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Auffahrunfall nach Abbremsen ohne zwingenden Grund – Haftung

AG Wuppertal – Az.: 34 C 2/11 – Urteil vom 05.04.2011

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger € 457,97 (in Worten: Euro vierhundertsiebenundfünfzig 97/100) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.11.2010 zu zahlen und den Kläger gegenüber Herrn Rechtsanwalt B, S.Straße 26, XXX W, in Höhe einer Honorarforderung von € 83,54 freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerseite 2/3. Die übrigen Kosten tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, sofern nicht die vollstreckende Seite zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer bundesdeutschen Bank oder Sparkasse erfolgen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, welcher sich am 27.10.2010 in W in der H.Straße ereignet hat.

Der Kläger ist der Eigentümer und Halter eines PKW Audi A6, amtliches Kennzeichen Y-YY 000. Die Beklagte zu 2 ist die Halterin des Omnibusses mit dem amtlichen Kennzeichen Y-ZZ 0000.

Zum Unfallzeitpunkt befuhr der Kläger mit seiner Ehefrau, der Zeugin A, als Beifahrerin die H.Straße. Im Bereich vor der Hausnummer 000 befindet sich eine rechts neben den Fahrbahnen liegende Bushaltestelle und im weiteren Verlauf eine Lichtzeichenanlage. Auf dieser Bushaltestelle stand mit nach links gesetztem Blinker abfahrbereit der vom Beklagten zu 1 gesteuerte Bus der Beklagten zu 2.

Der sich noch hinter dem Bus befindliche Kläger signalisierte dem vorfahrtberechtigten Bus, dass er diesen gesehen habe und auf seine Fahrbahn einfahren lassen werde. Der Beklagte zu 1 bestätigte dies durch Handzeichen und fuhr in die Fahrbahn hinein.

Dann hielt der Bus wieder an, als er schon weitgehend in die Fahrspur eingefahren war. Durch das Bremsmanöver stürzte der im Bus befindliche Fahrausweisprüfer, weil er mit dem Kopf gegen eine Haltestange gestoßen war, eine Platzwunde erlitt und kurzfristig bewusstlos war. Es kam außerdem zur Kollision zwischen dem PKW und dem Bus. Die Anstoßstelle befindet sich am PKW vorne rechts und am Bus hinten an der Seite links, ungefähr eine halbe PKW-Länge vor dem Busende.

Zur Instandsetzung der Schäden am PKW ist ein Reparaturaufwand von (netto) € 1.348,92 erforderlich. Zusammen mit einer geltend gemachten Kostenpauschale von € 25,- ergibt dies € 1.373,92. Hierauf wurden vorgerichtlich keine Zahlungen erbracht.

Der Kläger behauptet, es habe sich um einen plötzlichen und abrupten Abbremsvorgang des Busses gehandelt.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.373,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 16.11.2010 zu zahlen.

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger gegenüber Herrn Rechtsanwalt B, S.str. 26, XX W, in Höhe einer Honorarforderung von 186,24 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin A. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 15.03.2011 (Bl. 24ff GA) verwiesen.

Wegen des weitergehenden Parteivortrags wird auf die zur Akte gereichten wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nur auf der Basis einer Haftungsquote von 1/3 zu Lasten der Beklagten begründet.

I.

1. Die grundsätzliche Haftung der Zweitbeklagten als Halter ihres unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges ergibt sich aus § 7 Abs. 1 StVG, denn diese Schäden sind bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden und höhere Gewalt im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG liegt (unstreitig) nicht vor. Dies gilt sinngemäß auch für den Kläger als Halter seines Fahrzeuges.

2. Steht somit die grundsätzliche Haftung der vorgenannten Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatz gemäß § 17 StVG davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden vorliegender Art herbeizuführen.

Auffahrunfall nach Abbremsen ohne zwingenden Grund - Haftung
Von Sergiy Palamarchuk

Hierbei richtet sich die Schadensverteilung auch nach dem Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten. Jedoch können im Rahmen dieser Abwägung zu Lasten einer Partei nur solche Tatsachen berücksichtigt werden, die als unfallursächlich feststehen.

3. Eine alleinige Haftung einer Partei aus dem Gesichtspunkt eines unabwendbaren Ereignisses, § 17 Abs.3 StVG, scheidet aus. Keine Partei konnte den Nachweis für ein unabwendbares Ereignis führen.

Bei dem Unabwendbarkeitsnachweis kommt es nämlich darauf an, ob auch für einen besonders sorgfältigen Kraftfahrer bei der gegebenen Sachlage der Unfall vermeidbar gewesen wäre (BGH NJW 1954, 183). Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer anstelle des Erstbeklagten den Unfall durch einen Verzicht auf das Bremsmanöver doch vermieden hätte. Aber auch der Kläger als Halter und Fahrer des unfallbeteiligten Kraftfahrzeugs haftet grundsätzlich nach § 7 Abs. 1 StVG für die Unfallfolgen. Denn auch er hat nicht nachweisen können, dass der Unfall für ihn unabwendbar war. Auch hier ist nicht auszuschließen, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer anstelle des Klägers den Unfall durch einen größeren Sicherheitsabstand vermieden hätte.

4. Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeuges besteht in der Gesamtheit der Umstände, welche, durch die Eigenart des Kraftfahrzeugs begründet, Gefahr in den Verkehr tragen. Sie wird durch die Schäden bestimmt, die dadurch Dritten drohen. In der Regel wird sie durch Umstände wie Fahrzeuggröße, Fahrzeugbeschaffenheit und Fahrgeschwindigkeit bestimmt (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 17 StVG Rn. 6).

Die abstrakte und konkrete Betriebsgefahr der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge ist wegen der höheren Masse des Busses nicht ganz als vergleichbar hoch einzustufen. Den Bus trifft insoweit zunächst eine geringfügig höhere Betriebsgefahr.

Ist das Maß der Verursachung auf der einen Seite so groß, dass demgegenüber die von der anderen Partei zu verantwortende Mitverursachung nicht ins Gewicht fällt, so kann der Schaden ganz der einen Partei auferlegt werden (vgl. dazu BGH VersR 1962, 989; OLG Düsseldorf VersR 1968, 781). Diese Voraussetzungen sind im Entscheidungsfall nicht gegeben.

Den Kläger belastet zwar neben der Betriebsgefahr ein die Betriebsgefahr erhöhendes unfallursächliches Verschulden, weil er auf den vor ihm fahrenden (vorfahrberechtigten) Bus aufgefahren ist. Das Unfallgeschehen steht einem Auffahrunfall gleich. Denn der Zusammenstoß der Fahrzeuge beruht darauf, dass der Kläger mit viel zu geringem Sicherheitsabstand (und für diesen geringen Sicherheitsabstand jedenfalls unaufmerksam und zu schnell) gefahren ist und auf den vor ihm – für den Kläger überraschend – bremsenden Bus nicht mehr reagieren konnte. Dass der Aufprall seitlich am Bus und nicht hinten am Bus erfolgte, ist für diese rechtliche Bewertung unerheblich und beruht technisch nur auf der Schrägstellung des noch nicht ganz auf die Fahrbahn aufgefahrenen, vorfahrtberechtigten Busses. Ohne diese Schrägstellung wäre es – wegen des dann verkürzten Bremswegs – sogar zu einem erheblich intensiveren Kollisionsgeschehen mit dem hinteren Busende gekommen.

Dass der Sicherheitsabstand des PKW (bezogen auf die Geschwindigkeit und die Aufmerksamkeit des Klägers) zum Bus zu gering war, steht sowohl nach den äußeren Umständen des Unfallgeschehens im Sinne eines Anscheinsbeweises, aber darüber hinaus auch aufgrund der Aussage der Zeugin Bender für das Gericht im Sinne von § 286 ZPO fest. Die Zeugin bekundet glaubwürdig, dass zum Zeitpunkt des Beginns des Bremsmanövers des Busses sich der PKW nur eine halbe oder maximal eine Fahrzeuglänge hinter dem Bus befunden hat und deswegen erst seitlich eine halbe PKW-Fahrzeuglänge neben dem Bus zum Stehen kam.

Dies begründet aber ausnahmsweise keine alleinige Haftung des Klägers, weil auch den Bus ein die Betriebsgefahr erhöhendes Verschulden trifft. Denn der Bus hat ohne hinreichenden Grund plötzlich und abrupt gebremst. Dies steht ebenfalls sowohl nach den äußeren Umständen des Unfallgeschehens, aber darüber hinaus auch aufgrund der hierzu ebenfalls überzeugenden Aussage der Zeugin A für das Gericht im Sinne von § 286 ZPO fest. Die Zeugin bestätigt, dass der Bus plötzlich, scharf und ohne ersichtlichen Grund gebremst hat. Die Aussage ist auch deswegen so überzeugend, weil es unstreitig ist, dass durch das Bremsmanöver der im Bus befindliche Fahrausweisprüfer gestürzt ist, weil er mit dem Kopf gegen eine Haltestange gestoßen war, eine Platzwunde erlitt und kurzfristig bewusstlos war. Ohne ein abruptes und für den Fahrausweisprüfer völlig überraschendes in den Auswirkungen für ihn nicht beherrschbares Bremsmanöver wäre dies aber nicht zu erklären.

5. Bei der Abwägung ist somit festzustellen, dass sowohl der Klägerseite als auch der Beklagtenseite neben der Betriebsgefahr des jeweiligen Fahrzeugs ein die Betriebsgefahr erhöhendes, unfallursächliches Verschulden zur Last fällt. Das Gericht macht sich für die insoweit zu bildende Haftungsquote die nachfolgende zutreffende Rechtsansicht zu eigen (Treffen starkes Bremsen ohne zwingenden Grund sowie Unaufmerksamkeit und/oder unzureichender Sicherheitsabstand zusammen, so fällt der Beitrag des Auffahrenden grundsätzlich doppelt so hoch ins Gewicht; das führt dazu, dass der Auffahrende vom Vorausfahrenden regelmäßig Schadenersatz nach einer Quote von 1/3 verlangen kann (KG Urt. v. 13.02.2006, 12 U 70/05) mit der Wirkung, dass die Haftungsquote 1/3 zu Lasten der Beklagtenseite beträgt, ohne dass die an sich etwas höhere abstrakte und konkrete Betriebsgefahr des Busses hierauf einen relevanten Einfluss gewinnt.

II.

Schließlich haftet auch der Beklagte zu 1 als Fahrer des Beklagtenfahrzeuges aus den oben genannten Gründen gemäß § 18 StVG, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass ihn am Unfallgeschehen ein Verschulden trifft.

III.

Der Gesamtschaden des Klägers beträgt (einschließlich einer gemäß § 287 ZPO auf € 25,- geschätzten Kostenpauschale) € 1.373,92. Angesicht der vorgenannten Haftungsquote ergibt dies einen erstattungsfähigen Schaden von € 457,97.

IV.

Die Zinsentscheidung und die Entscheidung wegen der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beruht auf Verzug, §§ 286ff BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: € 1.373,92

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