AG Ravensburg – Az.: 5 C 1347/11 – Urteil vom 06.03.2012
1. Die Beklagte wird verurteilt unter Klageabweisung im Übrigen 739,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.04.2011 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 120,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.01.2012 zu bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % abwenden, wenn der Kläger vor Vollstreckung nicht Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist Halter und Eigentümer eines Leichtkraftrades. Mit diesem Fahrzeug fuhr er am 18.04.2011 aus Weingarten kommend auf der Gartenstraße. Er bog in die Ulmer Straße ab. Die Fahrbahn ist zweispurig. Der Kläger fuhr auf der rechten Fahrbahn. Vor ihm befand sich der Zeuge … mit seinem Fahrzeug. Aus Richtung Ravensburg fuhr der Zeuge … mit einem Lkw, der bei der Beklagten versichert ist auf der Gartenstraße, auch dieser bog in die Ulmer Straße ein. Der Zeuge … fuhr zunächst auf der linken Fahrspur der Ulmer Straße und soll dann nach Behauptung des Beklagten ohne Setzen eines Blinkers auf die rechte Fahrspur gefahren sein, was Anlass für den Zeugen … gewesen sei, eine Vollbremsung durchzuführen. Der Kläger sei deshalb in das Heck des von dem Zeugen … gesteuerten Pkws hineingefahren.
Auf Seiten des Klägers ist folgender Schaden entstanden:
Wiederbeschaffungswert 1.200,00 €
Abzüglich Rest in Höhe von 130,00 €
1.070,00 €
Sachverständigenkosten 383,66 €
Unkostenpauschale 30,00 €
1.483,66 €.
Hiervon macht der Kläger 50 %, mithin ein Betrag in Höhe von 741,83 € geltend zuzüglich anwaltlicherseits angefallener außergerichtlicher Kosten in Höhe von 120,66 €.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zur Zahlung in Höhe von 741,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.04.2011 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 120,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.01.2012 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
Die Beklagte macht geltend, der Kläger habe nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand eingehalten.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Zeugeneinvernahme und Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist weitgehend begründet. Die von dem Kläger zugrunde gelegte Haftungsquote in Höhe von 50 % zu Lasten der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Kommt es im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel zu einer Kollision mit einem Fahrzeug in dem Fahrstreifen, in den gewechselt wurde, spricht der Anschein des ersten Anscheines gegen den Verkehrsteilnehmer, der den Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat, nicht hingegen sind die allgemeinen Grundsätze des Anscheinsbeweises im Rahmen eines Auffahrunfalles anwendbar (Kammergericht 06.03.2003 NZV 2004, 28). Nicht anders ist der Sachverhalt zu beurteilen, soweit es darum geht, dass es nicht um eine direkte Berührung des Fahrspurwechslers und des anderen Fahrzeuges kommt, sondern wie im vorliegenden Fall es zu einem Auffahrunfall auf ein Fahrzeug kommt, das wegen des Spurwechslers ein abruptes Abbremsmanövers einleiten muss (Landgericht Gießen 08.10.2003 NZV 2004, 253). Bleibt ein Unfallhergang bei einem Auffahrunfall nach einem Fahrstreifenwechsel ungeklärt, ist der Schaden hälftig zu teilen (Kammergericht 06.02.1997 Versicherungsrecht 1998, 518). Der von der Beklagten geltend gemachte Verstoß des Klägers gegen den erforderlichen Sicherheitsabstand gemäß § 4 StVO ist vorliegend nur von untergeordneter Bedeutung, da das vorliegende Unfallereignis unstreitig im Zusammenhang mit dem Anfahren einer grün geschalteten Ampelanlage im Zusammenhang steht, so dass nach allgemeinen Grundsätzen in der Rechtsprechung ein geringerer Abstand gerechtfertigt war (OLG Hamm NZV 1998, 464). Hingegen traf den Zeugen … die Verpflichtung gemäß § Abs. 5, den Fahrstreifenwechsel so vorzunehmen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Der erfolgte Fahrstreifenwechsel musste rechtzeitig und deutlich angekündigt werden. Dass sich der Zeuge … entsprechend verhalten hat, ist nicht bewiesen. Zwar hat der Zeuge … selbst angegeben, er habe den rechten Blinker vor dem Fahrstreifenwechsel gesetzt, solches hat auch der Zeuge … bekundet. Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben sind jedoch insoweit angebracht, als den glaubhaften Angaben des Zeugen … dieser festgestellt hat, dass ein Blinker gerade nicht gesetzt war. Der Zeuge war durch den Fahrvorgang des Zeugen … völlig überrascht und hat es ausgeschlossen, dass ein rechter Blinker gesetzt gewesen ist, weil er in einer solchen Situation eine andere Fahrweise an den Tag gelegt hätte. Ungeachtet dessen war im konkreten Fall überhaupt nicht angebracht, dass der Zeuge … einen Fahrstreifenwechsel im Bereich des auf der Fahrbahn angebrachten ersten Richtungspfeiles vorgenommen hat. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Zeuge … nämlich erst eine kurze Zeit auf der Ulmer Straße, darüber hinaus ist unter Zugrundelegung der Sachverständigenausführungen davon auszugehen, dass es dem Zeugen … durch einen Blick durch die rechte Seitenscheibe sehr wohl möglich gewesen wäre, das herannahende Fahrzeug des Zeugen … und den herannahenden Roller des Klägers wahrzunehmen. Ein sorgfältiger Verkehrsteilnehmer hätte insoweit von einem Fahrspurwechsel Abstand genommen.
Eine geringfügige Korrektur der Klageforderung war insoweit vorzunehmen, da der Kläger unbegründet von einer Auslagenpauschale in Höhe von 30,00 € anstelle eines Betrages in Höhe von 25,00 € ausgeht.
Nebenforderungen: §§ 286 ff. BGB.
Nebenentscheidungen: §§ 91; 708 Nr. 11, 711 ZPO.