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Kollision zwischen einem nach links abbiegenden Fahrzeug und einem Motorrad

LG Ulm – Az.: 2 O 51/14 – Urteil vom 04.08.2014

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger € 18.183,04 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 3.183,04 seit dem 26.02.2013 zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwälte U., in Höhe von € 1.176,91 freizustellen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den aus dem Unfall am 05.06.2010 auf der B 28 künftig noch entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen, soweit Schadensersatzansprüche des Klägers nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen und soweit der Schaden dem Kläger von Sozialversicherungsträgern nicht erstattet wird.

4. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 78 %, die Beklagten 22 %.

6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: € 96.299,53

Tatbestand

Der Kläger verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, den er am Samstag, den 05.06.2010, gegen 15.38 Uhr als Motorradfahrer erlitten hat.

Kollision zwischen einem nach links abbiegenden Fahrzeug und einem Motorrad
Symbolfoto: Von Kodda /Shutterstock.com

Der Kläger fuhr mit seinem Motorrad Honda, amtliches Kennzeichen (…), auf der B 28 von Ulm in Richtung Blaubeuren. In einigem Abstand vor ihm fuhr, ebenfalls auf einem Motorrad, sein Freund D.. Zwischen Arnegg und Blaubeuren-Gerhausen befindet sich auf Höhe des Zementwerks Merkle eine langgezogene, aufgrund der Hanglage und des Bewuchses unübersichtliche Rechtskurve, die annähernd einen Halbkreis beschreibt. Im Auslauf dieser Kurve mündet, aus Sicht des Klägers links, ein Feldweg ein, der dann entlang der Straße zwischen der Straße und der Blau zurück in Richtung Ulm führt (Lichtbilder der Örtlichkeit in der beigezogenen Akte AG Ulm 3 OWi 26 Js 21317/10, Bl. 25 ff.).

Der Beklagte Ziff. 1, dessen Pkw Volvo, amtliches Kennzeichen (…), bei der Beklagten Ziff. 2 versichert war, fuhr ebenfalls aus Richtung Ulm in Richtung Blaubeuren. Um seine entlang der Blau wandernde Freundin abzuholen, bog er von der Bundesstraße nach links in den Feldweg ein. Während es dem ihm folgenden Motorradfahrer D. gelang, noch hinter dem Pkw zum Stehen zu kommen, fuhr der Kläger trotz einer Bremsung auf den abbiegenden Pkw des Beklagten Ziff. 1 auf. Der Kläger wurde erheblich verletzt, sein Motorrad wurde total beschädigt. Der Kläger befand sich in der Zeit vom 05. bis 15.06.2010 in der Universitätsklinik Ulm, wo eine Mehrfragmentfraktur der rechten Kniescheibe und eine Fragmentabsprengung des Gelenkkopfes am Schienbeinhöcker rechts durch Osteosynthese operativ versorgt wurden. Aufgrund einer offenen Endgliedfraktur des Zeigefingers rechts musste ein Teil dieses Fingers amputiert werden; da- rüber hinaus erlitt der Kläger eine Fraktur des kleinen Fingers, ebenfalls an der rechten Hand. Es folgten weitere Klinikaufenthalte, auch weitere Operationen des rechten Knies. Der Kläger entwickelte im Zusammenhang mit einer posttraumatischen Belastungsstörung ein chronisches Schmerzsyndrom; er ist andauernd erwerbsunfähig und bezieht seit dem 01.12.2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Beklagte Ziff. 2 hat auf den materiellen Schaden des Klägers bisher € 1.071,85 und auf den Schmerzensgeldanspruch € 5.000,00 bezahlt.

Der Kläger trägt zum Hergang des Unfalls vor, er habe den vorausfahrenden Motorradfahrer D. zunächst aus den Augen verloren. Als er die Kurve mit einer Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h durchfahren habe, habe er den Pkw an der rechten Straßenseite stehen sehen, dabei habe dieser nach rechts geblinkt. D. sei mit seinem Motorrad hinter diesem Fahrzeug gestanden. Plötzlich sei der Pkw unter gleichzeitigem Setzen des linken Blinkers scharf nach links in den Feldweg eingebogen. Er, der Kläger, habe deswegen sofort eine Vollbremsung gemacht, habe den Zusammenprall aber nicht mehr verhindern können. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass der Beklagte Ziff. 1 unvermittelt vom rechten Fahrbahnrand losfahren und nach links in einen Feldweg abbiegen würde. Da er keine Möglichkeit gehabt habe, den Unfall zu vermeiden, hätten die Beklagten in vollem Umfang für den ihm entstandenen Schaden einzustehen.

Der Kläger berechnet seinen materiellen Schaden folgendermaßen:

Wiederbeschaffungswert des Motorrads € 4.900,00

abzüglich Restwert – € 100,00

€ 4.800,00

Kosten des Sachverständigengutachtens K. betreffend den Fahrzeugschaden € 760,65

Abschlepprechnung Firma B. € 416,74

Ersatzbeschaffung Schlüssel, Rechnung W. € 29,95

Kleiderschaden einschließlich Helm € 500,00

€ 6.507,34

Rezeptgebühren/Eigenbeteiligung/Zuzahlungen

Fahrtkosten, weitere Rezeptgebühren usw. einschließlich einer Unkostenpauschale von € 30,00

€ 2.785,81

Weitere Kosten € 178,23

Insgesamt: € 9.471,38

abzüglich Zahlung der Beklagten Ziff. 2 – € 1.171,85

€ 8.299,53

Aufgrund der erlittenen Verletzungen und der Beeinträchtigungen, unter denen er noch heute leidet und die er sämtlich auf den Unfall zurückführt, hält der Kläger ein Schmerzensgeld von € 90.000,00 für angemessen. Der Zurechnungszusammenhang erstrecke sich auch auf die seelischen Reaktionen des Klägers; der Schädiger hafte auch für Schäden, die auf der psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung – hier einer Somatisierungsstörung auf der Grundlage eines posttraumatischen Belastungssyndroms – beruhten.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger den Betrag von € 8.299,53 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.02.2013 zu bezahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von den vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von € 2.303,25 der außergerichtlich tätigen Rechtsanwaltskanzlei U. freizustellen,

4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, den dem Kläger entstehenden künftigen unfallbedingten materiellen Schaden zu ersetzen, soweit Schadensersatzansprüche des Klägers nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen und soweit der Schaden von Sozialversicherungsträgern nicht erstattet wird.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor, der Beklagte Ziff. 1 sei mit einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 70 km/h durch die Kurve gefahren. Er habe kontinuierlich gebremst und vor der Einmündung des Feldweges nach links geblinkt, um dann – ohne am rechten Fahrbahnrand anzuhalten – in diesen Weg abzubiegen. Vor dem Einbiegen habe er in den linken Außenspiegel gesehen und über die Schulter geblickt, den Kläger habe er aber vor dem Abbiegen nicht gesehen. Gesehen habe er ihn erstmals über den linken Außenspiegel, als er sich selbst bereits im Abbiegevorgang befunden habe. Trotz einer Vollbremsung sei es dann nur Bruchteile von Sekunden später zu dem Aufprall gekommen. Bei dieser Sachlage hafteten die Beklagten nur zu 25 %; den Kläger treffe ein mit 75 % anzusetzendes Mitverschulden.

Im materiellen Schaden ist der Wiederbeschaffungswert des Motorrades unstreitig, allerdings setzen die Beklagten den Restwert mit € 1.890,00 und nicht nur mit € 100,00 an. Unstreitig sind weiter die Abschleppkosten, die Kosten für den Sachverständigen und der Kleiderschaden von € 500,00; auch die Kosten für den Ersatz der Schlüssel werden nicht bestritten. Allerdings bestreiten die Beklagten alle weiteren geltend gemachten Kosten und bestreiten insbesondere, dass diese aufgrund des Verkehrsunfalls entstanden sind. Was das Schmerzensgeld angeht, so bestreiten die Beklagten nicht die Verletzungen, die der Kläger bei diesem Unfall erlitten hat, sie bestreiten aber die Unfallbedingtheit der weiteren andauernden Beschwerden des Klägers. Dieser sei bereits lange vor dem Unfall psychisch belastet und sozial aus dem Leben gerissen gewesen, insbesondere sei er seit 2001 durchgängig aufgrund einer degenerativen Erkrankung der Halswirbelsäule arbeitslos. Der Zurechnungszusammenhang zwischen geklagten Beschwerden und dem Unfall sei abzulehnen, wenn diese Beschwerden entscheidend durch eine neurotische Begehrenshaltung geprägt würden, was vorliegend der Fall sei, da es zwischen dem subjektiven Beschwerdebild und den körperlichen Beeinträchtigungen eine deutliche Diskrepanz gebe. Auch unter Berücksichtigung der schuldhaften und weit überwiegenden Verursachung des Unfalls durch den Kläger sei das bereits bezahlte Schmerzensgeld von € 5.000,00 ausreichend.

Wegen des übrigen Vortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf ihre Darlegungen in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2014 (Protokoll Blatt 163/170) verwiesen. Es wurde dadurch Beweis erhoben, dass der Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) B. das schriftliche Gutachten, das er im Vorprozess beim Amtsgericht Ulm erstellt hatte, in der mündlichen Verhandlung vom 07. Juli 2014 nochmals erläuterte. Diese Vorakten (B. ./. D. und V., AG Ulm, 7 C 1889/11) wurden beigezogen (dort das Gutachten des Sachverständigen B. Bl. 154 ff., erläutert im dortigen Verfahren in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2012, Bl. 214 ff.). Beigezogen wurde darüber hinaus die Akte des Ermittlungsverfahrens, AG Ulm 3 OWi 26 Js 21317/10.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig, in der Sache aber nur zum Teil begründet.

a. Die Beklagten haben dem Kläger mit einer Quote von 2/3 für die Folgen des Unfalls vom 05.06.2010 einzustehen.

Das Gericht geht nach dem Vortrag der Beteiligten unter Berücksichtigung der Erläuterungen des Sachverständigen davon aus, dass der Beklagte Ziff. 1 an der Unfallstelle nicht wenden, sondern tatsächlich nach links in den Feldweg abbiegen wollte, um auf diesem entlang der Bundesstraße wieder ein Stück zurückzufahren. Er war daher nach § 9 Abs. 1 StVO verpflichtet, seine Abbiegeabsicht rechtzeitig und deutlich anzukündigen, und musste sich vor dem Abbiegen nach links einordnen. Nach dem in der Vorakte des Amtsgerichts Ulm vorliegenden schriftlichen Sachverständigengutachten vom 13.09.2012 und den ausführlichen und gut nachvollziehbaren Erläuterungen des Sachverständigen im Termin vom 07.07.2014, die insoweit auch nicht in Widerspruch zu dem von der Beklagten Ziff. 2 eingeholten Gutachten des Dipl.-Ing. (FH) F. vom 24.04.2013 (Bl. 143 ff.) stehen, ist weiter davon auszugehen, dass der Beklagte Ziff. 1 seinen Abbiegevorgang vom rechten Fahrbahnrand aus ansetzte, unabhängig davon, ob er unmittelbar vor dem Abbiegen noch eine kurze Zeit stand oder nicht. Da dies angesichts der relativen Enge der örtlichen Verhältnisse und aufgrund der Tatsache, dass der Beklagte Ziff. 1 nach links eine 180-Grad-Kurve zu fahren hatte, nur aus einer sehr geringen Ausgangsgeschwindigkeit heraus geschehen sein kann – wenn er nicht sogar aus dem Stand heraus anfuhr – , gilt § 10 StVO mindestens analog. Der Beklagte Ziff. 1 hatte sich daher zu Beginn des Abbiegens vom rechten Fahrbahnrand aus so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Dies galt insbesondere auch deswegen, weil die Rechtskurve, in der sich die Beteiligten befanden, sehr unübersichtlich ist und sich außerhalb einer Ortschaft auf einer Bundesstraße befindet, auf der erfahrungsgemäß häufig schneller gefahren wird als die erlaubten 80 km/h. Darüber hinaus bog der Beklagte in einen nicht ohne weiteres als Einmündung erkennbaren, jedenfalls sehr unauffälligen Feldweg ab, womit nachfolgende Verkehrsteilnehmer nicht rechnen mussten, auch nicht der ortskundige Kläger oder sein ihm vorausfahrender Freund D.. Der Beklagte Ziff. 1 bog damit an einer denkbar ungünstigen Stelle unter jedenfalls weitem Ausholen nach rechts scharf nach links ab und vollführte damit auf dieser relativ stark befahrenen Straße ein erkennbar höchst gefährliches Fahrmanöver.

Es steht darüber hinaus fest, dass sich der Beklagte Ziff. 1 zu Beginn des Abbiegens nicht ausreichend nach hinten vergewisserte, § 9 Abs. 1 S. 4 StVO. Der Beklagte Ziff. 1 hatte bei der Polizei angegeben, den zweiten Motorradfahrer (also den Kläger) zunächst nicht bemerkt zu haben. Er sei abgebogen und als er in den linken Außenspiegel gesehen habe, habe der zweite Motorradfahrer gerade angefangen zu bremsen. Legt man diese Aussage zugrunde, so würde dies bedeuten, dass der Kläger bereits reagiert hatte, noch bevor der Beklagte Ziff. 1 ihn überhaupt gesehen hatte, was aber auch bedeutet, dass umgekehrt der Beklagte Ziff. 1 den Kläger hätte sehen können, wenn nicht über die Spiegel, so doch jedenfalls dadurch, dass er sich nach links hinten umgedreht hätte. In der Sitzung beim Amtsgericht Ulm am 09.11.2011 hatte der damalige Kläger und jetzige Beklagte Ziff. 1 ebenfalls angegeben, vor dem Abbiegen den zweiten Motorradfahrer nicht gesehen zu haben. Dies entspricht seiner Angabe in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2014 in dem vorliegenden Verfahren, er habe den Motorradfahrer Herrn D. nicht gesehen, bevor er abgebogen sei; er habe ihn das erste Mal über den linken Außenspiegel gesehen und sei zu diesem Zeitpunkt bereits im Abbiegevorgang gewesen. Es habe nur Bruchteile von Sekunden gedauert, bis er dann aufgeschlagen sei. Damit ist allerdings die vorangehende Behauptung, er habe vor dem Einbiegen in den Feldweg nicht nur in den linken Außenspiegel gesehen (in dem der Kläger über eine gewisse Strecke möglicherweise tatsächlich nicht erkennbar war), sondern er habe auch über die Schulter geblickt, widerlegt. Hätte sich der Beklagte Ziff. 1 vor Einleiten des Abbiegevorgangs nach hinten umgedreht, dann hätte er den Kläger mit Sicherheit wahrgenommen und hätte das Abbiegen zurückstellen können, um den Kläger vorbeifahren zu lassen. Zu dieser Vorsichtsmaßnahme war er auch verpflichtet.

Der Haftungsanteil der Beklagten wegen des Verschuldens des Beklagten Ziff. 1 an der Herbeiführung des Unfalls liegt damit jedenfalls deutlich höher als die von den Beklagten nur angenommene Betriebsgefahr von 25 %.

Es hat sich nicht klären lassen, ob der Beklagte Ziff. 1 vor dem Abbiegen so rechtzeitig nach links blinkte, dass sich der nachfolgende Verkehr, insbesondere der Kläger, hierauf einstellen konnte. Ein Indiz hierfür könnte sein, dass es dem dem Kläger vorausfahrenden Motorradfahrer D. gerade noch gelang, vor dem bis zum Stillstand oder jedenfalls bis zu einer sehr geringen Geschwindigkeit abbremsenden Pkw anzuhalten. Allerdings war D. dem Pkw schon seit längerem in relativ kurzem Abstand gefolgt, hatte deswegen dessen Bremsung bemerkt und sich hierauf einstellen können. Dass er noch unfallfrei anhalten konnte, ist daher insbesondere dann kein Indiz für ein rechtzeitiges Betätigen des linken Fahrtrichtungsanzeigers, wenn der Beklagte Ziff. 1 seinen Pkw aus dem Stand vom rechten Fahrbahnrand aus nach links zog oder von dort mit noch geringer Ausgangsgeschwindigkeit plötzlich in scharfem Bogen nach links fuhr. Insoweit ist dann maßgeblich, wie sich die Situation darstellte, als der Pkw für den Kläger in Sichtweite kam und umgekehrt auch der Kläger für den Beklagten Ziff. 1 sichtbar wurde, wenn dieser über die Schulter zurückblickte. Ein Indiz dafür, dass die Absicht, nach links abzubiegen, für nachfolgende Verkehrsteilnehmer erst erkennbar war, als der Kläger seine Bremsung begann, ist die zeitliche Übereinstimmung zwischen der Dauer des Reaktionsbeginns bis zur Kollision bei dem Motorradfahrer (2,4 bis 2,5 Sekunden) und der Zeit, die der Beklagte Ziff. 1 mit seinem Pkw vom Anfahren vom rechten Fahrbahnrand bis zur Kollision brauchte.

Es wurde davon abgesehen, nochmals zu versuchen, den im Termin vom 07.07.2014 nicht erschienenen Zeugen D. in einer weiteren Verhandlung zu vernehmen. Der Zeuge machte im OWi-Verfahren und in dem vorangegangenen Zivilrechtsstreit beim AG Ulm jeweils unterschiedliche Angaben und versuchte sogar, bei der Polizei seine einmal gemachten Angaben nachträglich zugunsten seines Freundes zu ändern. Es ist daher nicht zu erwarten, dass er, wenn er in einem Termin doch noch erscheinen sollte, eine verlässliche Aussage machen wird, die einer Entscheidung zugrundegelegt werden könnte.

Aufgrund der verfügbaren Informationen steht jedoch fest, dass der Beklagte Ziff. 1 mit seinem Abbiegevorgang eine erhebliche Gefahr für den nachfolgenden Verkehr schuf und dass sich die Beklagten ein erhebliches Verschulden beim Abbiegen an einer unübersichtlichen Stelle von einer Bundesstraße in einen Feldweg ohne ausreichende Versicherung nach hinten zurechnen lassen müssen. Demgegenüber lässt sich ein Fahrfehler oder Verkehrsverstoß des Klägers nicht mit Bestimmtheit belegen; eine verspätete Reaktion auf eine mögliche rechtzeitig gegebene Fahrtrichtungsanzeige lässt sich allerdings auch nicht ausschließen. Im Ergebnis ist daher aufgrund des überwiegenden Verschuldens des Beklagten Ziff. 1 eine Haftungsquote der Beklagten von 2/3 anzusetzen.

b. Die Beklagten haben dem Kläger als Gesamtschuldner auf den materiellen und immateriellen Schaden noch € 18.183,04 zu bezahlen.

a)

Der unmittelbar durch den Unfall verursachte Sachschaden ist bis auf den Restwert des total beschädigten Motorrades unstreitig. Da unklar ist, ob das Angebot, auf das die beklagte Versicherung in ihrem Schreiben vom 23.06.2010 (Bl. 151) hinwies, tatsächlich hätte realisiert werden können, legt das Gericht den in dem Sachverständigengutachten vom 11.05.2012 (Bl. 15) ermittelten Restwert von € 100,00 zugrunde. Diese Schadenspositionen belaufen sich also auf € 6.507,34.

Die weiter geltend gemachten Kleinpositionen, insbesondere Rezeptgebühren, Fahrtkosten und andere kleinere Beträge, summieren sich auf € 2.964,04 und sind sämtlich streitig. Sie enthalten Positionen, die sicher nicht unfallbedingt sind, etwa die Monatskarten der SWU und einzelne Fahrkarten. Im übrigen mag jedenfalls zum Teil einiges dafür sprechen, dass einzelne Positionen unfallkausal sind, etwa Rezeptgebühren oder Eigenbeteiligungen. Hierüber lässt sich allerdings kein sicherer Nachweis führen. Aus diesen Positionen kann der Kläger daher nur die übliche Unfallpauschale von € 25,00 verlangen.

Der dem Kläger unfallbedingt entstandene Schaden beläuft sich damit auf € 6.532,34, wovon die Beklagten 2/3, also € 4.354,89 zu ersetzen haben. Abzüglich der bereits geleisteten € 1.171,85 verbleibt ein Restanspruch von € 3.183,04.

b)

Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt € 20.000,00.

Der Kläger befindet sich seit 1992 in Deutschland, er hat keine Berufsausbildung. Er arbeitete 6 Jahre lang in einer Metallfabrik und ist seit 2001 wegen Bandscheibenproblemen und der Betreuung seiner Kinder nach der Trennung von seiner Ehefrau arbeitslos; er ist geschieden. Ausweislich der vorgelegten Arztberichte befand er sich schon seit November 2003 wegen Depressionen in ärztlicher Behandlung. Nach dem Unfall vom 05.06.2010 und der folgenden Behandlung in der Universitätsklinik Ulm, was der Kläger sicher als sehr belastend erlebte, wurde er am 15.06.2010 entlassen, musste jedoch in der Zeit vom 30.07. bis 11.08.2010 nochmals für eine Operation in die Uniklinik Ulm, weil sich ein Knochenfragment verschoben hatte. In der Folge war er wegen verschiedener Beschwerden bei mehreren Ärzten in ambulanter Behandlung. Da sich die Kniefraktur bis in den Sommer 2011 hinein noch nicht konsolidiert hatte und sich mehrfache Gelenkstufen der Rückfläche der Kniescheibe ergeben hatten, wurde der Kläger am 09.06.2011 nochmals in der Uniklinik Ulm operiert (Re-Osteosynthese unter Einsatz von Spongiosa aus dem Beckenkamm). Nach der Entlassung am 17.06.2011 musste er für die Zeit vom 22. bis 30.06.2011 nochmals wegen einer Infektion und einer hierdurch erforderlich gewordenen Nachoperation in die Klinik. Er befand sich sodann ambulant in weiteren Behandlungen, auch wegen einer Arthrose und einer Tendovaginitis des Sprunggelenks, wegen Bandscheibenproblemen und Ohrgeräuschen (Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule). 2012 und 2013 schlossen sich insgesamt drei weitere Krankenhausaufenthalte an, zuletzt in der …klinik Bad Dürrheim (Verhaltensmedizin). Dort wurde er am 28.05.2013 arbeits- und leistungsunfähig entlassen. Wie insbesondere in einer Stellungnahme von Prof. Dr. W. vom 02.07.2013 (Blatt 117) ausgeführt wird, sind die Symptome des Klägers zu einem erheblichen Teil als Somatisierungsstörung bei chronischer Depression erklärbar; es liegt eine posttraumatische Belastungsreaktion vor. Die noch heute vorliegenden Beschwerden, die jedenfalls zu einem erheblichen Teil ihre Grundlage in den unstreitig erlittenen objektivierbaren Verletzungen haben, sind damit deutlich psychisch überlagert.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass der für eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung verantwortliche Schädiger grundsätzlich auch für solche Folgewirkungen einzustehen hat, die auf einer psychischen Prädisposition oder neurotischen Fehlverarbeitung beruhen. Für die Ersatzpflicht als haftungsausfüllende Folge des Unfalls genügt die hinreichende Gewissheit, dass diese Folgeschäden ohne den Unfall nicht eingetreten wären. Der Schädiger kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deswegen ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte infolge von Anomalien oder Dispositionen zur Krankheit besonders anfällig gewesen sei. Wer einen gesundheitlich bereits geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen. Allerdings können dem Schädiger Folgeschäden, die wesentlich durch eine Begehrenshaltung des Geschädigten geprägt sind, nicht zugerechnet werden. Die Zurechnung des Folgeschadens für sogenannte Renten- oder Begehrensneurosen scheidet aus, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Geschädigte den Unfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten des Erwerbslebens auszuweichen. Es widerspricht dem Sinn des Schadensausgleichs, durch Schadensersatzleistungen eine neurotische Begehrenshaltung zu verfestigen, die auf der Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens beruht. Der Schädiger soll nicht für Schadensfolgen aufkommen müssen, die zwar äquivalent kausal auf dem Unfallgeschehen beruhen, bei denen aber ein neurotisches Streben nach Versorgung und Sicherheit prägend im Vordergrund steht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH 10.07.2012, VI ZR 127/11 = NJW 2012, 2964 mit umfangreichen weiteren Nachweisen; BGH 30.04.1996, VI ZR 55, 95 = BGHZ 132, 341).

Im vorliegenden Fall liegt keine Bagatellverletzung vor, was die Zurechnung der Folgeschäden ausschließen würde. Da das Ausmaß der Beschwerden, für die zum Teil eine manifestierbare organische Ursache nicht erkennbar ist, jedoch wesentlich auf die Prädisposition des Klägers, seine sozialen Lebensumstände und insbesondere die bereits vor dem Unfall vorhanden gewesene Depression und Anpassungsstörung zurückzuführen ist, schlägt sich dies in der Höhe des Schmerzensgeldanspruch anspruchsmindernd nieder (vgl. hierzu BGHZ 132, 341; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 11. Auflage 2013, Seite 101 Rnr. 292). Unter Berücksichtigung sämtlicher Gesichtspunkte, insbesondere der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile an der Herbeiführung des Unfalls, der objektiv erlittenen Verletzungen und Folgebeschwerden, der Operationen und der noch bestehenden Beschwerden des Klägers, hält das Gericht daher ein Schmerzensgeld von insgesamt € 20.000,00 für angemessen. Da die Beklagte hierauf bereits € 5.000,00 bezahlt hat, steht noch ein Rest von € 15.000,00 offen.

c. Der Kläger hat ein Interesse an der Feststellung, dass die Beklagten mit der oben dargelegten Quote für künftige materielle Schäden aus dem Unfall haften. Aufgrund der vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen ist davon auszugehen, dass – auch unfallbedingt – ein Dauerschaden entstanden ist. Die Beklagten sind daher als Gesamtschuldner mit der genannten Haftungsquote ersatzpflichtig, soweit künftige Schäden kausal auf den Unfall zurückgeführt werden können.

d. Zu den Nebenforderungen:

a)

Der Kläger hat weiter Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Anwaltsgebühren in Höhe von € 1.176,91.

Als Gegenstandswert, aus dem sich die Gebühren errechnen, ist der tatsächlich bestehende Anspruch zugrundezulegen, also ein Wert bis € 22.000,00 (oben errechneter Zahlungsanspruch + Feststellungsantrag € 3.000,00). Da die Klägervertreter bereits im Oktober 2012 beauftragt wurden, gilt die alte Gebührentabelle. Zu Recht wurden 1,5 Gebühren berechnet (Rechnung vom 18.09.2013, Bl. 90). Die Gebühr Nr. 2300 hat einen Rahmen von 0,5 bis 2,5; mehr als 1,3 nur dann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Verkehrsunfall, der über den Durchschnittsaufwand deutlich hinausgeht, sowohl was die Erarbeitung des zugrundezulegenden Sachverhalts, als auch was die Ermittlung und Darstellung der Schadenspositionen angeht. Es erscheint daher gerechtfertigt, eine 1,5-Gebühr zu berechnen. Damit ergeben sich unter Einrechnung der Pauschale von € 20,00 und der Umsatzsteuer Gebühren in Höhe von € 1.176,91. Da der Kläger die Rechnung noch nicht bezahlt hat, waren die Beklagten zur Freistellung zu verurteilen.

b)

Der Klägervertreter hatte die Beklagte Ziff. 2 mit Schreiben vom 11.02.2013 (Bl. 108) aufgefordert, an den Kläger materiellen und immateriellen Schadensersatz zu leisten bis zum 25.02.2013. Da die Beklagte Ziff. 2 dieser Zahlungsaufforderung nicht nachkam, kam sie ab dem 26.02.2013 in Verzug, es sind also ab diesem Zeitpunkt aus dem zugesprochenen Betrag die gesetzlichen Verzugszinsen zu bezahlen, §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, wobei berücksichtigt wurde, dass dem Kläger bei dem Antrag auf Zahlung eines Schmerzensgeldes ein gewisser Spielraum zusteht, der für ihn kostenneutral ist (zugesprochener Betrag zzgl. 20 % hieraus).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich sowohl für den Kläger als auch für die Beklagten aus § 709 ZPO.

 

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