Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Minderjährige Radfahrer: Haftung bei Verkehrsunfällen geklärt
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein minderjähriger Radfahrer bei einem Verkehrsunfall nicht haftet?
- Wie wird die typische Überforderungssituation von Kindern im Straßenverkehr rechtlich bewertet?
- Welche Rolle spielt das Alter des Kindes bei der Haftung für Verkehrsunfälle?
- Was passiert, wenn ein minderjähriger Radfahrer einen Unfall mit einem anhaltenden Fahrzeug verursacht?
- Welche Beweislast trifft den Geschädigten bei Unfällen mit minderjährigen Radfahrern?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Das Gericht verhandelte die Haftung eines achtjährigen Kindes nach einem Verkehrsunfall mit einem Auto.
- Der Kläger verlangte Schadensersatz für Schäden am Fahrzeug.
- Das Kind stieß mit dem Fahrrad gegen ein verkehrsbedingt haltendes Auto in einer 30er-Zone.
- Der Kläger argumentierte, das Kind hätte die Verkehrssituation verstehen und vermeiden müssen.
- Das Gericht bestätigte die Anwendung der Kinderschadenklausel gemäß § 828 Abs. 2 BGB.
- Diese Klausel schützt Kinder unter zehn Jahren bei typischen Überforderungssituationen im motorisierten Verkehr.
- Das Gericht entschied, dass die Vielzahl von Herausforderungen im Straßenverkehr für das Kind eine typische Überforderung darstellt.
- Es wurde festgelegt, dass die Annäherung und die Geschwindigkeit des Autos das Kind überfordert haben.
- Die Berufung des Klägers wurde als aussichtslos eingestuft, da keine Rechtsverletzung oder unzureichende Feststellungen vorlagen.
- Der Kläger konnte nicht nachweisen, dass keine typische Überforderungssituation vorlag.
Minderjährige Radfahrer: Haftung bei Verkehrsunfällen geklärt
Die Straßenverkehrsordnung (StVO) gilt für alle Verkehrsteilnehmer, unabhängig vom Alter. Allerdings werden Minderjährige im Straßenverkehr durch besondere Rechtsnormen geschützt. Gerade Radfahrer sind im Straßenverkehr besonders gefährdet, insbesondere bei Kollisionen mit anderen Fahrzeugen. Doch welche Haftung treffen Minderjährige bei einem Verkehrsunfall und welche Besonderheiten gelten für den Haftungsausschluss im Zusammenhang mit Radfahrenden?
Diese Fragen sind im aktuellen Rechtsstreit um einen Haftungsausschluss eines minderjährigen Radfahrers nach einer Kollision mit einem anhaltenden Fahrzeug wieder aufgekommen. In einem aktuellen Gerichtsurteil wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen und die konkreten Umstände des Unfalls eingehend geprüft. Die Entscheidung wirft ein Licht auf die komplizierte Frage der Haftung bei Verkehrsunfällen mit Minderjährigen. Im Folgenden soll der Fall vorgestellt und analysiert werden, um zu zeigen welche Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss Minderjähriger vorliegen müssen.
Ihr Kind war in einen Unfall verwickelt? Wir helfen Ihnen weiter.
Sie sind verunsichert, welche Rechte und Pflichten gelten, wenn Ihr Kind in einen Verkehrsunfall verwickelt war? Wir verstehen die rechtlichen Herausforderungen, die solche Situationen mit sich bringen. Mit unserer langjährigen Erfahrung im Verkehrsrecht und unserer Expertise in der Vertretung von Mandanten in ähnlichen Fällen, bieten wir Ihnen eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihrer individuellen Situation. Kontaktieren Sie uns noch heute und lassen Sie uns gemeinsam den besten Weg für Sie finden.
Der Fall vor Gericht
Achtjähriger Radfahrer kollidiert mit Auto – Gericht sieht keine Haftung des Kindes
Der Fall eines achtjährigen Radfahrers, der mit einem anhaltenden Auto zusammenstieß, beschäftigte kürzlich das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein. Das Gericht musste entscheiden, ob das Kind für den entstandenen Sachschaden am Fahrzeug haftbar gemacht werden kann.
Am 22. April 2019 ereignete sich der Unfall in einer 30er-Zone mit Rechts-vor-Links-Regelung. Der achtjährige Beklagte fuhr mit seinem Fahrrad vom Gehweg auf die Fahrbahn, als sich der Kläger mit seinem Ford Fiesta von rechts näherte. Obwohl der Autofahrer bis zum Stillstand abbremste, prallte der junge Radfahrer gegen die vordere linke Seite des Fahrzeugs.
Schadensersatzforderung und Haftungsprivileg für Kinder
Der Autobesitzer forderte Schadensersatz in Höhe von 6.148,45 Euro. Diese Summe setzte sich aus den Reparaturkosten, einer Wertminderung des Fahrzeugs und den Kosten für ein Schadensgutachten zusammen. Zusätzlich verlangte er die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten.
Das Landgericht wies die Klage jedoch ab. Es begründete seine Entscheidung mit dem Haftungsprivileg für Kinder nach § 828 Abs. 2 BGB. Diese Regelung besagt, dass Kinder zwischen sieben und zehn Jahren für Schäden bei Unfällen mit Kraftfahrzeugen grundsätzlich nicht verantwortlich sind – es sei denn, sie handeln vorsätzlich.
Typische Überforderungssituation im Straßenverkehr
Das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung des Landgerichts. Es betonte, dass für die Anwendung des Haftungsprivilegs entscheidend sei, ob sich eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs verwirklicht habe.
Das Gericht sah diese Voraussetzung als erfüllt an. Es argumentierte, dass die konkrete Verkehrssituation vom Kind verlangt hätte, Vorfahrtsregelungen, Geschwindigkeiten, Entfernungen und örtliche Gegebenheiten korrekt einzuschätzen. Diese Vielzahl an Herausforderungen begründe die typische Überforderungssituation.
Besonders betonte das Gericht, dass es nicht darauf ankomme, ob sich diese Überforderung konkret ausgewirkt habe oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich verkehrsgerecht zu verhalten. Entscheidend sei vielmehr die generelle Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit von Kindern durch das Gesetz.
Bedeutung für die Rechtspraxis
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein verdeutlicht die weitreichende Schutzwirkung des Haftungsprivilegs für Kinder im Straßenverkehr. Sie unterstreicht, dass bei Unfällen mit Kindern unter zehn Jahren eine differenzierte Betrachtung der Verkehrssituation erforderlich ist.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Geschädigte bei Unfällen mit Kindern zwischen sieben und zehn Jahren in der Regel keine Schadensersatzansprüche durchsetzen können. Die Beweislast dafür, dass keine typische Überforderungssituation vorlag, liegt beim Geschädigten und ist in der Praxis kaum zu erfüllen.
Das Urteil stärkt damit den Schutz von Kindern im Straßenverkehr und verdeutlicht, dass die Gesellschaft das Risiko von Unfällen mit Kindern in diesem Alter grundsätzlich zu tragen hat. Es unterstreicht die Wichtigkeit, im Straßenverkehr besonders Rücksicht auf Kinder zu nehmen und mit unvorhersehbaren Situationen zu rechnen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil bekräftigt die weitreichende Schutzwirkung des § 828 Abs. 2 BGB für Kinder zwischen sieben und zehn Jahren im Straßenverkehr. Es genügt für die Anwendung des Haftungsprivilegs, dass eine typische Überforderungssituation durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs vorlag, ohne dass sich diese konkret ausgewirkt haben muss. Die Gesellschaft trägt somit grundsätzlich das Risiko von Unfällen mit Kindern dieser Altersgruppe, was die Bedeutung erhöhter Rücksichtnahme im Straßenverkehr unterstreicht.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Dieses Urteil stärkt den rechtlichen Schutz für Kinder zwischen 7 und 10 Jahren im Straßenverkehr erheblich. Wenn Ihr Kind in diesem Alter einen Unfall mit einem Kraftfahrzeug verursacht, ist es in der Regel nicht haftbar zu machen. Entscheidend ist, dass eine typische Überforderungssituation vorlag, nicht ob Ihr Kind tatsächlich überfordert war. Als Eltern müssen Sie in solchen Fällen normalerweise keinen Schadensersatz zahlen. Autofahrer sollten sich bewusst sein, dass sie bei Unfällen mit Kindern dieser Altersgruppe die Kosten meist selbst tragen müssen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, in Wohngebieten und in der Nähe von Schulen besonders vorsichtig zu fahren.
FAQ – Häufige Fragen
Radfahren ist ein beliebtes Fortbewegungsmittel, gerade bei Kindern und Jugendlichen. Doch die Haftung minderjähriger Radfahrer nach Verkehrsunfällen ist ein komplexes Thema. In unserer FAQ-Rubrik möchten wir Ihnen die wichtigsten rechtlichen Aspekte verständlich erklären und Ihnen so mehr Klarheit verschaffen.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein minderjähriger Radfahrer bei einem Verkehrsunfall nicht haftet?
- Wie wird die typische Überforderungssituation von Kindern im Straßenverkehr rechtlich bewertet?
- Welche Rolle spielt das Alter des Kindes bei der Haftung für Verkehrsunfälle?
- Was passiert, wenn ein minderjähriger Radfahrer einen Unfall mit einem anhaltenden Fahrzeug verursacht?
- Welche Beweislast trifft den Geschädigten bei Unfällen mit minderjährigen Radfahrern?
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein minderjähriger Radfahrer bei einem Verkehrsunfall nicht haftet?
Die Haftung minderjähriger Radfahrer bei Verkehrsunfällen unterliegt besonderen rechtlichen Regelungen. Grundsätzlich gilt, dass Kinder unter sieben Jahren generell nicht für Schäden haften, die sie im Straßenverkehr verursachen. Dies ist in § 828 Abs. 1 BGB festgelegt und dient dem Schutz der Jüngsten, die die Gefahren des Straßenverkehrs noch nicht vollständig erfassen können.
Wie wird die typische Überforderungssituation von Kindern im Straßenverkehr rechtlich bewertet?
Welche Rolle spielt das Alter des Kindes bei der Haftung für Verkehrsunfälle?
Das Alter eines Kindes ist ein entscheidender Faktor bei der Haftung für Verkehrsunfälle. Das Gesetz sieht hier differenzierte Regelungen vor, die dem Entwicklungsstand und der Einsichtsfähigkeit von Kindern Rechnung tragen.
Was passiert, wenn ein minderjähriger Radfahrer einen Unfall mit einem anhaltenden Fahrzeug verursacht?
Welche Beweislast trifft den Geschädigten bei Unfällen mit minderjährigen Radfahrern?
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Haftungsprivileg für Kinder (§ 828 Abs. 2 BGB): Diese gesetzliche Regelung besagt, dass Kinder zwischen sieben und zehn Jahren für Schäden, die sie bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug verursachen, grundsätzlich nicht verantwortlich sind. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Kind vorsätzlich gehandelt hat. Das Haftungsprivileg berücksichtigt, dass Kinder in diesem Alter oft noch nicht die nötige Reife besitzen, um komplexe Verkehrssituationen richtig einzuschätzen.
- Deliktsfähigkeit: Deliktsfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit, für einen verursachten Schaden rechtlich verantwortlich gemacht zu werden. Kinder unter sieben Jahren sind grundsätzlich deliktsunfähig, Kinder zwischen sieben und zehn Jahren nur eingeschränkt, insbesondere im Zusammenhang mit Unfällen im Straßenverkehr, wie im vorliegenden Fall. Ab dem zehnten Lebensjahr gelten strengere Maßstäbe.
- Typische Überforderungssituation: Dieser Begriff beschreibt eine Verkehrssituation, die für Kinder aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung und Reife besonders schwer zu bewältigen ist. Eine typische Überforderungssituation liegt vor, wenn die Anforderungen des Straßenverkehrs, wie das Einschätzen von Geschwindigkeiten und Entfernungen, die Fähigkeiten des Kindes übersteigen. Das Gericht entschied, dass im vorliegenden Fall eine solche Überforderung gegeben war.
- Rechts-vor-Links-Regel: Diese Regelung aus der Straßenverkehrsordnung (StVO) besagt, dass an Kreuzungen und Einmündungen derjenige Vorfahrt hat, der von rechts kommt, sofern keine anderen Verkehrszeichen die Vorfahrt regeln. Im vorliegenden Fall näherte sich das Fahrzeug des Klägers von rechts und hatte somit Vorfahrt, was jedoch das Kind nicht beachtet hat.
- Schadensersatz: Schadensersatz ist die Verpflichtung, den Schaden, den man einer anderen Person zugefügt hat, zu ersetzen. Der Kläger forderte Schadensersatz für die Beschädigung seines Fahrzeugs. Im vorliegenden Fall wurde jedoch entschieden, dass der minderjährige Radfahrer aufgrund des Haftungsprivilegs nicht schadensersatzpflichtig ist.
- Beweislast: Die Beweislast bezeichnet die Pflicht, die zur Stützung eines Anspruchs erforderlichen Tatsachen zu beweisen. In Fällen von Haftung bei Verkehrsunfällen mit Kindern liegt die Beweislast beim Geschädigten. Er muss nachweisen, dass keine typische Überforderungssituation vorlag, um einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 828 Abs. 2 BGB (Deliktsunfähigkeit von Kindern): Kinder unter sieben Jahren sind für verursachte Schäden nicht verantwortlich. Kinder zwischen sieben und zehn Jahren sind nicht verantwortlich, wenn sie bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug einen Schaden verursachen, es sei denn, sie handeln vorsätzlich. Im vorliegenden Fall war der Radfahrer zum Zeitpunkt des Unfalls acht Jahre alt und somit grundsätzlich nicht deliktsfähig. Es sei denn, er hätte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt, was nicht zur Debatte stand.
- § 823 Abs. 1 BGB (Schadensersatzpflicht): Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Im vorliegenden Fall forderte der Autofahrer Schadensersatz vom Jungen, da dieser durch den Zusammenstoß sein Eigentum (das Auto) beschädigt hatte.
- § 106 StVG (Haftung des Halters): Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Im vorliegenden Fall war der Kläger sowohl Fahrer als auch Halter des Fahrzeugs und machte daher seine Ansprüche auf Schadensersatz geltend.
- § 8 StVO (Vorfahrt): An Kreuzungen und Einmündungen hat die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Das gilt nicht, wenn die Vorfahrt durch Verkehrszeichen anders geregelt ist oder wenn es sich um eine abknickende Vorfahrtstraße handelt. Im vorliegenden Fall galt die Rechts-vor-Links-Regelung, was bedeutet, dass der Autofahrer Vorfahrt hatte.
- § 2 Abs. 1 StVO (Grundsätze): Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Dieses grundlegende Gebot der Rücksichtnahme gilt für alle Verkehrsteilnehmer, unabhängig vom Alter. Im vorliegenden Fall wurde diskutiert, ob der Junge seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen war, als er auf die Straße fuhr.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 38/24 – Beschluss vom 29.05.2024
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.
→ Lesen Sie hier den vollständigen Urteilstext…
I. Der Kläger wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung gegen das angefochtene Urteil offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung aus den nachfolgenden Gründen ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen, sofern die Berufung nicht aus Kostengründen innerhalb der genannten Frist zurückgenommen werden sollte.
III. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug auf 6.148,45 € festzusetzen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um die Haftung des beklagten Kindes für den Sachschaden an einem Kraftfahrzeug.
Der Kläger befuhr am 22.04.2019 mit seinem PKW Ford Fiesta den He.-Weg in G.. Der zum damaligen Zeitpunkt acht Jahre alte Beklagte befuhr mit seinem Fahrrad den Gehweg des W.M.-Stiegs. Es handelt sich um eine 30er-Zone mit „Rechts-vor-Links“-Vorfahrtregelung (§ 8 Abs. 1 S. 1 StVO). Im Kreuzungsbereich der beiden Straßen fuhr der Beklagte vom Gehweg auf die Fahrbahn, wo sich der Kläger mit seinem Fahrzeug von rechts näherte. Der Kläger bremste bis zum Stillstand ab, der Beklagte fuhr gegen die vordere linke Seite des klägerischen Fahrzeugs.
Der Kläger holte ein Schadensgutachten des C. vom 23.04.2019 ein, das Reparaturkosten in Höhe von 4.630,85 € netto sowie eine Wertminderung von 550,00 € auswies. Das Gutachten kostete 947,60 € .
Der Beklagte fährt seit der zweiten Klasse mit dem Fahrrad zur Schule sowie auf Feld- und Wiesenwegen. Er hat den Unfall vorgerichtlich so beschrieben, dass er auf die andere Straßenseite habe fahren wollen und „auf einmal“ sei das Auto da gewesen.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe verstehen können, dass er nicht ohne zu schauen über eine Kreuzung fahren dürfe. Eine Überforderungssituation sei nicht erkennbar. Die im Schadensgutachten aufgeführten Schäden seien unfallbedingt.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.148,45 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 22.05.2019 zu zahlen;
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, er könne sich auf die sog. „Kinderschadenklausel“ gemäß § 828 Abs. 2 BGB berufen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Schaden am klägerischen Fahrzeug könne dem Beklagten nicht zugerechnet werden. Dieser könne sich auf den Haftungsausschluss des § 828 Abs. 2 S. 1 BGB berufen. Dieses Haftungsprivileg für Kinder greife nur dann nicht ein, wenn eine typische Überforderungssituation nicht vorliege. Dies habe der Geschädigte darzulegen und zu beweisen. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass vorliegend keine typische Überforderungssituation vorliege. Es hätten sich vielmehr die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs verwirklicht. Die Verkehrssituation hätte es dem Beklagten bei ordnungsgemäßem Verhalten abverlangt, die Vorfahrtsituation, Geschwindigkeiten, Entfernungen und örtliche Gegebenheiten zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Diese Vielzahl von Herausforderungen begründet die typische Überforderungssituation. Dass der Beklagte möglicherweise nicht auf den Verkehr geachtet habe, zeige sein fehlendes Gefahrenbewusstsein.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft allein auf das Alter des Beklagten und seine Angabe zum Unfall abgestellt, ohne die konkrete Verkehrssituation zu berücksichtigen und zu begründen, worin die konkrete Überforderung gelegen habe. Nicht jede Situation im Straßenverkehr stelle für ein Kind eine typische Überforderungssituation dar. Nach der Rechtsprechung des BGH verlange die Haftungsprivilegierung, dass sich im Schadensfall eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs verwirklicht habe. Vorliegend habe eine übersichtliche und gängige Verkehrssituation zugrunde gelegen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.148,45 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 22.05.2019 zu zahlen;
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Angriffen der Berufung unter Auseinandersetzung mit der einschlägigen BGH-Rechtsprechung entgegen.
II.
Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und aus zutreffenden Erwägungen abgewiesen.
Gemäß § 513 ZPO kann eine Berufung nur auf eine Rechtsverletzung oder darauf gestützt werden, dass die gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigenden Feststellungen ein anderes als das landgerichtliche Ergebnis rechtfertigen. Beides liegt für die Berufung der Beklagten nicht vor.
Der Beklagte kann sich auf die Haftungsprivilegierung gemäß § 828 Abs. 2 BGB berufen. Danach ist, wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, für den Schaden, den er bei einem Unfall u.a. mit einem Kraftfahrzeug einem anderen zufügt, nicht verantwortlich; dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat. Der Bundesgerichtshof verlangt in ständiger Rechtsprechung, dass sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat (vgl. BGH, Urteile des VI. Senates vom 30.11.2004, Az. VI ZR 335/03 und VI ZR 365/03; auch Urteil vom 21.12.2004, Az. VI ZR 276/03, Urteil vom 17.04.2007, Az. VI ZR 109/06 und Urteil vom 16.10.2007, VI ZR 42/07, jeweils Beck-online). Dies bezieht sich insbesondere auf die für Kinder unter 10 Jahren schwierige Einschätzung von Geschwindigkeiten und Entfernungen (also Annäherungen) motorisierter Fahrzeuge. Abgelehnt hat der BGH eine Haftungsprivilegierung aufgrund dieser Vorschrift namentlich bei Schäden an geparkten Fahrzeugen, wobei eine grundsätzliche Differenzierung zwischen fließenden und ruhenden Verkehr nicht vorzunehmen ist. Bejaht hat der BGH die Anwendung des § 828 Abs. 2 BGB etwa bei einer Kollision eines achtjährigen Kindes auf dem Fahrrad mit einem verkehrsbedingt haltenden Kraftfahrzeug (BGH, Urteil vom 17.04.2007, Az. VI ZR 109/06). Die Leitsätze dieser Entscheidung lauten:
„Stößt ein achtjähriges Kind mit seinem Fahrrad auf Grund überhöhter, nicht angepasster Geschwindigkeit und Unaufmerksamkeit im fließenden Verkehr gegen ein verkehrsbedingt haltendes Kraftfahrzeug, das es nicht herankommen sehen konnte und mit dem es deshalb möglicherweise nicht rechnete, so handelt es sich um eine typische Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr. Darauf, ob sich diese Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich verkehrsgerecht zu verhalten, kommt es im Hinblick auf die generelle Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit von Kindern durch § 828 II 1 BGB (…) nicht an.“
In den Entscheidungsgründen (a.a.O., Rn. 10) führt der BGH weiter u.a. aus:
„Eine typische Gefahr des motorisierten Verkehrs kann auch von einem Kraftfahrzeug ausgehen, das im fließenden Verkehr anhält (d.h. seine Geschwindigkeit auf Null reduziert) und auf der Fahrbahn für das Kind ein plötzliches Hindernis bildet, mit dem es möglicherweise nicht gerechnet hat. Auch in einer solchen Fallkonstellation können altersbedingte Defizite eines Kindes im motorisierten Straßenverkehr, von denen die Fähigkeit zur richtigen Einschätzung von Entfernungen und Geschwindigkeiten nur beispielhaft genannt sind, zum Tragen kommen. Insoweit ist der Streitfall nicht – wie das Berufungsgericht meint – mit den Fällen einer Kollision mit einem ordnungsgemäß parkenden Kraftfahrzeug vergleichbar, an dessen Stelle ebenso gut ein anderer Gegenstand stehen könnte, mit dem aber im fließenden Verkehr so nicht zu rechnen ist.“
Im vorliegenden Fall gilt nichts Anderes: Der Kläger hat am fließenden (motorisierten) Straßenverkehr teilgenommen und der Beklagte hat mit dem – für ihn – plötzlichen Auftauchen des Kraftfahrzeugs beim Überqueren der Kreuzung offenbar nicht gerechnet. Damit haben sich altersbedingte Defizite des Beklagten in Form unangepasster Geschwindigkeit und / oder Unaufmerksamkeit bzw. fehlende Bremsbereitschaft verwirklicht, womit sich die konkrete Verkehrssituation als typische Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch die Schnelligkeit, Komplexität und Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr erweist.
Der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger hat jedenfalls keine Umstände dargelegt, die die gebotene Typizität des Geschehens im Anwendungsbereich des § 828 Abs. 2 BGB entfallen ließen. Er hat im Kern lediglich damit argumentiert, dass der Beklagte ungeachtet seines Alters habe verstehen können, dass er nicht ohne die gebotene Aufmerksamkeit über eine Kreuzung fahren dürfe, und dass dies eine der ersten Regeln sei, die Kinder im Straßenverkehr lernten. Wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, spricht allerdings gerade die Verkennung der Situation und der Gefahrenlage wider – eigentlich – besseres Wissen für eine Überforderungssituation durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs. Gerade die Angabe des Beklagten, das Fahrzeug „sei auf einmal da“ gewesen, spricht deutlich dafür, dass er die Annäherung des Fahrzeugs nicht bemerkt und mit ihr nicht gerechnet hat. Würde man der klägerischen Argumentation folgen, liefe dies darauf hinaus, dass auf die Einsichtsfähigkeit des Kindes gemäß § 828 Abs. 3 BGB abzustellen wäre, und nicht – wie richtigerweise – gemäß § 828 Abs. 2 BGB darauf, ob sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat.
Nach allem hat die Berufung des Klägers nach einhelliger Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg.