngeschehen“ nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Denn es muss das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten im Rahmen des Unfallereignisses der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, schuldhaft gehandelt hat. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 aaO; Urteil vom 19. März 1996 – VI ZR 380/94, VersR 1996, 772; Urteil vom 19. November 1985 – VI ZR 176/84, VersR 1986, 343 f.). So ist der Anscheinsbeweis nach ständiger Rechtsprechung etwa nicht anwendbar, wenn es ernsthaft möglich ist, dass der Einbiegende den auf der Vorfahrtsstraße befindlichen Verkehrsteilnehmer vor dem Beginn des Einbiegens nicht sehen konnte (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 1964 aaO; OLG München, VersR 1998, 733; OLG Nürnberg, zfs 1994, 202; OLG Köln, VersR 1978, 830; OLG Stuttgart, VersR 1982, 782). Dabei müssen die Tatsachen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs ergibt, allerdings feststehen, also unstreitig oder bewiesen sein (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2013 – VI ZR 109/12, VersR 2013, 1000; BGH, Urteil vom 4. April 2006 – VI ZR 151/05, VersR 2006, 931, sowie die zuvor Zitierten).
bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen Vorfahrtsverstoß des in einen Kreisverkehr Einfahrenden, wenn er im Einmündungsbereich mit einem auf der Kreisfahrbahn fahrenden Verkehrsteilnehmer kollidiert, dessen Vorfahrtsberechtigung feststeht, weil er zuerst in den Kreisverkehr eingefahren ist. Hier gilt die gleiche Lebenserfahrung wie an sonstigen Einmündungen auch. Dies ist in der Rechtsprechung unbestritten und wird auch von der Berufung nicht in Zweifel gezogen.
cc) Steht umgekehrt fest, dass der Einfahrende im Zeitpunkt des Einfahrens in den Kreisverkehr gegenüber einem später einfahrenden Unfallgegner noch nicht wartepflichtig war, liegt – unabhängig von den Voraussetzungen des Anscheinsbeweises – von vornherein kein Vorfahrtsverstoß vor, weil der Unfallgegner nicht vorfahrtsberechtigt war.
dd) Ist allerdings offen, welcher Unfallbeteiligte zuerst in den Kreisverkehr eingefahren ist, so spricht der Beweis des ersten Anscheins – anders als dies in Rechtsprechung und Literatur zum Teil vertreten wird (vgl. LG Detmold, DAR 2005, 222; Hentschel/König/Dauer aaO, § 8 StVO Rdn. 37b) – für einen Vorfahrtsverstoß desjenigen, in dessen Einmündungsbereich sich der Unfall ereignet hat. Denn es besteht ein Erfahrungssatz der allgemeinen Lebenserfahrung dafür, dass er gegenüber dem Unfallgegner wartepflichtig war. Dieser Erfahrungssatz hat seinen Grund darin, dass sich der Unfall im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Einfahrt des einbiegenden Verkehrsteilnehmers ereignet, wohingegen der andere, um die Kollisionsstelle zu erreichen, zusätzlich eine gewisse Strecke zurückgelegt und den Kreisverkehr schon während einer gewissen Dauer durchfahren haben muss. Da ein Kreisverkehr wegen seiner Krümmung und der mit der Zusammenführung mehrerer Straßen verbundenen Gefahren typischerweise nur mit mäßiger Geschwindigkeit durchfahren werden kann, spricht die Lebenserfahrung dann nach den zu erwartenden Bewegungsabläufen dafür, dass der von der ersten Einmündung her einfahrende Verkehrsteilnehmer den Kreisverkehr zuerst erreicht hat.
ee) Das schließt nicht aus, dass der Anscheinsbeweis beim Vorliegen besonderer Umstände unanwendbar sein kann. So kann der Fall etwa liegen, wenn die Einmündungen, von denen aus die Unfallbeteiligten in den Kreisverkehr eingefahren sind, so eng beieinander liegen, dass der von der ersten Einmündung Einfahrende nur eine ganz geringe zusätzliche Strecke zurücklegen muss und es deshalb ernsthaft in Betracht kommt, dass er diese Strecke aufgrund einer höheren Relativgeschwindigkeit so schnell zurücklegt, dass es zur Kollision kommt, obwohl er noch nicht Teil des vorfahrtsberechtigten Verkehrs geworden war, als der Unfallgegner an der zweiten Einmündung in den Kreisverkehr eingefahren ist. In ähnlicher Weise werden etwa auch eng beieinander liegende Einmündungen an sonstigen Straßen behandelt. So ist im Grundsatz zwar anerkannt, dass das Vorfahrtsrecht auch denjenigen schützt, der erst wenige Meter vor einer Einmündung in die vorfahrtsberechtigte Straße eingefahren ist (vgl. OLG Hamm, VRS 52, 215, Hentschel/König/Dauer aaO, § 8 StVO Rdn. 42). Wenn aber mehrere Einmündungen so eng beieinander liegen, dass sie gewissermaßen einen einheitlichen Einmündungsbereich bilden und sich der aus der untergeordneten Straße einmündende Verkehr im Zeitpunkt der Kollision noch nicht in den vorfahrtsberechtigten Verkehr eingeordnet hatte, besteht noch keine Vorfahrt des einen gegenüber dem anderen (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 5. Februar 1974 – VI ZR 195/72, NJW 1974, 949; OLG Köln, VersR 1992, 249; OLG Stuttgart, NZV 1994, 440; OLG Bremen, DAR 1965, 179; OLG Hamburg, VRS 29, 126; OLG Hamm, VRS 17, 77). Das kann auch im Kreisverkehr ernsthaft in Betracht kommen, wenn die Unfallbeteiligten aus eng beieinander liegenden Einmündungen in den Kreisverkehr einfahren.
ff) Ist hingegen offen, ob der Unfallgegner überhaupt von einer in unmittelbarer Nähe gelegenen Einmündung in den Kreisverkehr eingefahren ist, verbleibt es grundsätzlich bei der Anwendung des Anscheinsbeweises. Allein der Umstand, dass zwei Straßen in unmittelbarer Nähe zueinander in den Kreisverkehr einmünden, begründet für sich allein noch nicht die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs.
gg) So liegt der Fall hier. Während die Beklagten behaupten, der Kläger sei von der … Straße in den Kreisverkehr eingefahren, trägt der Kläger unwiderlegt vor, er sei von der … Straße her kommend in den Kreisverkehr eingefahren und danach schon längere Zeit erkennbar im Kreisverkehr gefahren, als der Erstbeklagte in den Kreisverkehr eingefahren sei.
4. Zu Recht und zweitinstanzlich unangegriffen hat das Erstgericht es auch nicht als erwiesen angesehen, dass der Kläger mit überhöhter Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 StVO) gefahren wäre. Die Beweisaufnahme hat hierfür – ganz abgesehen von den mit der Schätzung konkreter Geschwindigkeiten verbundenen Schwierigkeiten – keine konkreten Anhaltspunkte ergeben.
5. Entgegen der angegriffenen Entscheidung hat der Kläger den Unfall jedoch durch einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO mitverursacht.
a) Nach § 1 Abs. 2 StVO hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Danach muss ein Verkehrsteilnehmer, selbst wenn ihm die Vorfahrt zukommt, zurückstehen, wenn er erkennen kann, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer seine Vorfahrt verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 – VI ZR 282/10, VersR 2011, 1540; BGH, Urteil vom 19. September 1974 – III ZR 73/72, VersR 1975, 37; BGH v. 27.05.1959 – 4 StR 49/59, BGHSt 13, 173).
b) Diesen Anforderungen hat der Kläger hier selbst dann nicht genügt, wenn man seinen eigenen Vortrag zugrunde legt. Nach seinen im Rahmen der informatorischen Anhörung getätigten Angaben ist davon auszugehen, dass der Kläger auf das Einfahren des Erstbeklagten in den Kreisverkehr hin zunächst nicht mit einer Bremsung reagierte. Denn nach eigenem Bekunden ging der Kläger zunächst davon aus, dass es nicht zu einer Kollision kommen werde, weil er annahm, der Erstbeklagte werde den Kreisverkehr mit zügiger Geschwindigkeit durchfahren. Unter den gegebenen Umständen wäre jedoch eine sofortige Bremsung geboten gewesen. Zwar muss der Verkehr auf einer vorfahrtsberechtigten Straße ohne konkrete Anhaltspunkte nicht davon ausgehen, dass es sich bei einem einbiegenden Fahrzeug um die Zugmaschine eines Gespanns handelt (vgl. KG, VRS 104, 21; OLG Köln, VersR 1980, 685). Auch muss vorliegendenfalls im Zweifel zugunsten des Klägers die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass das Gespann als solches vor dem Einfahren in den Kreisverkehr noch nicht erkennbar war, zumal das vergleichsweise lange Zugseil – soweit ersichtlich – nicht durch eine Warnfahne o. dgl. gekennzeichnet war. Jedoch hätte der Kläger hier vor der von dem Gespann ausgehenden Gefahr durch die an den Fahrzeugen des Gespanns eingeschaltete Warnblinkanlage gewarnt sein müssen. Dass die Warnblinkanlage eingeschaltet war, hat der Kläger nicht bestritten. Dann hätte er die eingeschaltete Warnblinkanlage aber – entgegen der Auffassung des Erstgerichts – auch erkennen müssen, wenn er – wie von ihm angegeben – von der … Straße aus in den Kreisverkehr einfuhr. Er hätte sich dann der Einfahrt … Straße nur mit besonderer Vorsicht nähern dürfen und hätte, selbst wenn er noch nicht erkennen konnte, aus welchen Gründen die Warnblinkanlage eingeschaltet war, jedenfalls bei beginnendem Einfahren des Erstbeklagten sofort bremsen müssen und nicht auf eine zügige Durchfahrt vertrauen dürfen. Diesen Anforderungen hat der Kläger nicht genügt und den Unfall dadurch mitverursacht.
6. Die Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und -verschuldensanteile gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG führt vorliegendenfalls zu einer Mithaftung des Klägers von 30 %. Die Verletzung der Vorfahrt durch den Erstbeklagten stellt einen schweren Verkehrsverstoß dar. Erschwerend wirkt sich aus, dass auch die Betriebsgefahr auf Beklagtenseite durch Bildung des Gespanns nicht unerheblich erhöht war. Allerdings kommt auch dem Verkehrsverstoß des Klägers einiges Gewicht zu, weshalb die Haftungsbeiträge des Klägers nicht hinter die der Beklagtenseite zurücktreten können.
7. Danach kann der Kläger seinen – der Höhe nach unstreitigen – Schaden von 2.437,70 € in anteiliger Höhe von 0,70 x 2.437,70 € = 1.706,39 € zzgl. vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten hieraus nach §§ 2, 13 RVG, Nrn. 2300, 7002, 7008 VVRVG in geltend gemachter Höhe ersetzt verlangen. Ferner schulden die Beklagten Verzugszinsen nach §§ 286, 288 Abs. 1 BGB, aus den vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten mangels Vortrags zum Verzug allerdings erst ab Rechtshängigkeit.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO hinsichtlich der Frage zuzulassen, unter welchen Voraussetzungen der Beweis des ersten Anscheins für einen Verkehrsverstoß des in einen Kreisverkehr Einfahrenden spricht, wenn es im Einmündungsbereich zu einer Kollision kommt. Die Rechtssache erlangt insoweit grundsätzliche, über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Anscheinsbeweises im Kreisverkehr sind in einer Vielzahl von Fällen zu beurteilen. Sie werden, wie die Entscheidung des LG Detmold zeigt, in Teilbereichen unterschiedlich beurteilt.