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Kollision eines in ein Grundstück abbiegenden Fahrzeugs mit dem Gegenverkehr

LG Saarbrücken, Az.: 13 S 168/13, Urteil vom 24.01.2014

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Homburg vom 2. Oktober 2013 – 7 C 319/12 (18) – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert:

a) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.287,50 € sowie 186,24 € vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus beiden Beträgen seit dem 29. September 2012, der Erstbeklagte ferner für die Zeit vom 26. bis 29. September 2012 zu zahlen.

b) Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den ihm aus dem Unfallgeschehen vom 15. April 2012 in Homburg aufgrund der Inanspruchnahme seiner bei der … Versicherung, Versicherungsscheinnummer …, bestehenden Vollkaskoversicherung entstehenden Prämienrückstufungsschaden in Höhe von 50 % zu erstatten.

c) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 16 % und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu 84 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Kollision eines in ein Grundstück abbiegenden Fahrzeugs mit dem Gegenverkehr
Symbolfoto: AntiKsu/Bigstock

Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 15. April 2012 in … ereignete.

Der Kläger befuhr die … Straße hinter dem Erstbeklagten, dessen Pkw bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert war. Als der Kläger nach links in ein Hausgrundstück einfuhr, kam es zur Kollision.

Der Kläger hat seine Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen.

Erstinstanzlich hat der Kläger behauptet, der Erstbeklagte habe weder den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt, noch sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet. Die Wertminderung an seinem Fahrzeug belaufe sich auf 800,00 €. Ihm sei ein Nutzungsausfall von 25 Tagen x 38,00 € entstanden.

Mit der Klage hat er die Selbstbeteiligung an der Vollkaskoversicherung (300,00 €), eine behauptete Wertminderung (800,00 €), hälftige Nutzungsausfallentschädigung (475,00 €) sowie eine hälftige Unkostenpauschale (13,00 €), insgesamt 1.588,00 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht und die Feststellung der Pflicht der Beklagten zur gesamtschuldnerischen Erstattung des hälftigen Prämienrückstufungsschadens begehrt.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, der Kläger sei infolge zu geringen Abstands bzw. aus Unachtsamkeit aufgefahren. Der Erstbeklagte habe den Fahrtrichtungsanzeiger etwa 100 m vor Erreichen des Grundstücks gesetzt und sich zur Straßenmitte hin eingeordnet.

Das Erstgericht, auf dessen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat den Kläger und den Erstbeklagten informatorisch angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und Vernehmung der Zeugen … und …. Daraufhin hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Kläger mit zu geringem Abstand gefahren oder unaufmerksam gewesen sei. Es sei nicht erwiesen, dass der Erstbeklagte den Fahrtrichtungsanzeiger nicht gesetzt habe. Er habe sich zwar nicht zur Mitte hin eingeordnet. Die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs trete jedoch vollständig zurück.

Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Er rügt die Beweiswürdigung des Erstgerichts. Entgegen den Feststellungen des Erstgerichts sei dem Kläger kein Verkehrsverstoß nachweisbar. Auch habe das Erstgericht unberücksichtigt gelassen, dass die Beklagten nicht bewiesen hätten, dass der Erstbeklagte den Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig gesetzt hätte. Weiter habe das Erstgericht den Verstoß des Erstbeklagten gegen die Pflicht zum Einordnen zur Mitte hin nicht richtig gewürdigt.

Die Beklagten verteidigen die angegriffene Entscheidung.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und ganz überwiegend begründet.

1. Zutreffend und von der Berufung unangegriffen ist das Erstgericht zunächst davon ausgegangen, dass sowohl der Kläger als auch die Beklagten grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, weil die Unfallfolgen jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und nicht festgestellt werden kann, dass der Unfall für einen der beteiligten Fahrzeugführer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellte.

2. Im Rahmen der danach gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und -verschuldensanteile hat das Erstgericht es als erwiesen angesehen, dass der Kläger entweder unaufmerksam war (§ 1 Abs. 2 StVO) oder den gebotenen Abstand zu dem Erstbeklagten unterschritten hat (§ 4 Abs. 1 Satz 1 StVO). Hiergegen wendet sich die Berufung ohne Erfolg.

a) In tatsächlicher Hinsicht ist das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren, rechtlichen und tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloße subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (vgl. BGHZ 164, 330, 332 mwN.).

b) Konkrete Anhaltspunkte, die solche Zweifel begründen und eine erneute Feststellung gebieten könnten, liegen nicht vor. In seiner Beweiswürdigung hat sich das Erstgericht vielmehr entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt, ohne gegen Denk- oder Erfahrungsgesetze zu verstoßen. Das Erstgericht hat zunächst angenommen, der Kläger sei wenigstens mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h gefahren. Dies beruht auf den nachvollziehbar begründeten Ergebnissen des Sachverständigengutachtens, die zweitinstanzlich nicht angegriffen wurden und sich insoweit auch mit den Angaben des persönlich angehörten Klägers decken. Ausgehend hiervon ist es nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht die Annahme eines Verkehrsverstoßes des Klägers maßgeblich auf die Bekundungen des Zeugen … gestützt hat, wonach fast im selben Moment, als das Beklagtenfahrzeug zum Einbiegen einsetzte, die Rücklichter an dem klägerischen Fahrzeug angingen und es zu dem Aufprall kam. Entgegen dem Angriff der Berufung kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Zeuge aus seiner Position den Abstand zwischen beiden Fahrzeugen verlässlich abschätzen konnte, was das Erstgericht im Übrigen auch nicht angenommen hat. Entscheidend ist vielmehr, dass das klägerische Fahrzeug nach der Aussage des Zeugen, dessen Glaubwürdigkeit nicht angegriffen ist, nahezu ungebremst aufgefahren ist. Als nachfolgender Verkehrsteilnehmer musste der Kläger gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO seinen Abstand indes so wählen, dass er selbst dann hinter diesem anhalten konnte, wenn es plötzlich bremste (vgl. dazu auch Saarländisches Oberlandesgericht RuS 2013, 457; OLG Karlsruhe MDR 2013, 588; KG NZV 2007, 79). Wenn der Kläger aber nahezu ungebremst aufgefahren ist, obwohl der Erstbeklagte – wie der Sachverständige … unangegriffen festgestellt hat – aus der Geradeausfahrt erst ganz geringfügig eingelenkt hatte, kann der Kläger diesen Anforderungen nicht genügt haben. Dafür sprechen auch seine eigenen Angaben, wonach der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug 1 1/2 bis 2 Fahrzeuglängen betragen habe. Bei einer Geschwindigkeit von 35 km/h gewährleistet dieser Abstand – auch nach den von der Berufung selbst angestellten Berechnungen – keine rechtzeitige Bremsung.

3. Zu Lasten des Erstbeklagten hat das Erstgericht einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO angenommen, weil sich der Erstbeklagte nicht zur Mitte hin eingeordnet hat. Dies ist zutreffend und wird zweitinstanzlich nicht angefochten. Die Pflicht, sich zur Mitte hin einzuordnen, trifft auch denjenigen, der in ein Grundstück abbiegen will (vgl. KG MDR 2011, 97; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. Januar 2008 – I-1 U 79/06, juris; OLG Köln Schaden-Praxis 200, 151; OLG Frankfurt VersR 1977, 772 f.). Ihr hat der Erstbeklagte nicht genügt.

4. Entgegen der angegriffenen Entscheidung liegt indes auch ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO vor. Danach muss sich ein Verkehrsteilnehmer, der – wie hier der Erstbeklagte – in ein Grundstück abbiegt, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

a) Kommt es – wie hier – im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Abbiegen in ein Grundstück zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig dafür, dass der in das Grundstück Abbiegende der ihn treffenden äußersten Sorgfaltspflicht nicht genügt hat. Unbezweifelt ist die Geltung des Anscheinsbeweises für den Regelfall bei Kollision des Abbiegenden mit dem Gegenverkehr (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 – VI ZR 58/06, NZV 2007, 294; OLG Düsseldorf Schaden-Praxis 2006, 418; Saarländisches Oberlandesgericht NZV 1992, 234; OLG Oldenburg VersR 1995, 1457) oder mit einem Überholer (vgl. KG, Urteil vom 18. November 2010 – 22 U 15/10, juris; KG MDR 2011, 97; OLG Bremen MDR 2010, 26; OLG Rostock Schaden-Praxis 2010, 316; KG NZV 2003, 89; Kammerurteil vom 18. Januar 2013 – 13 S 158/12, Schaden-Praxis 2013, 286 f., mit Anm. Wenker jurisPR-VerkR 6/2013 Anm. 2; LG Düsseldorf Schaden-Praxis 2013, 321). Der Anscheinsbeweis gilt jedoch regelmäßig auch im Verhältnis zu dem sonst nachfolgenden Verkehr (vgl. OLG Hamburg Schaden-Praxis 2012, 392 f.; KG NZV 2007, 408; LG München Schaden-Praxis 2011, 393 f.; LG Hamburg PVR 2002, 230 ff.; AG Oldenburg, Urteil vom 25. August 2009 – 23 (22) C 1052/07, juris).

aa) Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (vgl. BGH, Urteile vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 ff., und vom 30. November 2010 – VI ZR 15/10, VersR 2011, 234, jew. mwN.). Allein das Kerngeschehen als solches reicht dann als Grundlage eines Anscheinsbeweises nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Denn es muss das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten im Rahmen des Unfallereignisses der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, schuldhaft gehandelt hat. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den getroffenen Feststellungen ergeben (vgl. BGH, Urteile vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 ff., und vom 19. März 1996 – VI ZR 380/94, VersR 1996, 772, jew. mwN.; zum Anscheinsbeweis beim Abbiegen auch OLG Hamm VersR 2010, 1238 f; OLG Hamm MDR 2014, 28 f.).

bb) Diese Voraussetzungen sind jedoch regelmäßig erfüllt, wenn der in ein Grundstück Abbiegende – wie hier – mit dem nachfolgenden Verkehr kollidiert. § 9 Abs. 5 StVO verlangt von dem in ein Grundstück Abbiegenden, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, geht also für den Regelfall davon aus, dass der Abbiegende in der Lage ist, durch rechtzeitiges Ankündigen seiner Abbiegeabsicht und Einordnen auf der Fahrbahn, ggf. behutsame Verlangsamung der Geschwindigkeit (vgl. OLG Hamm zfs 1991, 298), angemessene Beobachtung des nachfolgenden Verkehrs, u.U. sogar Rückgriff auf einen Einweisenden (vgl. BGH, Urteil von 10. April 1979 – VI ZR 146/78, VersR 1979, 532, 534; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. August 2006 – I-1 U 97/06, juris; KG, Urteil vom 26. April 1990 – 12 U 3294/89, juris), und notfalls ein vollständiges Zurückstellen des Abbiegevorgangs, solange noch nachfolgender Verkehr vorhanden ist (vgl. KG, Beschluss vom 16. November 2011 – 12 U 135/10, juris; OLG Hamm zfs 1991, 298; KG, Urteil vom 26. April 1990 – 12 U 3294/89, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. Oktober 1981 – 15 U 33/81, juris), einen Unfall zu vermeiden. Kommt es gleichwohl zum Unfall, ohne dass besondere Umstände vorliegen, hat der Abbiegende danach typischerweise gegen die ihm obliegende Pflicht verstoßen.

cc) Etwas anderes gilt auch nicht allein schon deshalb, wenn der Unfallgegner – wie hier der Kläger – erwiesenermaßen entweder den gebotenen Mindestabstand nicht eingehalten hat oder unaufmerksam gefahren ist. Die besondere Gefährlichkeit des Abbiegens in ein Grundstück, vor der § 9 Abs. 5 StVO schützen soll, hat sich typischerweise nämlich nicht nur dann verwirklicht, wenn der nachfolgende Unfallgegner den ihn treffenden Sorgfaltspflichten vollständig genügt hat. Das folgt aus dem Schutzzweck der Norm.

Das Abbiegen in ein Grundstück ist zum einen deshalb für den durch § 9 Abs. 5 StVO geschützten (vgl. OLG Dresden NZV 2007, 152; OLG Jena VRS 108, 294; OLG Stuttgart NJW 2004, 2255; OLG Koblenz zfs 2000, 80 f; Kammerurteil vom 19. Juli 2013 – 13 S 61/13, zfs 2013, 564 f., mwN.) fließenden Verkehr gefährlich, weil der Abbiegende seine Geschwindigkeit regelmäßig deutlich reduzieren muss und dadurch den fließenden, typischerweise schneller fahrenden Verkehr behindern kann. Das allein könnte die gegenüber § 9 Abs. 1 StVO gesteigerte Sorgfaltspflicht beim Abbiegen in ein Grundstück jedoch kaum rechtfertigen. Denn gleiches gilt häufig auch für das Abbiegen in eine Straße. Beim Abbiegen in ein Grundstück kommt allerdings noch hinzu, dass andere Verkehrsteilnehmer typischerweise nicht ohne weiteres erkennen können, an welcher Stelle der Vorausfahrende den fließenden Verkehr verlassen will, weil die angesteuerte Stelle eines Grundstücks nicht so eindeutig zu erkennen ist wie eine angesteuerte Einmündung oder Kreuzung (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2013 – I-9 U 88/13 und I-9 U 89/13, juris; OLG Stuttgart DAR 2012, 93; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11. Juni 2007 – I-1 U 227/06, juris; OLG Celle OLGR 2007, 129 ff.; OLG Karlsruhe VersR 1989, 925 f.). Der historische Grundstücksbegriff des § 9 Abs. 5 StVO erfasst nur solche „privaten“ Grundflächen, die nicht für jedermann zugelassen sind bzw. von jedermann tatsächlich genutzt werden (vgl. hierzu OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2013 – I-9 U 88/13 und I-9 U 89/13, juris; OLG Stuttgart DAR 2012, 93, mit Anm. Krenberger jurisPR-VerkR 8/2012 Anm. 5; OLG Düsseldorf NZV 1993, 360; OLG Karlsruhe VRS 44, 229 f.; OLG Köln VRS 58, 222; Zieres in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 27 Rdn. 292; Burmann in: Hess/Burmann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., § 9 StVO Rdn. 53 f., Booß VerkMitt 1993, 28; Booß VerkMitt 1974, 35). Ohne dass hier abschließender Entscheidung bedürfte, ob dieser unbestrittene Kern des Grundstücksbegriffs, wie überwiegend angenommen wird, einer funktionalen Erweiterung zugänglich ist (so OLG Celle DAR 1973, 306; OLG Frankfurt DAR 1988,243; OLG Düsseldorf NZV 1988, 231; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 9 StVO Rdn. 45), wird vor dem historischen Grundstücksverständnis jedenfalls deutlich, dass die gegenüber dem Abbiegen nach § 9 Abs. 1 StVO gesteigerte Sorgfaltsanforderung beim Abbiegen in ein Grundstück ihre Rechtfertigung darin hat, dass sich der fließende Verkehr weniger gut auf das Abbiegen einstellen kann, weil typischerweise an einer Stelle abgebogen wird, die für den fließenden Verkehr weniger gut erkennbar ist. Denn je weniger gut erkennbar das Abbiegeziel ist, um so höher liegen die Sorgfaltsanforderungen (vgl. OLG Brandenburg VRS 106, 18; OLG Brandenburg Schaden-Praxis 2010, 75; OLG Naumburg NZV 2009, 227). Damit weist § 9 Abs. 5 StVO dem Abbiegenden eine erhöhte Verantwortung gerade auch wegen der Gefahr zu, dass sich der Nachfolgende wegen der erschwerten Erkennbarkeit des Abbiegepunktes bei der Beurteilung des Fahrverhaltens des Vorausfahrenden verschätzt. Entfiele der Anscheinsbeweis indes ohne weiteres, weil auch dem Nachfolgenden ein Verkehrsverstoß zur Last fällt, könnte § 9 Abs. 5 StVO diese Funktion in einem zentralen Bereich nicht erfüllen. Ob und ggf. unter welchen Umständen die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises entfallen können, wenn der Nachfolgende in besonders schwerem Maße gegen die ihn treffenden Pflichten verstoßen hat, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, da solche besonderen Umstände vorliegend nicht erwiesen sind.

b) Den Beklagten ist es auch nicht gelungen, den gegen den Erstbeklagten sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. Umstände, aufgrund derer es ernstlich möglich erscheint, dass der Unfall hier nicht auf einem Sorgfaltsverstoß beim Abbiegen beruht, sind nicht bewiesen.

4. Die Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und -verschuldensanteile führt entgegen der angegriffenen Entscheidung zu einer Mithaftung der Beklagten in Höhe von – mit der Klage allein geltend gemachter – 50 %. Zwar wiegt einerseits der Verkehrsverstoß des Klägers schwer. So ist anerkannt, dass der Auffahrende regelmäßig sogar allein haftet, wenn die Betriebsgefahr des vorausfahrenden Fahrzeugs nicht durch ein Verschulden erhöht ist (vgl. KG VerkMitt 1976, Nr. 92, S. 60; VerkMitt 1983, Nr. 15, S. 13; Saarländisches Oberlandesgericht zfs 2003, 118, 120; Kammer, Hinweisbeschlüsse vom 4. Juni 2010 – 13 S 38/10 -, vom 19. Juli 2012 – 13 S 83/12 – und vom 21. Mai 2013 – 13 S 72/13; Hentschel/König/Dauer, aaO, § 4 StVO, Rdn. 17; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, aaO, § 4 StVO Rdn. 25). Allerdings ist der qualifizierte Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO von ganz besonderem Gewicht und führt selbst gegenüber einer erhöhten Betriebsgefahr regelmäßig zur Alleinhaftung (vgl. KG NZV 2007, 408; OLG Düsseldorf NZV 2006, 415; OLG München, Urteil vom 29. Oktober 2010 – 10 U 2996/10, juris; Kammerurteile vom 18. Januar 2013 – 13 S 158/12, Schaden-Praxis 2013, 286 f, und vom 11. Oktober 2013 – 13 S 116/13; Hinweisbeschluss der Kammer vom 22. Juli 2010 – 13 S 70/40; Kammerurteil vom 14. Mai 2010 – 13 S 11/10, mwN.). Unter den Umständen des vorliegenden Falls ist eine hälftige Mithaftung anzunehmen.

5. Unter Berücksichtigung des aus § 86 Abs. 1 VVG resultierenden Quotenvorrechts (vgl. BGHZ 82, 338; BGH, Urteil vom 25.11.2009 – XII ZR 211/08, DAR 2010, 85 f.) kann der Kläger die geltend gemachten Reparaturkosten in Höhe der Selbstbeteiligung von 300,00 € und der Wertminderung, die die Parteien zuletzt übereinstimmend mit 500,00 € in Ansatz gebracht haben, als mit dem Kaskoversicherungsschutz deckungsgleichen (sogenannter kongruenter) Schaden ersetzt verlangen (zur Selbstbeteiligung vgl. BGHZ 47, 308, 310; OLG Celle NZV 2011, 505; zur Wertminderung vgl. BGHZ 82, 338, 343 ff; Urteile vom 12.01.1982 – VI ZR 265/80, VersR 1982, 383, und vom 29.01.1985 – VI ZR 59/84, VersR 1985, 441). Die Nutzungsausfallentschädigung sowie die Unkostenpauschale sind demgegenüber nur entsprechend der Haftungsquote zu ersetzen.

6. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Kläger seinen – dem Grunde nach unstreitigen – Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung für die volle Reparaturdauer von 25 Tagen verlangen.

a) Regelmäßig ist für den Zeitraum einer erforderlichen Reparatur oder Ersatzbeschaffung Nutzungsausfallentschädigung zu leisten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 – VI ZR 363/11, VersR 2013, 471 ff.; Jahnke in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, aaO, § 249 BGB Rdn. 167 ff. mwN.). Der Geschädigte ist mit Blick auf die Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB aber gehalten, die Schadensbehebung in angemessener Frist durchzuführen (BGH, Urteil vom 14. April 2010 – VIII ZR 145/09, NJW 2010, 2426; Brandenburgisches OLG, Urteil vom 30. August 2007 – 12 U 60/07, juris; OLG Naumburg NJW 2004, 235, 3191; OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 1711) Kommt er dem in zurechenbarer Weise nicht nach, muss er sich eine Kürzung oder sogar den Ausschluss seines Schadensersatzanspruchs gefallen lassen (vgl. nur OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 1711; zum Verschuldensmaßstab des § 254 Abs. 2 BGB vgl. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 254 Rdn. 1, 36 mwN.). Die Beweislast für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Schädiger (vgl. nur BGH, Urteile vom 23. Januar 1979 – VI ZR 103/78, VersR 1979, 424; vom 29. September 1998 – VI ZR 296/97, VersR 1998, 1428; OLG Köln MDR 1999, 157; Palandt/Grüneberg, aaO, § 254 Rdn. 72 mwN.).

b) Ein Verstoß des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB ist vorliegend nicht nachgewiesen. Die bloße Behauptung, der tatsächlich angefallene Zeitaufwand sei zur Behebung des konkreten Schadens nicht erforderlich gewesen, begründet noch kein zurechenbares Fehlverhalten auf Seiten des Geschädigten. Für etwaige werkstattbedingte Verzögerungen ist der Geschädigte grundsätzlich nicht verantwortlich. Etwas anderes gilt nur, wenn die Beauftragung einer voraussichtlich langdauernden Reparatur bei wirtschaftlicher Betrachtung unter Berücksichtigung des Nutzungsausfallschadens für den Geschädigten erkennbar unvernünftig war (vgl. OLG Köln VersR 2000, 336; Saarländisches Oberlandesgericht NZV 2011, 85). Dafür sind hier jedoch keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich.

c) Danach schulden die Beklagten eine Nutzungsausfallentschädigung von 25 x 38,00 € x 0,5 = 475,00 €.

7. Die Unkostenpauschale ist gemäß ständiger, höchstrichterlich gebilligter Rechtsprechung mit 25,00 € in Ansatz zu bringen, so dass der Kläger 12,50 € ersetzt verlangen kann.

8. Danach sind die Beklagten insgesamt in folgendem Umfang zum Schadensersatz verpflichtet:

Selbstbeteiligung 300,00 €

Wertminderung 500,00 €

Nutzungsausfallentschädigung 25 x 38,00 € x 0,5 = 475,00 €

Unkostenpauschale 25,00 € x 0,5 = 12,50 €

1.287,50 €

9. Die Beklagten sind dem Kläger ferner zur Tragung des hälftigen Prämienschadens sowie gemäß §§ 288, 291 BGB zur Zahlung von Zinsen verpflichtet. Ferner schulden sie die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten aus 1.287,50 €, entsprechend gemäß §§ 2, 13 RVG, Nrn. 2300, 7002, 7008 VVRVG 1,3 x 105,00 € + 20,00 € (Pauschale) + 29,74 € (MwSt.) = 186,24 €.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen.

Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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