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Erektionsstörung nach Verkehrsunfall – nur geringes Schmerzensgeld

OLG Naumburg, Urteil vom 13.03.2014, Az.: 2 U 100/13

Leitsatz vom Verfasser nicht amtlich: Erleidet ein männlicher Geschädigter durch einen Verkehrsunfall eine dauerhafte erektile Dysfunktion (= Erektionsstörung) sowie Prellungen im Bereich des Beckens, der Wirbelsäule und eine Oberschenkel-/Kniekontusion, so steht ihm nach einem Urteil des OLG Naumburg lediglich ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro zu.

Erektionsstörung nach Verkehrsunfall

Auf die Berufung des Klägers wird das am 16.08.2013 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Halle – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 15.000, – EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.10.2012 zu zahlen.

Die Beklagte wird außerdem verurteilt, an die -AG (Schaden-Nr. …, Konto Nr.: …, BLZ: …) weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 325,41 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.11.2012 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger zu 62,50 % und die Beklagte zu 37,50 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger zu 77 % und der Beklagten zu 23 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können jeweils die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Höhe des Schmerzensgeldes, das der Kläger als Ausgleich für die bei einem Verkehrsunfall erlittenen immateriellen Schäden von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners – der Beklagten – beanspruchen kann, sowie über den Umfang der erstattungsfähigen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der Verkehrsunfall ereignete sich am 15.04.2011 gegen 15:15 Uhr in H.      im Kreuzungsbereich Z.    Straße. Der Kläger befuhr mit seinem Motorrad Suzuki SV 650 S, amtl. Kennzeichen: …, die vorfahrtberechtigte Straße Rain; der andere Unfallbeteiligte wollte mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw Opel Meriva, amtl. Kennzeichen: …, aus der J.                       Straße kommend den Z.      Rain in Richtung der Straße T.  überqueren. Dabei missachtete er das Vorfahrtsrecht des Klägers, so dass es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge kam. Die 100 %ige Einstandspflicht des Versicherungsnehmers der Beklagten und damit der Beklagten selbst steht zwischen den Parteien außer Streit.

Der Kläger, der bei dem Unfall mit dem äußeren Genitale auf den Motorradtank prallte, erlitt eigenen, unbestritten gebliebenen Angaben zufolge die folgenden Verletzungen:

  • Hämatom im Bereich der Peniswurzel
  • Schmerzen im Bereich der Peniswurzel bei Erektion
  • Schürfwunde am Penisschaft
  • Beckenprellung
  • HWS/BWS/LWS-Prellung
  • Oberschenkel-/Kniekontusion
  • Erektile Dysfunktion.

Die Beklagte leistete vorgerichtlich an den Kläger zum Ausgleich der immateriellen Schäden einen Betrag von 10.000, – EUR und auf die materiellen Schäden insgesamt weitere 4.498,81 EUR. Außerdem hat sie, was erst im Laufe des Berufungsverfahrens bekannt geworden ist, dem Kläger in einem Schreiben vom 25.10.2012 „einen materiellen und immateriellen Vorbehalt im Sinne der Rechtsprechung“ eingeräumt. Im Hinblick auf den Vorbehalt erklärte sie sich bereit, den Kläger „bezüglich der Verjährung so (zu stellen), als ob er ein entsprechendes rechtskräftiges Feststellungsurteil gleichen Datums erstritten hätte“.

Mit der von ihm erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung eines angemessenen weiteren Schmerzensgeldes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, in Anspruch genommen. Er hält angesichts der erlittenen Verletzungen ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000, – EUR – nach der vorgerichtlichen Zahlung von 10.000, – EUR also noch von weiteren 40.000, – EUR – für gerechtfertigt. Der Kläger verweist insbesondere darauf, dass die unfallbedingte erektile Dysfunktion es ihm unmöglich mache, den Geschlechtsverkehr mit seiner langjährigen Partnerin ohne vorherige Einnahme des Medikaments „…“ auszuüben. Auf der Grundlage eines Geschäftswertes von insgesamt 54.498,81 EUR bei Berücksichtigung einer 2,0 Geschäftsgebühr und nach Abzug bereits gezahlter 871,02 EUR verlangt der Kläger außerdem die Erstattung weiterer vorgerichtlicher Anwaltskosten von 1.825,52 EUR; die Erstattung habe an seinen – des Klägers – Rechtsschutzversicherer, die V. AG, zu erfolgen.

Die Beklagte hat den von ihr auf die immateriellen Schäden des Klägers gezahlten Betrag von 10.000, – EUR für angemessen gehalten; durch die Einnahme des Medikaments „…“ sei dem Kläger die Führung eines normalen Sexuallebens möglich. Auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten stünden dem Kläger nicht in der geltend gemachten Höhe zu, statt einer 2,0 Geschäftsgebühr sei nur die Mittelgebühr von 1,3 anzusetzen.

Das Landgericht hat in seinem Urteil vom 16.08.2013 dem Kläger in der Hauptsache ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 7.500, – EUR sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 152,14 EUR zuerkannt und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil, soweit es zu seinem Nachteil ergangen ist, hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge in vollem Umfang weiterverfolgt.

Die Parteien wiederholen im Berufungsverfahren im Wesentlichen ihre unterschiedlichen Auffassungen zur Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes und der durch den Umfang und die Höhe der vorgerichtlichen Anwaltstätigkeit verdienten Geschäftsgebühr.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts vom 16.08.2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 40.000, – EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB hieraus seit dem 26.10.2012 sowie an die V.  AG (Schaden-Nr. …, Konto Nr.: …, BLZ: …) vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.825,52 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB hieraus seit dem 02.11.2012 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, hat jedoch nur zum geringeren Teil Erfolg.

1. Der Kläger kann für die erlittenen Verletzungen von der Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1, 11, 17 Abs. 1 u. 2 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 25.000, – EUR, nach Abzug der bereits vorgerichtlich gezahlten 10.000, – EUR von noch 15.000, – EUR beanspruchen.

a) In seinem Urteil vom 16.08.2013 hat das Landgericht sämtliche Gesichtspunkte, die bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe zu berücksichtigen sind, umfassend dargelegt. Der Senat macht sich diese Ausführungen zu eigen und fasst sie lediglich noch einmal wie folgt zusammen.

aa) Soweit es um die erektile Dysfunktion als hauptsächlicher Schadensfolge geht, sind der Entscheidung die Feststellungen zugrunde zu legen, die sich aus den – im Auftrage der Beklagten erstatteten – neurologischen und urologischen Fachgutachten der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken vom 24.05./ 19.07.2012 ergeben. Die maßgebliche unfallbedingte Diagnose lautet danach (Gutachten vom 19.07.2012, S. 14):

 „Erektile Dysfunktion bei Z. n. penisnaher Nervenverletzung, am ehesten der Nervi cavernosi penis majores et minores, die aus dem Plexus hypogastricus inferior (Plexus pelvinus) entspringen. Sowohl das geschilderte Hämatom im Bereich der Peniswurzel sprechen für eine Verletzung in diesem Bereich als auch der fehlende Bulbocavernosusreflex.“

Die gegenwärtige und künftige Minderung der Erwerbsfähigkeit auf urologischem Fachgebiet ist von dem Gutachter mit 10 % veranschlagt worden. Die Sexualfunktionsstörung lässt sich – jedoch nur zeitweilig – durch die Therapie mit einem PDE-5-Hemmer, etwa dem Medikament „…“, beheben. Die erektile Dysfunktion führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Sexuallebens des Klägers, sie kann sich damit auch in erheblichem Maße nachteilig auf die Beziehung zu seiner Lebenspartnerin und auf sein eigenes Selbstwertgefühl auswirken. Nachvollziehbarerweise befürchtet der Kläger, dass es bei häufigerer Einnahme von „…“ auch zu den in der Gebrauchsinformation (Anlage K 7) beschriebenen Nebenwirkungen kommen könnte. Als weitere Folge der erektilen Dysfunktion wird in dem Gutachten auch die Gefahr von Stimmungsveränderungen bis hin zur Depression aufgezeigt. Eine Verbesserung der Nervenfunktion im Laufe der Jahre ist ungewiss und bisher von keiner der Parteien vorgetragen.

bb) Daneben hat das Landgericht zu Recht auch die weiteren Verletzungen – wie Becken-, HWS/BWS/LWS-Prellungen und Oberschenkel-/Kniekontusion – , die sich vor allem durch ihre Schmerzhaftigkeit auszeichnen, in seine Betrachtung mit einbezogen. Vom 15.04. bis 16.04.2011 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung, für den Zeitraum vom 15.04 bis 11.07.2011 war er krankgeschrieben.

cc) Schließlich ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes das Unfallgeschehen am 15.04.2011 zu würdigen. Der Vorfahrtsverstoß durch den Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs stellt sich – mangels anderweitiger Anhaltspunkte – als eine mit mittlerer Fahrlässigkeit begangene Straßenverkehrspflichtverletzung dar. Auch insofern folgt der Senat der Einschätzung der ersten Instanz.

b) Zur Verdeutlichung der Reichweite der jetzigen gerichtlichen Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung durch einen – wie hier uneingeschränkt geltend gemachten – Schmerzensgeldbetrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten werden, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der gerichtlichen Entscheidung berücksichtigt werden konnte (etwa BGH, Urteil v. 14.02.2006 – Az.: VI ZR 322/04 – , NJW-RR 2006, 712 ff.; BGH, Urteil v. 20.01.2004 – Az.: VI ZR 70/03 – , NJW 2004, 1243 ff.; BGH, Urteil v. 20.03.2001 – Az.: VI ZR 325/99 – , NJW 2001, 3414 f., jeweils m.w.N.). Das betrifft im vorliegenden Fall insbesondere eine mögliche Fortdauer der Sexualfunktionsstörungen beim Kläger und die damit verbundene Gefahr von Stimmungsschwankungen bis hin zur Depression.

c) Gerichtliche Entscheidungen, die einen in etwa vergleichbaren Sachverhalt betreffen, sind in den gängigen Schmerzensgeld-Tabellen – soweit ersichtlich – nicht veröffentlicht; davon gehen inzwischen auch die Parteien aus. Der Senat hält bei Abwägung sämtlicher vorgenannten Gesichtspunkte einen Schmerzensgeldanspruch des Klägers in Höhe von insgesamt 25.000, – EUR für angemessen und berechtigt. Nach Abzug der bereits vorprozessual gezahlten 10.000, – EUR, ist dem Kläger daher noch ein weiterer Betrag von 15.000, – EUR zuzuerkennen. Dass in dem Vergleichsvorschlag des Senats vom 04.11.2013 zunächst ein um 5.000, – EUR höheres Schmerzensgeld enthalten war, erklärt sich aus der dort unter Ziff. 3 vorgesehenen Abgeltungsklausel, die jedoch nicht die Zustimmung des Klägers gefunden hat.

2. a) Hinsichtlich der geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, dass weder der Umfang noch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit die Überschreitung der Regelgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG von 1,3 rechtfertigen. Da die 100 %ige Einstandspflicht der gegnerischen Haftpflichtversicherung außer Streit stand, konzentrierte sich die anwaltliche Tätigkeit auf die Ermittlung und Geltendmachung der einzelnen Schadenspositionen und – in diesem Zusammenhang – auf die Auswertung der von der Beklagten eingeholten medizinischen Gutachten.

b) Unter Zugrundelegung eines Geschäftswertes von (25.000, – EUR + 4.498,81 EUR = ) 29.498,81 EUR errechnen sich daher erstattungsfähige vorgerichtliche Anwaltskosten von 1.196,43 EUR, auf die die Beklagte unstreitig bereits eine Zahlung in Höhe von 871,02 EUR geleistet hat. Die von der Beklagten gegenüber dem Rechtsschutzversicherer des Klägers auszugleichende Restforderung beträgt insofern noch 325,41 EUR.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

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