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Darlegungs- und Beweislast bei kompatiblen Vorschäden am Unfallfahrzeug

AG Frankfurt – Az.: 31 C 1343/11 (78) – Urteil vom 28.06.2012

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann eine Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils für die Beklagten insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

4. Der Streitwert des Rechtsstreits wird auf EUR 3.832,69 festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch.

Am 22.02.2011 ereignete sich auf der … in … ein Verkehrsunfall.

Darlegungs- und Beweislast bei kompatiblen Vorschäden am Unfallfahrzeug
Symbolfoto: Von Andrey_Popov /Shutterstock.com

An diesem waren der im Eigentum des Klägers stehende Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … (nachfolgend: Klägerfahrzeug) und der von der Beklagten zu 1) geführte Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … (nachfolgend: Beklagtenfahrzeug), welcher bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war, beteiligt.

Das Klägerfahrzeug wurde auf der dreispurigen Straße vom Zeugen … auf der mittleren Spur gefahren. Die Beklagte zu 1) befuhr die linke Fahrspur und wechselte sodann unter Überfahrung einer durchgezogenen Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295) auf den vom Klägerfahrzeug befahrenen mittleren Fahrstreifen, wobei es zumindest zu einer seitlichen Kollision der Fahrzeuge kam.

Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht nicht im Streit.

Der Kläger ließ ein Gutachten der Sachverständigen … anfertigen und beziffert den ihm entstandenen Schaden hiernach wie folgt, wobei er anführt, dass sich bereits vor dem Unfall eine kleine rechte Beule an der hinteren rechten Seite des Fahrzeugs befunden habe:

1. Reparaturkosten ohne Mwst. EUR 3.279,72

2. Kostenpauschale EUR 30,00

Gesamtschaden EUR 3.309,72

Für die Gutachtenerstattung wurden dem Kläger EUR 522,97 in Rechnung gestellt.

Der Kläger behauptete zunächst, dass alle im Gutachten der Sachverständigen … angeführten Schäden durch das gegenständliche Unfallereignis hervorgerufen wurden.

Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens führt dieser aus, dass im Gutachten der Sachverständigen … offenbar ein Vor- oder Nachschaden berücksichtigt worden sei (Schadenzone A2 des gerichtlichen Gutachtens), von welchem der Kläger bisher keinerlei Kenntnis hatte.

Der Kläger beantragt: Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger EUR 3.309,72 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 25.03.2011 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von den Gutachtenkosten des Sachverständigen … gemäß Rechnung vom 23.02.2011 in Höhe von EUR 522,97 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 25.03.2011 freizustellen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von EUR 402,82 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten bestreiten, dass alle im Gutachten der Sachverständigen … angeführten Schäden durch das gegenständliche Unfallereignis hervorgerufen wurden und sind der Ansicht, dass aufgrund der Geltendmachung auch nicht kompatibler Schäden ein Anspruch auch hinsichtlich der grundsätzlich kompatiblen Schäden nicht in Betracht komme.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen …, … und … und Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2011 (Bl. 97-109 d. A.) sowie auf das Sachverständigengutachten vom 09.03.2012 (Bl. 136-155 d. A.) verwiesen.

Die Parteien haben eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren beantragt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenbestandteile.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten aus §§ 7 I, 17 II, I, 18 I StVG, 115 I 1 Nr. 1 VVG, 421 BGB nicht zu.

Zwar ist eine Unfallverursachung durch die Beklagte zu 1) und eine Haftung der Beklagten für alle Schäden aus diesem Unfallereignis unstreitig gegeben.

Der Kläger vermochte jedoch nicht den notwendigen Vollbeweis gemäß § 286 ZPO zu erbringen, dass die mit der Klage geltend gemachten Schäden durch das Unfallereignis entstanden sind bzw. durch dieses ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist.

Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass zu dem Unfallereignis kompatible Schäden auch tatsächlich durch dieses Unfallereignis hervorgerufen wurden, so dass an eine Beweisführung bei bejahter Kompatibilität keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Dieses kann aber dann nicht geltend, wenn wie vorliegend am Unfallfahrzeug auch nicht kompatible Schäden im allgemeinen Unfallbereich vorhanden sind. Insbesondere dann nicht, wenn der Kläger auch diese Schäden zunächst als durch den Unfall verursacht geltend machte.

Denn in dem Fall, dass feststeht, dass nicht kompatible Schäden vorhanden sind, und es nicht auszuschließen ist, dass auch kompatible Schäden auf einem anderen Schadensereignis als dem streitgegenständlichen beruhen, ist die Klage insgesamt abzuweisen (vgl. KG Berlin, Aktenzeichen: 12 U 207/09, Beschluss vom 13.08.2009, zu finden in VRS 118, 159).

Dieses folgt daraus, dass in einem derartigen Fall nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, dass durch den gegenständlichen Unfall ein weiterer Schaden verursacht worden ist (KG Berlin a. a. O.).

Das Kammergericht Berlin hat in der angeführten Entscheidung hierzu wie folgt weiter ausgeführt:

„Dem Geschädigten obliegt es nämlich, die Verursachung des Schadens durch das gegnerische Fahrzeug und das Ausmaß des unfallbedingten Schadens darzulegen und zu beweisen (Senat, NZV 2007, 521-522; Senatsurteile vom 2. August 1999 – 12 U 4408/98 –, vom 14. Februar 2000 – 12 U 6185/98 – und vom 15. Mai 2000 – 12 U 9704/98; HansOLG Hamburg, Urteil vom 17. April 2002 – 14 U 78/01 – SP 2002, 385; st. Rspr.); daher entfällt ein Schadensersatzanspruch auch dann, wenn wegen der im Unfallzeitpunkt nicht reparierten Vorschäden ein zusätzlicher Schaden nicht festgestellt werden kann.

Dieser allgemeine Grundsatz hat nichts zu tun mit „unredlichem Verhalten des jeweiligen Klägers“, sondern entspricht den allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess. Der Fahrzeugeigentümer, der Vorschäden nicht sach- und fachgerecht beseitigen lässt oder – wie vorliegend – aus zeitlichen Gründen nicht beseitigen kann, sondern mit einem vorgeschädigten Kfz am Verkehr teilnimmt und dann in einen weiteren Unfall verwickelt wird, hat allerdings naturgemäß meist Schwierigkeiten mit Darlegung und Beweis des Ausmaßes des neu eingetretenen Schadens. Es kommt deshalb vorliegend nicht darauf an, ob dem Kläger ein „obstruktives Verhalten“ angelastet werden kann.

Eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO kommt zugunsten des Geschädigten erst in Betracht, wenn er dargelegt und bewiesen hat, welche abgrenzbaren Schäden ihre Ursache nur in dem zweiten Schadensereignis haben können.“

Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen an.

In Anwendung dieser Grundsätze war die Klage abzuweisen.

Gemäß dem Gutachten des Sachverständigen … kann der vom Kläger zunächst geltend gemachte Schaden oben links am hinteren Stoßfänger (Schadenzone A2 des gerichtlichen Sachverständigengutachtens) dem Unfallereignis nicht zugeordnet werden. Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass das Klägerfahrzeug vor dem Unfallereignis bereits vorgeschädigt war. Die Begutachtung durch die Sachverständigen … erfolgte nur einen Tag nach dem Unfallereignis, so dass eine Entstehung nach dem Unfall nahezu ausgeschlossen ist.

Vor dem Hintergrund, dass hiernach davon auszugehen ist, dass zumindest ein Vorschadensereignis vorgelegen hat, kann nicht mit der hinreichenden Sicherheit ausgeschlossen werden, dass das Klägerfahrzeug auch im Bereich der übrigen gegenständlichen Schadensmerkmale schon vorgeschädigt war. Es kann nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit ausgeschlossen werden, dass auch diese grundsätzlich kompatiblen Schäden bereits vorher (zumindest teilweise) vorhanden waren oder, dass sich dort Vorschäden befunden haben, welche durch das neue Unfallereignis nur überlagert wurden und somit kein weiterer wirtschaftlicher Schaden entstanden ist.

Dieses gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass in Anbetracht des feststehenden weiteren Schadensereignisses es nicht ausgeschlossen werden kann, dass es etwaig noch weitere Vorschadensereignisse gegeben hat.

Entsprechendes folgt auch daraus, dass eine nicht außer Acht zu lassende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Kläger ein vorangegangenes Schadensereignis bewusst verschwiegen hat und versuchte, den hierdurch entstandenen Schaden regulieren zu lassen. Denn insoweit der Kläger nach Erstattung des gerichtlichen Gutachtens ausführte, dass er von diesem (Vor-)Schaden keine Kenntnis hatte, so begegnet dieses Zweifeln. Bei dem vom Sachverständigen als nicht kompatibel angeführten Schaden handelt es sich um eine sehr gut sichtbare scharfkantige Kontaktspur. Bei einem derartigen Schaden ist es nicht nachvollziehbar, dass der Kläger weder die Entstehung noch das grundsätzliche Vorhandensein wahrgenommen haben will. Es muss in der Folge zumindest für möglich erachtet werden, dass der Kläger diesen (Vor-)Schaden absichtlich verschwieg. In der Folge kann wiederum nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass dieser auch weitere Vorschädigungen (sei es auch aus weiteren Schadensereignissen) verschwiegen hat.

Einen Beweis dahingehend, dass hinreichend abgrenzbare Schäden vorliegen, welche mit hinreichender Sicherheit nur dem vorliegenden Unfallereignis zugeordnet werden können, hat der Kläger nicht erbracht. Alleine die vom Sachverständigen … bejahte Kompatibilität der weiteren Schadensmerkmale ist hierfür nicht ausreichend.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 11, 7111, 709 S. 1 und 2 ZPO.

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