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Unfallflucht – Leistungsfreiheit der Kaskoversicherung

OLG Stuttgart, Az: 7 U 121/14

Urteil vom 16.10.2014

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn – 4 O 25/14 Mo – vom 20. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert: 7.000 Euro

Gründe

I.

unfallflucht leistung versicherungDer Kläger begehrt von der Beklagten Versicherungsleistungen aufgrund eines Anpralls an eine Mauer vom 11. Juli 2013.

Für sein Fahrzeug unterhielt der Kläger bei der Beklagten eine Vollkaskoversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 500 Euro. Dem Vertrag lagen die AKB 2008 zugrunde, in denen es unter anderem heißt:

 „E Welche Pflichten haben Sie im Schadenfall?

E.1 Bei allen Versicherungsarten

Anzeigepflicht

E.1.1 Sie sind verpflichtet, uns jedes Schadenereignis, das zu einer Leistung durch uns führen kann, innerhalb einer Woche anzuzeigen.

Aufklärungspflicht

E.1.3 Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass Sie unsere Fragen zu den Umständen des Schadenereignisses wahrheitsgemäß und vollständig beantworten müssen und den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.

Sie haben unsere für die Aufklärung des Schadenereignisses erforderlichen Weisungen zu befolgen.

E.6 Welche Folgen hat eine Verletzung dieser Pflichten?

Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung

E.6.1 Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in E.1 bis E.5 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzen Sie Ihre Pflichten grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Weisen Sie nach, dass Sie die Pflicht nicht grob fahrlässig verletzt haben, bleibt der Versicherungsschutz bestehen.

E.6.2 Abweichend von E.6.1 sind wir zur Leistung verpflichtet, soweit Sie nachweisen, dass die Pflichtverletzung weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang unserer Leistungspflicht ursächlich war. Dies gilt nicht, wenn Sie die Pflicht arglistig verletzen.“

Der Kläger befuhr am 11. Juli 2013 mit seinem Fahrzeug – einem … – die B 27 von … kommend in Richtung … Gegen 2.35 Uhr kam er von der Straße ab und streifte mit der rechten Fahrzeugseite eine Betonmauer. Am 19. Juli 2013 meldete sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei der zuständigen Polizeidienststelle.

Die Beklagte beruft sich gegenüber dem Regulierungsbegehren des Klägers auf eine Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit nach E.1.3 AKB 2008 (vgl. Schreiben vom 22. Oktober 2013 – Anlage K 2 = GA I 45).

In erster Instanz hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, er sei wegen einer momentanen Unaufmerksamkeit von der Fahrbahn abgekommen. Anschließend habe er noch einige Zeit am Kollisionsort gewartet. Wegen Dunkelheit habe er keine weitere Schäden außer demjenigen am versicherten Fahrzeug feststellen können; daher sei er ohne weiteres Zuwarten nach Hause gegangen. Es sei kein relevanter Fremdschaden entstanden, seiner Aufklärungsobliegenheit sei er durch die Schadenmeldung vom 18. August 2013 gegenüber der Beklagten nachgekommen. Aus dem Unfallereignis sei die Beklagte daher verpflichtet, den entstandenen Schaden von 7.000 Euro (Wiederbeschaffungswert abzüglich erzieltem Restwert und Selbstbeteiligung) sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 729,23 Euro zu erstatten.

Die Beklagte hat in erster Instanz die Ansicht vertreten, der Kläger habe die ihn treffende Aufklärungsobliegenheit arglistig verletzt. Er habe insbesondere keine ausreichende Zeit an der Unfallstelle gewartet, nachdem die Polizei bereits um 2.50 Uhr an der Unfallstelle gewesen sei. Möglicherweise habe er unter Alkohol- und Drogeneinfluss gestanden. Der Kläger habe überdies – sowohl gegenüber der Polizei als auch gegenüber ihr – sehr spät Angaben zum Unfallgeschehen gemacht.

Wegen des weiteren Vortrages der Parteien im erstinstanzlichen Verfahren wird auf den Tatbestand des dortigen Urteils verwiesen.

Das Landgericht Heilbronn hat mit Urteil vom 20. Juni 2014, das dem Klägervertreter am 26. Juni 2014 zugestellt wurde (GA I 125), die Klage abgewiesen. Hierzu hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Ersatz des Wiederbeschaffungswertes aufgrund des Kaskoversicherungsvertrages. Die Leistungspflicht der Beklagten sei wegen vorsätzlicher, arglistiger Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach E.1 AKB 2008 i.V.m. § 31 VVG ausgeschlossen. So habe der Kläger gegen die Obliegenheit nach E.1.3 AKB 2008 verstoßen, auch ein Verstoß nach E.1.1 AKB 2008 liege nicht fern. Diesem sei an einer unverzüglichen Aufklärung des Unfalles nicht gelegen gewesen. Er habe sich erst am 19. Juli 2013 bei der Polizei gemeldet und dort keine weiteren Angaben gemacht. Die Schadenmeldung, bei der einzelne Fragen (z.B. Ziff. 1.8) nicht beantwortet seien, einzelne Angaben zweifelhaft erschienen (Ziff. 4.6) und sich – mit Blick auf spätere Angaben in einem Kaufvertrag – Unstimmigkeiten hinsichtlich der km-Angabe zeigten, sei bei der Beklagten überdies erst am 22. August 2013 eingegangen. Der Kläger habe nicht ohne weiteres von einem geringfügigen Schaden ausgehen dürfen; er habe sich nicht vergewissert. Aufgrund seines Verhaltens sei die spätere Schadenregulierung mit Ungewissheiten behaftet gewesen. Dabei habe der Kläger auch vorsätzlich und arglistig die Aufklärungsobliegenheit verletzt. Eine Unaufklärbarkeit habe er zumindest billigend in Kauf genommen, ebenso den Umstand, dass das Verhalten den Versicherer möglicherweise beeinflussen könne. Auch ein Führen des Fahrzeuges unter Alkoholeinfluss sei schwieriger nachzuweisen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der beim Oberlandesgericht Stuttgart am 16. Juli 2014 eingegangenen Berufung (GA II 128 ff.), die mit Schriftsatz vom 30. Juli 2014 (GA 134 ff.), der am 31. Juli 2014 eingegangen ist, begründet worden ist. Er verfolgt die erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiter.

Der Kläger bringt in zweiter Instanz vor, das Landgericht sei zu Unrecht von einer vorsätzlichen arglistigen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ausgegangen. Die vom Erstgericht herangezogenen „Indizien“ begründeten dies nicht. Zu Unrecht sei auf eine angeblich verspätete Meldung bei der Polizei abgestellt worden. Die Aufklärungspflicht bestehe insofern gegenüber dem Versicherer und gerade nicht gegenüber der Polizei oder anderen Strafverfolgungsbehörden. Sie werde daher nur verletzt, wenn zugleich das Aufklärungsinteresse des Versicherers tangiert sei. Unrichtige Angaben habe er nicht gemacht; die Polizei sei selbst zeitnah vor Ort gewesen und habe sämtliche Feststellungen treffen können. Gegenüber der Beklagten habe sich der Kläger unverzüglich gemeldet, was von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt worden sei; es sei offen geblieben, wann die Beklagte das Schadenformular an ihn verschickt habe, wann er es erhalten habe und warum es gegebenenfalls erst am 22. August 2013 bei der Beklagten eingegangen sei. Ein schuldhaftes Verhalten seinerseits sei vom Erstgericht nicht festgestellt worden. Fehlerhaft sei das Landgericht auch von einer unrichtigen bzw. unvollständigen Beantwortung des Schadenformulars ausgegangen. Ebenfalls seien keine Feststellungen dazu getroffen worden, dass die km-Angabe in der Schadenanzeige unrichtig sei. Überdies könne ein Versicherer unrichtige und unvollständige Angaben nur rügen, wenn er den Versicherungsnehmer zuvor ordnungsgemäß belehrt habe; dies sei hier nicht der Fall. Die Belehrung im Schadenanzeigeformular entspreche nicht den Anforderungen des § 28 Abs. 4 VVG und sei aus diesem Grunde unwirksam.

Er habe auch keine Unfallflucht begangen. Ein Fremdschaden sei für ihn nicht erkennbar gewesen. Der Straftatbestand des § 142 StGB sei nicht gegeben gewesen. Die Versicherungsbedingungen schrieben auch nicht vor, dass der Versicherungsnehmer nach einem Unfall in jedem Fall die Polizei zu informieren habe. Ihm könne auch nicht entgegengehalten werden, dass mangels polizeilicher Überprüfung keine Feststellungen zum Alkoholeinfluss oder Drogeneinfluss hätten getroffen werden können.

Rechtsfehlerhaft sei auch die Feststellung des Erstgerichts, er habe in vorsätzlicher Hinsicht und arglistig die Aufklärungspflicht verletzt. Hierzu habe das Landgericht keine Feststellungen getroffen.

Gerügt werde auch, dass kein einziger Hinweis zu entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben worden sei.

Der Kläger beantragt in zweiter Instanz,

1. unter Abänderung des am 20. Juni 2014 verkündeten Urteils des Landgerichts Heilbronn, Az.: 4 O 25/14 Mo, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.000 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13. November 2013 zu bezahlen,

2. unter Abänderung des am 20. Juni 2014 verkündeten Urteils des Landgerichts Heilbronn, Az.: 4 O 25/14 Mo, die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 729,23 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Ergänzung und Vertiefung des bisherigen Vorbringens die landgerichtliche Entscheidung. Das Erstgericht habe die Umstände in der gebotenen Gesamtschau gewürdigt. Demgegenüber greife der Kläger nur isolierte Aspekte heraus; dies stelle keine zulässige Beweiswürdigung dar. Zutreffend habe das Landgericht erkannt, dass E.1.3 AKB 2008 eine eigenständige Wartepflicht enthalte. Im Übrigen dränge es sich angesichts der 13 m langen Streifspur und angesichts des massiven Schadens am klägerischen Fahrzeug auf, dass ein erheblicher Fremdschaden entstanden sei. Die unterlassene Nachschau sei daher schon als bedingter Vorsatz anzusehen. Darüber hinaus sei auch das nachkollisionäre Verhalten des Klägers, nicht nach Hause zu gehen, zu würdigen. Darauf, ob dem Kläger arglistiges Verhalten vorgeworfen werden könne, komme es nicht an, da auch eine vorsätzliche Verletzung der Aufklärungsobliegenheit eine Leistungsfreiheit begründe, nachdem der Kläger keinen Kausalitätsgegenbeweis führen könne und hierzu auch nicht vorgetragen habe. Diesbezügliche Feststellungen habe der Kläger überdies durch sein Verhalten gerade vereitelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Parteien in zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Ergänzend wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vom 9. Oktober 2014.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die begehrte Versicherungsleistung nicht zu.

Zwar ist sowohl das Bestehen eines Kaskoversicherungsvertrages als auch der Eintritt des Versicherungsfalles zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte ist indes – wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend gesehen hat – nach E.6.1 AKB 2008, § 31 VVG i.V.m. E.1.3 AKB 2008, § 28 Abs. 2 VVG leistungsfrei, da der Kläger die ihn treffende Aufklärungsobliegenheit vorsätzlich verletzt hat und er den ihm obliegenden Kausalitätsgegenbeweis nicht erbringen kann.

a) Nach E.1.3 Satz 2 AKB 2008 umfasst die Aufklärungsobliegenheit nicht nur, die Fragen des Versicherers zu den Umständen des Schadenereignisses wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten. Der Versicherungsnehmer darf vielmehr auch den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kläger sich zugleich nach § 142 StGB strafbar gemacht hat.

aa) Nach heute gefestigter Rechtsprechung und inzwischen allgemein anerkannter Auffassung sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Die Auslegung von Versicherungsbedingungen orientiert sich gerade deshalb zunächst und in erster Linie am Bedingungswortlaut, weil der Versicherungsnehmer davor geschützt werden soll, bei der Auslegung mit ihm unbekannten Details der Entstehungsgeschichte einer Klausel oder Motiven des Versicherers konfrontiert zu werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2009 – IV ZR 11/07, NJW-RR 2009, 813 Rn. 13).

bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist es nicht erforderlich, dass der Kläger zugleich den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 142 StGB erfüllt hat.

(1) Die Bestimmung des E.1.3 AKB 2008 knüpft bereits nach ihrem Wortlaut nicht an die Regelung des § 142 StGB zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort an. Nach einem allein am Wortlaut orientierten Verständnis ist der Versicherungsnehmer demnach über die strafrechtliche Verpflichtung des § 142 StGB hinaus im Rahmen der versicherungsrechtlichen Aufklärungsobliegenheit immer gehalten, nach Eintritt des Versicherungsfalles an der Unfallstelle zu bleiben, bis die Polizei oder der Geschädigte eintreffen und die erforderlichen Feststellungen zum Unfallhergang und der Beteiligung des Versicherungsnehmers getroffen wurden. Es bedarf zur Annahme der Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit demnach keines Rückgriffs mehr auf § 142 StGB (vgl. zur früheren Bedingungslage: BGH, Urteil vom 1. Dezember 1999 – IV ZR 71/99, VersR 2000, 222 unter II 1 m.w.N.).

Die bei Anwendung der früheren Regelung in § 7 I (2) Satz 3 AKB 1988 von der Rechtsprechung entwickelte Beschränkung, dass das bloße Verlassen der Unfallstelle nur, aber auch stets eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung in der Kfz-Haftpflichtversicherung darstellt, wenn dadurch der objektive und subjektive Tatbestand des § 142 StGB erfüllt wird, beruhte nicht zuletzt darauf, dass es an einer ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung fehlte und die Annahme einer Obliegenheit darauf gründete, dass es sich hierbei um eine elementare, allgemeine und jedem Versicherungsnehmer bekannte Pflicht handelte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 1. Dezember 1999 – IV ZR 71/99, VersR 2000, 222 unter II 1 m.w.N.). Nunmehr enthalten die AKB 2008 indes eine Bestimmung, die losgelöst von den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 142 StGB eine Obliegenheit formuliert, die gerade den Fall des Verlassens des Unfallortes erfasst und daher auch in Fällen einschlägig ist, in denen es an einem Fremdschaden fehlt, in dem aber dennoch der Kaskoversicherer ein Interesse an der Aufklärung haben kann. Zu den erforderlichen Feststellungen gehören diejenigen, die der Versicherer bei der Beurteilung seiner Einstandspflicht benötigt. Dazu zählt auch die Art der Beteiligung des Versicherungsnehmers und damit seine Fahrweise und seine Fahrtüchtigkeit, die die Leistungspflicht nach § 81 VVG einschränken können (vgl. Knappmann, r+s Beilage 2011, 54, 56).

Der Annahme einer solchen Aufklärungsobliegenheit steht nicht entgegen, dass deren Erfüllung dem Versicherungsnehmer nachteilig sein kann. Nie darf der Versicherungsnehmer die Ermittlungen gegen sich behindern. Ob die Bemühungen zur Aufklärung des Unfallgeschehens Erfolg gehabt hätten, spielt keine Rolle, da E.1.3 AKB 2008 ein eigeninitiatives Verhalten des Versicherungsnehmers verlangt, das auf einen bestimmten Erfolg gerichtet ist, nicht aber den Erfolg selbst verlangt; es genügt die abstrakte Möglichkeit, zur Aufklärung des Tatbestandes beizutragen (vgl. dazu Knappmann in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. AKB 2008 E.1 Rn. 20 f.; LG Saarbrücken, Urteil vom 1. Oktober 2010 – 13 S 75/10, NJW-RR 2011, 187; LG Dresden, Urteil vom 31. Mai 2013 – 8 O 2445/12, juris).

(2) Vor diesem Hintergrund überzeugt es nicht, auch hinsichtlich der in E.1.3 AKB 2008 formulierten Obliegenheit weiterhin an das Erfüllen des objektiven und subjektiven Tatbestandes des § 142 StGB anzuknüpfen (so ausdrücklich aber Maier in Stiefel/Maier, AKB 18. Aufl. AKB E Rn. 124; HK-VVG/Halbach, 2. Aufl. AKB 2008 E Rn. 14 – 16; Kornas, NJW-Spezial 2013, 9 – letztere ohne sich näher mit dem geänderten Wortlaut der AKB 2008 auseinanderzusetzen; entsprechend hat auch der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes im Urteil vom 21. November 2012 – IV ZR 97/11, NJW 2013, 936 auf die Eigenständigkeit der beiden Tatbestände abgestellt, vgl. die Anmerkung von Omlor/Spies, NJW 2013, 938 f.).

Gerade Details der Entstehungsgeschichte einer Klausel oder die Motive des Versicherers sind für die Auslegung nicht von Belang, selbst wenn deren Berücksichtigung zu einem dem Versicherungsnehmer günstigeren Ergebnis führen könnte. Denn auch die für Risikoausschlussklauseln geltende Auslegungsregel beruht weder auf einer die Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte ermöglichenden „gesetzesähnlichen” Auslegung solcher Klauseln, noch setzt sie eine solche voraus. Vielmehr erfährt diese Regel gerade durch eine Auslegung, die auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abstellt, Rechtfertigung und Sinn. Die dem Versicherungsnehmer unbekannte Entstehungsgeschichte der Ausschlussklausel kann in diesem Rahmen keine Berücksichtigung finden, gleichviel ob sie für eine Auslegung zugunsten des Versicherungsnehmers oder zugunsten des Versicherers von Bedeutung sein könnte (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2000 – IV ZR 113/99, NJW-RR 2000, 1341 unter 2 b).

cc) Den nach diesem Verständnis an den Kläger zu richtenden Anforderungen hat dieser offenkundig nicht genügt.

(1) Der Kläger hat – die von den Parteien vorgetragenen Uhrzeiten zugrunde gelegt – noch nicht einmal 15 Minuten an der Unfallstelle zugewartet, um die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Er hat den Unfallort vielmehr ohne Information der Polizei oder der Beklagten verlassen, war in der Folge für die zuständigen Polizeibeamten nicht auffindbar und hat sich erst mehr als eine Woche nach dem Unfall über seinen Prozessbevollmächtigten bei der zuständigen Polizeidienststelle gemeldet, um dort in Erfahrung zu bringen, wie lange die Sicherstellung noch andauern werde, ohne aber Angaben zur Sache zu machen (vgl. dazu die polizeiliche Unfallanzeige in der Akte der Staatsanwaltschaft Heilbronn – 100 UJs 11971/13).

Die erste dokumentierte Mitteilung gegenüber der Beklagten erfolgte mit der Schadenmeldung, die unter dem Datum vom 18. August 2013 erklärt wurde und bei der Beklagten am 22. August 2013 eingegangen ist (vgl. Anlage BLD 2 = GA I 100 f.). Das war offensichtlich zu spät. Zwar hat der Kläger – ohne dass dies zuvor näher präzisiert worden wäre – im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, die Beklagte zumindest telefonisch nach seiner Arbeit, aber noch im weiteren Verlauf des Unfalltages benachrichtigt zu haben. Dies erfolgte allerdings – so die Angaben des Kläger zutreffen sollten – zu einem Zeitpunkt, zu dem für die Beklagte relevante Feststellungen nicht mehr möglich gewesen sind.

Der Kläger hat daher keinerlei Feststellungen ermöglicht und ist mithin seiner – versicherungsvertraglich begründeten – Wartepflicht nicht nachgekommen.

(2) Zugunsten des Klägers lässt sich insofern nichts aus der Entscheidung des IV. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes vom 21. November 2012 – IV ZR 97/11, NJW 2013, 936, ableiten. Diese bezieht sich auf die Verletzung der Handlungspflichten nach § 142 Abs. 2 StGB, die bestehen, nachdem sich der Unfallbeteiligte – was hier nicht der Fall ist – berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat. In diesen Fällen ist nicht in gleicher Weise automatisch von einer Verletzung der allgemeinen Aufklärungsobliegenheit auszugehen wie in den Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 Abs. 1 StGB. Vom Bundesgerichtshof wird dabei darauf abgestellt, dass das Aufklärungsinteresse des Versicherers durch einen Verstoß gegen § 142 Abs. 2 StGB nicht in jedem Falle beeinträchtigt wird, weil die Regelung ein Handeln des Versicherungsnehmers unter Umständen noch zu einem Zeitpunkt genügen lässt, zu dem Erkenntnisse bezüglich des Unfalls nicht mehr in gleicher Weise zu gewinnen sind. Dann aber seien – so der IV. Zivilsenat weiter – die Interessen des Versicherers durch die unmittelbar an ihn oder seinen Agenten erfolgende Mitteilung mindestens ebenso gut gewahrt wie durch eine nachträgliche Benachrichtigung des Geschädigten. Folglich komme es allein auf diesen Zeitpunkt an, weil der Versicherungsnehmer, der sich – was beim Kläger nicht der Fall ist – zuvor nach Ablauf der Wartezeit oder sonst erlaubt vom Unfallort entfernt hat, allein dadurch noch nicht gegen Aufklärungsobliegenheiten verstoßen hat. Vor diesem Hintergrund konnte der IV. Zivilsenat für einen Versicherungsnehmer, der seinen Versicherer zu einem Zeitpunkt informiert, zu dem er durch Mitteilung an den Geschädigten eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 StGB noch abwehren kann, feststellen, dass dieser deshalb allein durch die unterlassene Erfüllung der Pflicht nach § 142 Abs. 2 StGB eine Aufklärungsobliegenheit nicht verletzt. So liegt der Fall hier indes nicht.

b) Letztlich kann die Frage, ob auch die Regelung in E.1.3 AKB 2008 in objektiver und subjektiver Hinsicht einen Verstoß gegen § 142 StGB erfordert, dahinstehen, da ein solcher hier ebenfalls angenommen werden kann. Nach § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich ein Unfallbeteiligter strafbar, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen.

aa) Der Kläger war hier Beteiligter eines Unfalls. Dabei ist als „Unfall im Straßenverkehr“ ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr zu verstehen, das mit dessen Gefahren in ursächlichem Zusammenhang steht und zu einem nicht völlig belanglosen Personen- oder Sachschaden führt.

Eine völlige Belanglosigkeit ist nur anzunehmen, wenn für Schäden dieser Art – bei objektiver ex-ante-Betrachtung – üblicherweise keine Ersatzansprüche geltend gemacht werden (vgl. nur Kudlich in BeckOK-StGB, Stand: Juli 2013 § 142 Rn. 4). Die hier zu ziehende Grenze wird oftmals mit 50 Euro angegeben (vgl. dazu Kudlich in BeckOK-StGB, Stand: Juli 2013 § 142 Rn. 4.2; Geppert in LK-StGB, 12. Aufl. § 142 Rn. 34; HK-VVG/Halbach, 2. Aufl. AKB 2008 E Rn. 16; vgl. auch die Nachweise bei Maier in Stiefel/Maier, AKB 18. Aufl. AKB E Rn. 128: 20 – 150 Euro). Angesichts der Beschädigungen am Fahrzeug des Klägers ist hier bei vernünftiger Betrachtung und auch unter Berücksichtigung etwaiger Vorschäden nicht anzunehmen, dass der Schaden an der die Fahrbahn begrenzenden Mauer, die über eine Länge von 13 Metern Kratz- und Schleifspuren aufwies, unterhalb eines Betrages von 50 Euro anzusiedeln wäre, nachdem gewöhnlich Facharbeiterstunden mit 40 bis 45 Euro netto abgerechnet werden und mithin allein ein durchschnittlicher Bruttolohn für eine Stunde den Betrag von 50 Euro übersteigt. Überdies übersteigt schon der Aufwand zur fachkundigen Aufnahme des Schadens und zur Bewertung der Standfestigkeit der Mauer diese Grenze.

bb) Des Weiteren hat der Kläger hier auch nicht eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet, ohne dass jemand bereit war, Feststellungen zu treffen; er ist schlichtweg nach einer kurzen Weile aus seinem Fahrzeug ausgestiegen und hat die Unfallstelle verlassen.

cc) Dem Kläger ist letztlich ein vorsätzliches Handeln vorzuwerfen.

(1) Der Vorsatz muss sich auch darauf erstrecken, dass es zu einem Unfall i. S. des § 142 StGB gekommen ist. Der Täter muss erkannt oder wenigstens mit der Möglichkeit gerechnet haben, dass ein nicht ganz unerheblicher Schaden entstanden ist. Es reicht nicht aus, dass der Fahrer die Entstehung eines nicht unerheblichen Schadens hätte erkennen können und müssen, denn damit ist nur Fahrlässigkeit erwiesen. Allerdings schließt das Nichterkennen eines (Fremd-)Schadens infolge nachlässiger Nachschau die Annahme bedingten Vorsatzes nicht zwingend aus. Es können Umstände (z.B. heftiger Anprall, Schaden am eigenen Fahrzeug u.a.) vorliegen, die beim Täter trotz eines solchen Nichterkennens die Vorstellung begründen, es sei möglicherweise ein nicht ganz unerheblicher Schaden entstanden (vgl. nur OLG Köln, Beschluss vom 3. Mai 2011 – 1 RVs 80/11, BeckRS 2011, 16833).

(2) Angesichts der Heftigkeit des Aufpralls, die zum Auslösen von Airbags geführt hat, und der Beschädigungen am Fahrzeug des Klägers, mit dem dieser offensichtlich nicht mehr weiterfahren konnte (u.a. ist auch der Stabilisator an der Vorderachse abgerissen und ein Reifen aufgeschlitzt, vgl. GA I 38 + 40), liegt es auf der Hand, dass der Kläger es zumindest für ernstlich möglich hielt, dass die Mauer dort, wo das Fahrzeug gegen sie gestoßen war, nicht nur unerheblich geschädigt war, und zugleich billigend in Kauf nahm, den Unfallort trotz einer solchen Schädigung zu verlassen (vgl. für einen ähnlich gelagerten Fall, in dem der Versicherungsnehmer nicht eine Strecke von 100 bis 150 Metern zurückging, weil es geregnet hatte: OLG Hamm, Urteil vom 7. Februar 2003 – 20 U 193/02, NJW-RR 2003, 979; so auch Maier in Stiefel/Maier, AKB 18. Aufl. AKB E Rn. 132).

c) Der Kläger hat hinsichtlich der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit auch vorsätzlich i.S. von E.6.1 AKB 2008 i.V.m. § 28 Abs. 2 VVG gehandelt.

Vorsatz erfordert das Wollen der Obliegenheitsverletzung im Bewusstsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm und umfasst bedingten Vorsatz, der entsprechend den allgemeinen Regeln gegeben ist, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheitsverletzung für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, also nicht ernsthaft darauf vertraut, dass der Erfolg ausbleiben werde. Für das Bewusstsein der Obliegenheitswidrigkeit genügt, dass der Versicherungsnehmer kraft „Parallelwertung in der Laiensphäre“ die Merkmale der Obliegenheit im Kern kennt (vgl. dazu Prölss in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 28 Rn. 113).

Die den Kläger treffende Aufklärungsobliegenheit gemäß E.1.3 AKB 2008 entspricht dem Schutzzweck des § 142 StGB. Der Kläger hatte mithin Kenntnis dieser Verhaltensnorm. Durch sein Entfernen vom Unfallort nach wahrgenommener Kollision hat er bewusst hiergegen verstoßen. Überdies räumt der Kläger, indem er seine Ansicht ausführen lässt, er habe an der Unfallstelle nicht warten müssen, weil er keinen bezifferbaren Sachschaden verursacht habe, ein, die Wartepflicht als solche gekannt und sich dennoch entfernt zu haben. An seinem vorsätzlichen Verhalten ändert es auch nichts, wenn er die Erfüllung dieser Warteobliegenheit in der angeblichen Annahme, keinen Schaden verursacht zu haben, für nicht erforderlich gehalten haben will. Denn in der von ihm beschriebenen Unfallsituation liegt es auf der Hand, dass er die Möglichkeit, dass dem nicht so ist, angesichts seines zutreffenden Verständnisses von der Obliegenheit zumindest billigend in Kauf genommen hat.

d) Einen Kausalitätsgegenbeweis hat der Kläger nicht angetreten. Er kann einen solchen auch nicht führen. Denn bereits das unerlaubte Entfernen als angeblicher Fahrer von der Unfallstelle hat in diesem Sinne zu konkreten Feststellungsnachteilen bei der Beklagten geführt, welche sich durch die späteren Angaben des Klägers nicht mehr haben kompensieren lassen. So waren insbesondere keine Feststellungen mehr zu einer etwaigen Alkoholisierung oder Drogenbeeinträchtigung des Fahrers möglich, die gegebenenfalls aufgrund des entsprechenden Verbots in D.2.1 AKB 2008 nach der Regelung in D.3.1 Satz 1 und 2 AKB 2008 zum Wegfall des Versicherungsschutzes oder zu einer Leistungskürzung hätten führen können. Hätte der Kläger stattdessen als angeblicher Fahrer des Pkw die Unfallstelle nicht verlassen und dort gewartet, bis kurz darauf die Polizeibeamten am Unfallort eintrafen, stünde nicht nur die Person des Fahrers eindeutig fest, sondern es wäre auch dessen mögliche Alkohol- oder Drogenbeeinflussung objektiv überprüfbar gewesen (vgl. insofern Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 U 85/11, juris). Dazuhin stellt der Kläger gar nicht in Frage, dass infolge seines schnellen Entfernens vom Unfallort Feststellungen der Polizei hierzu nicht möglich gewesen sind.

e) Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob dem Kläger hinsichtlich der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ein arglistiges Verhalten vorgeworfen werden kann.

2. Steht dem Kläger ein Anspruch auf die von ihm begehrte Versicherungsleistung nicht zu, kann er auch nicht Erstattung vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten begehren.

III.

1. Die Entscheidung über die Kostentragung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

2. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen insbesondere mit Blick auf die selbstständig tragenden Überlegungen bei II 1 b nicht vor. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des Revisionsgerichts.

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